Berlin

Guter SEV, schlechter SEV

S 1 (S-Bahn) gegen M 1 (BVG)


IGEB Stadtverkehr

8. Jul 2013

Vor genau zwei Jahren hatten wir im SIGNAL 3/2011 den Themenschwerpunkt „Bauarbeiten im Test”, bei dem wir beispielhaft an einigen größeren Baumaßnahmen bei BVG und S-Bahn Durchführung und Informationsfreudigkeit der Verkehrsunternehmen ausgiebig testeten und bewerteten – mit eher unterirdischen Ergebnissen. Zwei Jahre; das bedeutet, Zeit genug um zu überprüfen, ob aus den Fehlern gelernt wurde.

Exemplarisch haben wir uns dazu zwei ähnlich schwere Baustellen bei der S-Bahn und der Straßenbahn der BVG im selben Zeitraum gesucht. Passenderweise hat es beide Male die Linie 1 erwischt.

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Einmal die S-Bahn-Linie S 1 im Süden Berlins auf dem Abschnitt in Zehlendorf und dann die im Norden befindliche Straßenbahnlinie M 1 in Pankow.

S 1-Ersatzverkehr

Hier hat sich die S-Bahn GmbH viel Mühe gegeben. Zum einen hat sie zuvor die Fahrgastverbände zu den geplanten Bauinformationen befragt und sogar noch kurzfristig Verbesserungsvorschläge umgesetzt – ein ganz großer Pluspunkt. Zum anderen wurden bei der Fahrgastinformation fast alle Register gezogen und gut vorgeplant.

Zwei Ersatzverkehrs-Buslinien mit unterschiedlicher Haltekonzeption, an den Bahnhöfen Fußtapsen, Aufsteller, Wegweiser und Aufkleber, außerdem Extra-Faltblätter, Artikel in der Kundenzeitschrift und auf der Homepage, Ansagen in den Zügen – die Faltblätter wurden sogar in den Zügen von Mitarbeitern verteilt, die jede Rückfrage kompetent beantworten konnten.

Benotung erfolgt nach Schulnoten mit dem Punktesystem von 1+, 1 und 1- für „sehr gut” bis 6 für „ungenügend”.
Auf den Wegen zu den SEV-Haltestellen der S-Bahn wurden auch große Schilder mit Wegpfeilen und Lageskizze aufgestellt. Foto: Holger Mertens
Wünschenswert wären Richtungsangaben groß direkt am Haltestellenschild gewesen, zusätzlich zur kleinen Angabe auf den Fahrplanaushängen. Foto: Holger Mertens

Einige Tage vor der Sperrung gab es zusätzlich einen Max-Bahnbautreff auf dem Bahnsteig Mexikoplatz, zu dem man vielen Verantwortlichen aus den Fachabteilungen bei der S-Bahn Fragen stellen konnte und hochkompetente Antwort erhielt. Denn die Gesprächspartner waren aus den Fachabteilungen und zeichneten daher selbst für die Planung des SEV verantwortlich. Für die eigene Arbeit persönlich bei den Fahrgästen einzustehen, ist dabei beispielhaft und muss hoch angerechnet werden.

Leider hat man sich aber auch einige wenige Schnitzer erlaubt. So fehlten an den Haltestellenschildern entsprechend große Beschriftungen für die Richtung. Auch waren einige Haltestellenstandorte etwas ungünstig gelegen. Diese sollten, wenn BVG-Haltestellen in die gleiche Richtung bestehen, nach Möglichkeit an derselben Stelle liegen. Nicht verantwortlich ist die S-Bahn GmbH allerdings dafür, dass die vom Expressbus bediente BVG-Haltestelle Potsdamer Chaussee/Lindenthaler Allee hinsichtlich Lage der Haltestelle und der Wartehalle besonders fahrgastunfreundlich ist (siehe SIGNAL 4/2012 ).

Alles in allem ist die S-Bahn Berlin GmbH mit dieser Ersatzverkehrsorganisation aber nur haarscharf an der Bestbewertung vorbeigeschrammt. Besonders die gute Vorplanung und hervorragende Zusammenarbeit haben dies möglich gemacht. Für ein „sehr gut” hat es jedoch noch nicht gereicht.

