Berlin
Berlin ist eine Baustelle. Besonders betroffen ist die Bahn. Wenn dabei der Betrieb eingeschränkt werden muss, kann das den Fahrgästen Unannehmlichkeiten bereiten. Soweit alles klar. Aber wenn auf bestimmten Strecken über mehrere Monate und sogar Jahre Einschränkungen bestehen, dann verliert auch der geduldigste Fahrgast das Verständnis.
1. Jan 2004
Ein Grundsatz des Berliner Fahrgastverbandes IGEB ist es, eine Strecke besser komplett für einen kurzen Zeitraum zu sperren, um die Bauarbeiten möglichst schnell hinter sich zu bringen, anstatt viele Wochenenden oder Nächte unübersichtliche und ständig wechselnde Pendel- oder Schienenersatzverkehre anbieten zu müssen. Dieser Vorgehensweise haben sich in letzter Zeit auch S-Bahn und BVG zum Teil angeschlossen. Aber es scheint, dass die eine Nachtschicht aus der Nachtsperrpause einfach auf eine einfache Tagesschicht unter Totalsperrung gelegt wird. Ein Tag hat bekanntlich 24 Stunden, aber beim Bahnbau offenbar nur acht.
Die Fahrgäste der S-Bahn nach Flughafen Schönefeld sind häufige abendliche Schienenersatzverkehre gewöhnt. Aber im November 2003 wurde sozusagen als Krönung die Strecke ganze fünf Wochen komplett zwischen Adlershof und Schönefeld gesperrt.
Die Fahrgäste dachten vorher, die Strecke sei durch die wiederholten Bauarbeiten nun endlich fit für die nächsten zehn Jahre. Jetzt stellte sich heraus, dass noch vier Kilometer Gleise, zwölf Kilometer Stromschienen und Stromversorgung sowie eine Brücke erneuerungsbedürftig sind. Man wird das Gefühl nicht los, dass mit besserer Koordination die Bauarbeiten schon bei früheren Sperrungen hätten erledigt werden können.
Hoffentlich fällt den Bauleuten nicht in einem halben Jahr ein neuer Grund ein, die Strecke mal wieder „bependeln" oder „ver-SEVen" zu müssen.
Erfreulich ist, dass die S-Bahn zu dieser Baumaßnahme ein Faltblatt herausbrachte, das neben den Hintergründen und den Ersatzfahrplänen auch die wichtigsten Informationen in englischer und russischer (!) Sprache zusammenfasst.
Dass der neue „Hauptbahnhof" Lehrter Bahnhof mit heißer Nadel bzw. Kelle gebaut wurde, ist bekannt. Nun müssen die Fahrgäste schon wieder darunter leiden. Den ganzen November hielten hier keine S-Bahnen Richtung Zoo, und im Dezember halten keine S-Bahnen Richtung Friedrichstraße. Der Bahnsteigbelag war nur provisorisch und muss ausgetauscht werden. Dazu wird der erst wenige Monate alte Belag mit Presslufthämmern tief aufgebrochen. Zum Glück ist die eigentliche Kante aus Stahl und bleibt bestehen. Sonst hätte der Betrieb komplett eingestellt werden müssen.
Warum die ganze Aktion geschlagene zwei Monate dauern muss, ist unbegreiflich. Ohne direkte Anwohner könnte man hier in drei Schichten auch am Wochenende arbeiten. Aber Arbeiter sind nur montags bis freitags tagsüber zu sehen. Die Fahrgäste haben den Ärger freilich täglich und rund um die Uhr.
Fahrgäste, die hier ein-, aus- oder zum Bus umsteigen wollen, müssen bis zum nächsten Bahnhof weiterfahren und von dort den Zug der Gegenrichtung nehmen, der dann im Lehrter Bahnhof hält. Das erzeugt Reisezeitverlängerungen, Unbequemlichkeiten und Ärger.
Auch diese Einschränkung hätte sicher durch bessere Koordination und vor allem ohne den durch die Politik erzeugten fragwürdigen Zeitdruck beim Bau des Lehrter Bahnhofes vermieden werden können.
Die hier beschriebenen Fälle sind nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was den Fahrgästen im ganzen Netz und übers Jahr verteilt zugemutet wird. Dass die um vier Monate verlängerte Stadtbahnsperrung Charlottenburg - Zoologischer Garten und die daraus resultierenden unnötigen Ärgernisse auch nur auf Kindergarten-würdiges Gezänk zwischen Bahn und Senat zurückzuführen sind, ist an anderer Stelle in diesem SIGNAL beschrieben.
Die Bauinfos für Fahrgäste füllen jede Woche nur für Berlin und Umland sechs engbedruckte DIN A 4 Seiten. Auch für 2004 sind bereits umfangreiche Baumaßnahmen angekündigt. Und der Neubau der Bahnhöfe Ostkreuz und Papestraße lässt das Schlimmste befürchten.
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
aus SIGNAL 6/2003 (Dezember 2003/Januar 2004), Seite 24