Berlin
Hoffentlich noch 2014, spätestens aber 2015 soll die Straßenbahn zum Berliner Hauptbahnhof fahren – so lautet die letzte Aussage der Senatsverkehrsverwaltung. Damit erreicht erstmals seit 50 Jahren wieder eine Straßenbahn Moabiter Boden. Aber damit nicht genug: Bereits seit etwa 20 Jahren (!) plant der Senat schon einen Schritt weiter, um die Straßenbahn bis zum U-Bahnhof Turmstraße zu führen. Auch mehrere Fahrgastverbände, Bürgerinitiativen und viele Anwohner befürworten die Erweiterung der Tram ins Zentrum von Moabit und von dort weiter zum S-Bahnhof Beusselstraße/Virchow-Klinikum oder zum S+U-Bahnhof Jungfernheide.
8. Jul 2013
Es gibt zwei grundsätzliche Varianten für die Strecke bis zum U-Bahnhof Turmstraße:
Die Arbeitsgruppe Verkehr im Moabiter Ratschlag, einer Bürgerinitiative, macht sich bereits seit Anfang der 1990er Jahre intensiv Gedanken über die Straßenbahn in Moabit und hat dafür auch detaillierte Vorschläge ausgearbeitet.
Im April 2013 gab es Meldungen, dass die geplante Umgestaltung der Grünfläche Kleiner Tiergarten Ost (zwischen Turmstraße, Johanneskirche, Alt-Moabit und Stromstraße) durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gestoppt sei, weil erst die Straßenbahntrasse festgelegt werden müsse. Es werden bauliche Auswirkungen der Straßenbahn auf die Grünfläche für möglich gehalten.
Diesen Umstand nimmt die AG Verkehr im Moabiter Ratschlag zum Anlass, Ihre Position zur Trassenfrage darzustellen. Der Berliner Fahrgastverband IGEB schließt sich den Bewertungen und Schlussfolgerungen an.
Die immer wieder geforderte und in den langfristigen Planungen enthaltene Verlängerung der Straßenbahn nach Moabit wirft ihre Schatten voraus. Da sich zwischenzeitlich eine Favorisierung der Straßenbahntrasse über Alt-Moabit abzuzeichnen schien – anders ist die Anweisung, die Umbauplanungen für den Kleinen Tiergarten Ost aufzuschieben, nicht zu verstehen – sollen nachfolgend Vor- und Nachteile aufgeführt werden.
Die derzeit im Bau befindliche Trasse vom Altbezirk und heutigen Ortsteil Mitte verläuft bis zur Lehrter Straße zweigleisig und teilt sich dann als Kehrschleife in ein Gleis auf der Invalidenstraße nach Moabit und ein von der Kehrschleife über die Clara-Jaschke-Straße kommendes Gleis. Das Gleis auf der Invalidenstraße liegt außermittig, so dass Platz für den Bau eines zweiten Gleis (von Moabit) bleibt. Das Gleis nach Moabit biegt derzeit links nach Alt- Moabit Richtung Osten ein und erhält dort eine Ausstiegshaltestelle, um danach wiederum links zur Kehranlage in der Emma- Herwegh-Straße abzubiegen (Blockumfahrung um das Polizeigelände).
Ausgangspunkt für eine Verlängerung nach Moabit ist demnach der Knoten Invalidenstraße/ Alt-Moabit. Die zweigleisig ausgebaute Trasse böge nach rechts in die Straße Alt-Moabit in Richtung Westen ab (der breite Mittelstreifen diente schon früher der Straßenbahn). Von hier sind zwei Trassenvarianten denkbar:
Gegenüber einer Führung über Rathenower Straße ist die geradlinige Führung um etwa 240 Meter kürzer. Dem steht aber das Nadelöhr der Straße Alt-Moabit zwischen Kirchstraße und Stromstraße gegenüber. Derzeit ist die Fahrbahn etwa 11 Meter breit, es können also nicht die theoretisch denkbaren 2 x 2 Fahrspuren markiert werden. Die fehlende Breite allein für den Kfz-Verkehr könnte durch die Änderung des Parkstreifens an der Nordseite von Schrägparken zu Längsparken gewonnen werden. Für die Hinzufügung einer Straßenbahntrasse müsste aber vermutlich in die Parkanlage eingegriffen werden, um die nötige Verbreiterung für eine eigene Trasse zu erreichen. Da Alt-Moabit zum sogenannten „Kleinen Hundekopf“, der innerstädtischen Ringstraße, gehört (Stufe II – übergeordnete Straßenverbindung), wären durch diesen Engpass gegenseitige Behinderungen zwischen öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und Kfz-Verkehr zu erwarten.