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M 1-Ersatzverkehr

Bei der BVG läuft das anders ab. Hier arbeitet man anscheinend meist gegeneinander und im Zweifelsfall gegen den Fahrgast. Beispiele folgen unten. Bei der Straßenbahn M 1 wurde über einen weitaus längeren Zeitraum gebaut, wobei gleich mehrere Abschnitte unterbrochen wurden. Bestimmend für den Gesamtzeitraum waren aber die Gleisbauarbeiten in der Grabbeallee mit der Herstellung barrierefreier Haltestelleninseln für die Station Bürgerpark Pankow.

In der Friedrich-Engels-Straße wurde ebenfalls umgebaut, was jedoch nur den Abschnitt nach Rosenthal Nord betrifft. Im Sperrschatten wurden ebenfalls einige Asphaltarbeiten in der Schönhauser Allee und der Berliner Straße durchgeführt, was zu drei unterschiedlichen Betriebsphasen führte:

In Phase 1 war der Abschnitt zwischen Pankow Kirche und U-Bahnhof Eberswalder Straße bzw. S-Bahnhof Bornholmer Straße gesperrt, in Pankow bestand ein Straßenbahn-Inselnetz. Phase 2 weitete den Ersatzverkehr dann auf das gesamte Pankower Netz aus. In Phase 3 fuhr die 50 dann wieder normal und die M 1 wurde aus der Innenstadt kommend ab Pankow Kirche wie die 50 geführt, so dass der Ersatzverkehr nur noch zwischen S+U Pankow und Rosenthal Nord bzw. Schillerstraße bestand.

M 1-Ersatzverkehr in Pankow. Grafik: BVG-Kundeninformation
SEV-Haltestelle der M 1 am Bahnhof Pankow. Fahrplanlose und auch sonst äußerst informationsarme Ersatzhaltestellen waren nicht Ausnahme sondern die Regel. Dabei sind Fahrgäste bei Bauzuständen besonders informationsbedürftig. Fahrpläne mit korrektem Linienverlauf und leicht verständlicher Baumeldung (am besten mit Skizze) sind daher Pflicht. Foto: Holger Mertens
SEV M 1: die linke Grafik zeigt, wie kompliziert geschildert wurde im Vergleich zur tatsächlichen Betriebsführung (rechts) Grafik: Holger Mertens
Betriebsführung zur Bauphase 2… Grafik: Holger Mertens
... und zur Bauphase 3. Grafik: Holger Mertens
Benotung erfolgt nach Schulnoten mit dem Punktesystem von 1+, 1 und 1- für „sehr gut” bis 6 für „ungenügend”.
Auswirkungen des BVG-Beschilderungs-Unsinns
Zur Bauphase 3 wurden sogar die Busse Richtung Rosenthal Nord bei den Echtzeitdaten mit „Schillerstr” beschildert. m.bvg.de
Beschilderungsfalle: Selbst am U-Bahnhof Eberswalder Str hat man die Züge mit dem Planziel beschildert und damit nicht wenige Fahrgäste hier auf die Straßenbahn warten lassen. Doch die Fahrt endete dann nur wenige Meter später direkt hinter der Kreuzung. Foto: Holger Mertens
Zu Beginn der zweiten Bauphase hat man die SEV-Haltestelle der Linie 50 zurück zur Stammhaltestelle verlegt, wie es richtig auf den DAISY-Anzeigern dargestellt wurde. Leider hat man aber vergessen, den Busfahrern Bescheid zu geben, die die ersten Tage allesamt weiterhin an den wartenden Fahrgästen an dieser Haltestelle durchfuhren und an der alten, eigentlich bereits außer Betrieb gesetzten Haltestelle hinter der Kreuzung hielten. Foto: Holger Mertens
Normalerweise fahren auf der M 1 stets überfüllte 30-Meter-lange Straßenbahnen alle 10 Minuten. Diese hat man versucht, mit je nur einem Bus (teilweise nur 12-Meter-Eindecker) mit knappen Fahr- und kurzen Wendezeiten zu ersetzen, was zu unzumutbaren Fahr- und Taktzeiten führte. Hinweise auf die Umfahrungsalternative U 2 wurden nicht gegeben. Foto: Holger Mertens
Foto: Holger Mertens
Am S- und U-Bahnhof Pankow (links) warten viele Fahrgäste an der Kombihaltestelle für Bus und Straßenbahn. Vergeblich, denn zum Zeitpunkt der Aufnahme war die Haltestelle außer Betrieb, was weder auf dem deaktiviertem DAISY-Anzeiger zu sehen war noch an den Haltestellensäulen (rechts) besonders „prominent“ kommuniziert wurde. Foto: Holger Mertens

