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Vorfahrt für Verkehrsprojekte Europäische Einheit

Klare Priorität für die Eisenbahnverbindungen nach Osteuropa statt teurer Prestigeprojekte - das ist die Forderung der Grünen im Europäischen Parlament für die Finanzierung der Transeuropäischen Netze (TEN). Mit einer fraktionsübergreif enden Initiative soll erreicht werden, daß die Gelder der EU vorrangig und zielgerichtet für das umweltfreundliche Zusammenwachsen des Kontinents eingesetzt werden.


Michael Cramer, MdEP, Verkehrpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament

1. Mai 2005

Ein Jahr nach der EU-Osterweiterung und mehr als 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind gerade die Eisenbahnverbindungen gen Osten noch immer in einem schlechten Zustand. Die Züge auf der Verbindung von Berlin nach Tallin brauchen heute mehr als doppelt so lange wie im 19. Jahrhundert. Damals schaffte die Dampflokomotive die Strecke in 27 Stunden, heute ist man 60 Stunden unterwegs. Von der deutschen Hauptstadt nach Breslau dauerte es einst lediglich zweieinhalb Stunden, heute sind es sechs. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Angesichts des stetig wachsenden Verkehrs zwischen den alten und neuen EU-Mitgliedern ist diese Situation untragbar.

Insbesondere der Güterverkehr, den solche Rahmenbedingungen geradezu auf die Straße drängen, wird mehr und mehr zu einer schweren Belastung für die Umwelt, die längst verheerende Folgen zeigt: Laut einer Studie der EU sterben infolge der Luftverschmutzung in Europa jährlich etwa 310.000 Menschen, allein in Deutschland rechnet die Kommission mit 65.000 Opfern. Der Schwerlastverkehr ist einer der Hauptverursacher der gefährlichen Feinstäube.

Transeuropäische Netze

Europa braucht ein dichtes und zeitgemäßes Netz an Eisenbahnverbindungen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Die Transeuropäischen Netze (TEN), sozusagen der europäische Bundesverkehrswegeplan, haben einige der notwendigen Maßnahmen aufgeführt. Doch vom Plan zur Realität ist es bekanntlich ein langer Weg, der eine entscheidende Hürde nehmen muß: die ausreichende finanzielle Ausstattung. Derzeit laufen in der EU die Verhandlungen über die Brüsseler Ausgaben in den Jahren 2007 bis 2013. Dabei geht es auch um die Frage, in welchem Umfang die 30 geplanten Verkehrsprojekte finanziert werden. Selbst bei positiven Prognosen ist klar: Das Geld in nationalen Budgets wie auch auf EU-Ebene wird nicht ausreichen, um alle Projekte ausreichend auszustatten.

Die Grünen wollen deswegen klare Prioritäten setzen - zugunsten der Schienenverbindungen zwischen den alten und neuen EU-Mitgliedsländern der EU, für die „Verkehrsprojekte Europäische Einheit" Denn bei knappen öffentlichen Mitteln muß politisch entscheiden werden, was Vorrang hat. Im Verkehrsausschuß des Europaparlaments wollte sich die Mehrheit aber nicht auf vorrangige Ziele festlegen. Alle 30 Projekte, so der Beschluß gegen die Stimmen der Grünen, sollten gleichwertig gewichtet sein. Mit diesem Beschluß hat der Ausschuß aus den Transeuropäischen Netzen eine Wunschliste nationaler Egoismen gemacht.

Zweifelhafte Prestigeprojekte

Die Verbesserung des Bahnverkehrs nach Osteuropa muß in der erweiterten EU Priorität erhalten. Das Bild zeigt einen der wenigen durchgehenden Züge nach Osten: In Frankfurt (Oder) steht am 16. April 2005 die PKP-Lok SU 45-255 mit dem D 1249 nach Saratow (Rußland) bereit zur Abfahrt. Foto: Gerd Böhmer

Damit stehen jetzt gleichberechtigt neben dringend gebotenen Verbindungen zahlreiche Prestigeobjekte, die viel Geld verschlingen werden und verkehrspolitisch von zweifelhaftem Nutzen sind. So findet sich unter den 30 TEN-Projekten der EU auch die Brükke über die Straße von Messina zwischen Sizilien und dem italienischen Festland. Diese Brücke soll „gleichberechtigt" geplant, gebaut und kofinanziert werden, obwohl die Züge zwischen Messina und Trapani heute für die 340 Kilometer tagsüber zwischen 6 und 10 Stunden brauchen und die Bahnlinien auf Sizilien nicht einmal zu 25 Prozent elektrifiziert sind. Und wenn es noch eines zusätzlichen Argumentes bedurft hätte: Die Fehmarnbelt-Brücke zwischen Deutschland und Dänemark ist auch angesichts der mangelhaften Schieneninfrastruktur von Osteuropa eine krasse Fehlentscheidung für Europa.

Die europäischen Grünen wollen, daß das Europäische Parlament ein klares Votum für die Planung, den Ausbau und die Finanzierung der Verbindungen zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern abgibt und den Beschluß des Verkehrsausschusses durch klare Prioritätensetzungen ergänzt und korrigiert. Gemeinsam mit dem ehemaligen polnischen Außenminister und Solidarnosc-Aktivisten Bronislaw Geremek (Abgeordneter der Liberalen), seinem Landsmann Boguslaw Liberadzki (Sozialdemokraten), dem niederländischen Parlamentsmitglied Erik Meijer (Sozialisten/Vereinigte Linke) und dem österreichischen Konservativen Paul Rübig habe ich deshalb im April eine Initiative gestartet, die sich für die besondere Berücksichtigung der Strecken zwischen Ost und West ausspricht. Insbesondere, so die Forderung unserer Schriftlichen Erklärung, sollen die Verbindungen Berlin—Warszawa—Vilnius—Riga—Tallinn (TEN-Projekt Nr. 27) und die Strecken von Wien und Venedig nach Prag, Bratislava, Ljubljana und Budapest (TEN-Projekte Nr. 6, 17, 22) Vorrang erhalten.

Gute Chancen

Um mit unserer „Schriftlichen Erklärung" erfolgreich zu sein, brauchen wir die Unterstützung von mehr als der Hälfte der Abgeordneten im Europaparlament. Die politische Botschaft wird dann vom Parlamentspräsidenten an die EU-Institutionen Rat und Kommission sowie an alle EU-Mitgliedsstaaten überbracht. Die Erfolgschancen stehen nicht schlecht: Das Ziel, die Verkehrsnetze nachhaltig auszubauen und auf diese Weise Ost und West in Europa wieder zu verbinden, hat bereits im Kreis der Erstunterzeichner die Unterstützung aus allen politisch relevanten Fraktionen gewonnen.

Die „Schriftliche Erklärung" ist zu finden auf der Homepage des Europäischen Parlamentes
www.europarl.eu.int/Declaration/ Applica tion/Scrip t/Declara tion_2005. asp?LG_CODE=DE&YEAR_VAL=2005 und auf www.michael-cramer.de/ europa/index.html

Michael Cramer, MdEP, Verkehrpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament

aus SIGNAL 2/2005 (April/Mai 2005), Seite 26