Böge die Straßenbahntrasse dann rechts in die Stromstraße und danach links in die Turmstraße ein, um dort eine Haltestelle U-Bahnhof Turmstraße zu erreichen, würde einerseits die Länge zwischen den Haltelinien/ Fußgängerfurten von unter 60 Metern die Länge der einsetzbaren Züge auf Dauer niedrig halten. Ein Vorteil der Straßenbahn, nämlich die Zugbildung, also mit möglichst wenig Personal möglichst viele Fahrgäste zu befördern, entfiele damit zum Teil. Zudem verringerte eine solche Führung auch die Leistungsfähigkeit des Doppelknotens Alt-Moabit bzw. Turmstraße/Stromstraße. Derzeit gibt es de facto zwei Ampelphasen: Beide Ost-West-Straßen haben Fahrt oder die Nord-Süd-Straße. Diese müssten für das zweimalige Abbiegen eingeschränkt werden bzw. es müsste für eine zügige Fahrt ohne Halt der Straßenbahn durch die SKurve eine dritte Phase geschaltet werden, in der der Kfz-Verkehr größtenteils halten muss.
Dieses Manko ließe sich vermindern, wenn die Straßenbahn erst in der Thusneldaallee auf die Turmstraße wechselte, allerdings muss hier erst recht schaltungstechnisch auf eine Durchfahrt der gesamten S-Kurve geachtet werden, da die Thusneldaallee zwischen den Fußgängerfurten nur rund 30 Meter lang ist. Sollte die Straßenbahn hier zum Halten genötigt werden, könnten nur die kürzesten Solofahrzeuge (GT6N) eingesetzt werden, eine Zugbildung wäre für immer ausgeschlossen.
Ebenso brächte die Anlage der Haltestelle Probleme mit sich, da hier aufgrund hoher zu erwartender Umsteigerzahlen Bahnsteige für die Fahrgäste zwingend sind. Diese sind bei der derzeitigen Fahrbahnbreite nicht ohne weiteres zu realisieren, an dieser Stelle ist darüber hinaus der Kleine Tiergarten schon im Umbau begriffen. Eine vorläufige Stumpf-Endstelle für Zweirichtungsfahrzeuge (ein Gleis und eine Weiche oder zwei Gleise und zwei Weichen oder ein Weichenkreuz) wäre auf dem westlich der Thusneldaallee sehr breiten Mittelstreifen (ehemals Straßenbahntrasse) denkbar.
Die Straßenbahn böge vom breiten Mittelstreifen in Alt-Moabit auf den ebenfalls breiten Mittelstreifen in der Rathenower Straße (beides ehemalige Straßenbahntrassen) rechts ab, verließe also hier schon den „Kleinen Hundekopf“. Aufgrund des Ausmaßes des Knotens wären großzügige Radien, höhere Geschwindigkeiten der Straßenbahn und damit kürzere Räumzeiten möglich. Zudem ist die Rathenower Straße längst nicht so stark durch Kfz-Verkehr belastet wie die Stromstraße, die Behinderungen für den Kfz-Verkehr wären also geringer als in der Stromstraße.
Darüber hinaus ist die Turmstraße auf ihrer ganzen Länge derzeit mit 20 bis 22 Metern Gesamtfahrbahnbreite ausgestattet, es sind 2 mal 3 Fahrspuren auf den jeweils 9 Meter breiten Einzelfahrbahnen abmarkiert. Genutzt werden diese jedoch derzeit zum Parken (jeweils eine Spur) und zum Be- und Entladen bzw. als Fahrradspur (jeweils eine Spur), und es steht normalerweise nur jeweils eine Fahrspur pro Richtung durchgehend dem fließenden Verkehr zur Verfügung. Das heißt, dass sich die Turmstraße aufgrund ihrer Überdimensionierung und ihrer geringeren Belastung (sowohl Turm- als auch Rathenower Straße gehören zur Stufe III – örtliche Straßenverbindung) sehr viel besser für den Einbau eine Straßenbahntrasse eignet als die Straße Alt-Moabit mit dem Nadelöhr zwischen Kirchstraße und Stromstraße. Ein Eingriff in den Kleinen Tiergarten wäre bei dieser Variante nicht nötig.
Da die Straßenbahn sich am Knoten Turmstraße/Stromstraße schon auf der Turmstraße befände, wäre keine zusätzliche Ampelphase von Nöten, da die Straßenbahn mit dem Ost-Westverkehr mitschwömme. Durch eine Führung über die Turmstraße würde also die Leistungsfähigkeit des Doppelknotens Alt-Moabit bzw. Turmstraße/Stromstraße für den Kfz-Verkehr nicht nennenswert eingeschränkt werden, betroffen wären nur Linksabbieger.
Der wichtigste Vorteil liegt jedoch in der besseren Erschließung im östlichen Moabit: Eine Trassenführung über Alt-Moabit bevorzugt das Gebiet südlich Alt-Moabit, das schon durch die S-Bahn mit dem Bahnhof Bellevue angebunden ist, während der Bereich nördlich der Turmstraße keinen entsprechend günstig liegenden Schienenanschluss aufzuweisen hat.
Die AG Verkehr im Moabiter Ratschlag e. V. spricht sich deshalb klar für eine Führung der Straßenbahn über Rathenower Straße und Turmstraße aus, weil diese Führung mehr betriebliche und verkehrliche Vorteile bietet.
Arbeitsgruppe Verkehr im Moabiter Ratschlag e. V.
aus SIGNAL 3/2013 (Juli 2013), Seite 9-11