Doch so konnte oder wollte man das den Fahrgästen gegenüber nicht kommunizieren. Es gab nur nichtssagende Aufsteller, falsche oder fehlende Fahrpläne und irreführende Internetmeldungen. Dabei wäre die BVG ihren Kunden bei einer so großen Maßnahme, die zwei Monate, drei Bauphasen und einen Großbezirk umfasst, mindestens ein Sonderfaltblatt schuldig gewesen. Es hat aber nicht einmal für die fehlerfreie Information der eigenen Mitarbeiter gereicht. So wurden von den Ersatzbussen teilweise falsche Haltestellen angefahren.

Problematisch war vor allem die Beschilderung der Fahrzeuge und an den Haltestellen. Statt auf den Ersatzverkehr hinzuweisen, wurden die Fahrgäste hier wieder unnötig in die SEV-Falle gelockt. Üblich und sinnvoll (und eigentlich auch vorgeschrieben) ist es, an der Front und den Seiten des Fahrzeuges das Ziel der Fahrt zu beschildern, also die Haltestelle, wo das Fahrzeug hinfährt und endet.

Die BVG hat sich jedoch andere Regeln gegeben. Demnach soll auch bei Bauarbeiten immer das eigentliche Endziel der Linie geschildert werden, wenn (und jetzt kommt der wichtige Teil) die durchgehende Fahrt sichergestellt ist. Das heißt, wenn überall gesicherte 1:1-Anschlüsse ohne nennenswerte Fahrtzeitverlängerung bestehen, was hier definitiv nicht der Fall war.

Die Auswirkungen dessen waren vielfältig und allesamt fahrgastfeindlich. Exemplarisch haben wir sie einmal nebenstehend für die erste Bauphase dargestellt. Eine umfassende Betrachtung würde den Rahmen dieses Heftes sprengen.

Die BVG kommunizierte: „Der Ersatzverkehr hält, soweit möglich, an den bzw. in Höhe der Straßenbahnhaltestellen”

Nein, das tat er nicht. Vielmehr schien es, als ob man sich besondere Mühe gegeben hätte, die Ersatzhaltestellen so schwer auffindbar wie nur irgend möglich zu machen. Im Abschnitt Rosenthal Nord lagen diese teilweise über 700 m entfernt in einer Parallelstraße. Hinweis an der Haltestelle? Fehlanzeige!

Beschwerdemanagement mit Lösungsvermeidestrategien

Als die Mängelliste bei den IGEB-Testern immer länger wurde, entschieden sie sich in Anbetracht des noch lange andauernden Bauzeitraums, einzugreifen. So haben sie mehrfach Kontakt mit der BVG-Hotline aufgenommen und auf die vielfältigen Mängel hingewiesen. Einige wenige wurden kurz darauf sogar behoben, einige aber auch verschlimmbessert.

Jedes Mal wurden auch die Kontaktdaten hinterlegt, da die Hinweise aufgrund ihrer Fülle durch das „Stille-Post-Syndrom” zu verpuffen drohten. Anstatt aber zurückzurufen, hat die „Fachabteilung”, zu der die Hinweise weitergeleitet wurden, sich für die langsamste Kontaktmöglichkeit entschieden. Kein Anruf, keine E-Mail, ein Brief per Post kam bei einem Tester einige Tage später ins Haus. Einfach nur „dumm gelaufen” oder eine Lösungsvermeidestrategie? Schließlich sind SEV-Probleme in der Regel sehr zeitsensitiv. Da den klassischen Postweg zu wählen, ist unverständlich.

Abschließend bleibt eigentlich nur zu sagen, dass das Schulnotenprinzip gar nicht ausreicht, diese wirklich miese Leistung entsprechend zu würdigen. Null von 15 erreichbaren Punkten, also die Note 6 zu erhalten, ist beinahe noch schwieriger, als eine 1+ zu bekommen.

Es besteht Handlungsbedarf!

Dies alles offenbart grundlegende Struktur- und Managementfehler bei der BVG und dringenden Handlungsbedarf:

Unter den zwölftausend Mitarbeitern der BVG gibt es mit Sicherheit Personen, die das können. Auch eine Beratung mit Fahrgastverbänden vor (!) den Bauarbeiten kann so manchen Mangel oder Fehler vermeiden – siehe oben. (hm)

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IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 3/2013 (Juli 2013), Seite 12-15