Berlin

Straßenbahn-Neubaustrecke Alex II - Ein Nachschlag

Mehrere Leser des Signal 5/2003 fragten uns, ob wir die Antworten vom Senat und der BVG zu unserem Vorschlag so unkommentiert hinnehmen. Wir fanden zwar, dass die beiden Stellungnahmen für sich selbst sprechen, aber natürlich möchten wir unsere Bewertung unseren Lesern nicht vorenthalten.


IGEB Stadtverkehr

1. Jan 2004

Beide Schreiben verweisen auf die verminderte Pünktlichkeit bei Linienverknüpfungen über lange Strecken. Wir wählten für unser Konzept aus diesem Grund NICHT die langen Linien 6 und 8 für diese Aufgabe, sondern die Linien 2 und 4 bzw. 5 und 15, die auch mit einer Durchbindung am Alexanderplatz nicht über die 60-Minuten-Fahrzeit hinauskommen. Außerdem macht die Fahrplanabstimmung Ausgleichszeiten von wenigen Minuten am Alexanderplatz jederzeit möglich, die dann auch für Verspätungsabbau genutzt werden können.

Zu den ausführlichen IGEB-Konzept zur Führung der Straßenbahn-Linien rund um den Alexanderplatz war eine Klarstellung der Reaktion aus der Senatsverkehrsverwaltung und der BVG fällig. Foto: Alexander Frenzel

Die Senatsverkehrsverwaltung stellt als weiteren Kritikpunkt das Entfallen der Linie 24 dar. Gerade diese Linie wird aber zum 14. Dezember 2003 entfallen, ohne dass die Alternative zum Alexanderplatz zur Verfügung steht. Vor dem Hintergrund, dass zum Fahrplanwechsel im Dezember deutliche Angebotseinschränkungen im Pankower Straßenbahn-Netz unter Hinweis auf Sparzwänge umgesetzt werden, ist es schon dreist, dass die am Alexanderplatz möglichen deutlichen (!) betrieblichen Aufwandsreduzierungen, die nur geringfügige Nachteile für die Fahrgäste mit sich bringen würden, abgelehnt werden.

Möglicherweise ist der wahre Ablehnungsgrund ein anderer: Tatsächlich kam ein zu Zeiten von Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt beauftragtes Gutachten zu dem Ergebnis, dass gleichzeitige Gleisverbindungen aus der westlichen Karl-Liebknecht- in die Gontard- und Dircksenstraße die Leistungsfähigkeit des Straßenverkehrs (geringfügig) reduzieren und die Straßenbahnen sich gegenseitig behindern könnten. Aber bevor man sich hinter diesem Gutachten verschanzt, lohnt natürlich nochmal eine sachliche Betrachtungsweise. Denn das IGEB-Konzept sieht ja gerade eine deutliche Reduzierung der Fahrten im westlichen Abschnitt der Karl-Liebknecht-Straße und auch in der Gontardstraße vor, so dass sich die befürchteten Behinderungen für Straßen- und Straßenbahn-Verkehr bei intelligenter Positionierung der Fußgängerüberwege und einer ebensolchen Ampelschaltung auf betriebliche Sonderfälle - nämlich unregelmäßigen Straßenbahnverkehr - beschränken dürften.

Auf der politischen Ebene offenbart sich hier das ganze Trauerspiel der Berliner Straßenbahn: Eine offensive Vertretung ihrer ureigensten Interessen wird ihr unmöglich gemacht. Die Sonntagsreden aller Verantwortlichen vom ÖPNV-Vorrang (und da ist auch der Senat wieder angesprochen!) sind nichts mehr wert. Und selbst, wenn einmal ein Auto warten müsste: Vorrang bedeutet wörtlich, auch in der StVO: jemand anderes muss warten. Und als Argument für alle, die nicht wissen warum: Eine Straßenbahn im Berufsverkehr ersetzt einen zweispurigen Stau von über 600 Metern an der Ampel.

Wenn das kein Grund ist, die Autos mal warten zu lassen und der Straßenbahn den Vorrang einzuräumen, was dann?

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 6/2003 (Dezember 2003/Januar 2004), Seite 19