International
EU will grenzüberschreitenden Verkehr und stärkere Fahrgastrechte
1. Sep 2005
Freie Fahrt durch Europa? Das gilt bisher leider nur auf der Straße und in der Luft. Das Eisenbahnnetz in der EU hingegen gleicht bisher noch immer dem berühmten Teppich aus mittlerweile 25 Flicken. Die EU-Kommission will nun den Personenverkehr auf der Schiene für den europaweiten Wettbewerb öffnen - und findet dabei die Unterstützung des Europäischen Parlaments. Das sogenannte III. Eisenbahnpaket, in dem die Maßnahmen für ein Aufbrechen der nationalen Monopole gebündelt sind, ist auf bestem Wege.
Man stelle sich vor: Ein Lkw, der in Litauen startet und bis nach Frankreich will, muss bereits an der Grenze zu Polen seinen ersten Stopp machen. Grund: Fahrerwechsel, denn der Führerschein des Truckers gilt nur im eigenen Land. Dasselbe Spiel würde sich an der Oder wiederholen - und schließlich noch einmal am Rhein, weil der deutsche Fahrer natürlich nicht in Frankreich lenken darf. Gleiches könnte auch mit dem Fahrzeug selbst geschehen, falls es auf fremden Straßen keine Zulassung hat. Ein absurdes Beispiel? Bezogen auf den europäischen Eisenbahnverkehr leider nein. Denn hier sind Landesgrenzen innerhalb der EU noch wahre Hürden. Was bei den Lokführern anfängt, setzt sich bei dem Zugang zu den Netzen fort und findet bei den Fahrgastrechten seinen traurigen Abschluss: Derzeit gibt es keinen zufriedenstellenden europäischen Eisenbahnverkehr.
Die EU will diesen Zustand beenden und hat im vergangenen Jahr das III. Eisenbahnpaket vorlegt, das nach den Vorarbeiten der ersten beiden Pakete den kontrollierten Wettbewerb auf Europas Schienen mit eröffnen soll. Vier Maßnahmen stehen dabei im Mittelpunkt:
Der Verkehrsauschuss im Europäischen Parlament hat die Vorlage der Kommission als Paket begrüßt und wichtige zusätzliche Erfolge erzielt. Im April hat der Ausschuss seine Stellungnahme abgeben, eine Zustimmung des gesamten Europäischen Parlaments im Herbst gilt als sicher. Damit sind die Weichen gestellt für eine europäische Bahnpolitik im Interesse der Fahrgäste.
Der europäische Lok-Führerschein wurde mit großer Mehrheit beschlossen. Damit wird der Fahrerwechsel an der Grenze zwischen den Mitgliedsstaaten überflüssig. Der Richtlinie über die Harmonisierung und Zertifizierung von Triebwagenführern liegen bilaterale Abkommen zwischen den Sozialpartnern ETF (Europäische Transportarbeiter-Föderation) und CER (Gemeinschaft der Europäischen Bahnen und Infrastrukturgesellschaften) zugrunde.
Die Fahrgastrechte sollen gestärkt werden. Der verabschiedete umfassende Katalog orientiert sich am Flugverkehr, um Wettbewerbsnachteile für die Bahn zu vermeiden. Unter anderem sollen einklagbare Entschädigungen im Falle von Verspätungen im Eisenbahn-Personenverkehr aller EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht werden. Der von uns zwischen den Fraktionen initiierte Kompromiss sieht ab einer Stunde Verspätung eine Erstattung von 25 Prozent des Fahrpreises vor, ab zwei Stunden 50 Prozent und ab drei Stunden 75 Prozent.
Der Ausschuss will, dass in allen Zügen-also auch in denen des Eisenbahn-Fernverkehrs - die Fahrrad-Mitnahme ermöglicht wird. Zudem werden die Eisenbahngesellschaften verpflichtet, umfassende Informationen und den Kauf europaweiter Tickets zu garantieren. Der Zugang für mobilitätsbehinderte Fahrgäste muss sichergestellt sein.
Die Öffnung der nationalen Eisenbahnnetze soll auch im Personenfernverkehr stattfinden. Was im Güterverkehr ab 2007 die Regel ist, soll - so der Ausschuss - im grenzüberschreitenden Personenfernverkehr ab 2008, für den restlichen Personenfernverkehr ab 2012 gelten. Das ist der wichtige Anfang einer europäischen Bahnpolitik, in der die Vorteile der weiten Strecken genutzt werden können. Auch nach der Öffnung der Netze und der Einführung des kontrollierten Wettbewerbs sind in der EU 25 Eisenbahngesellschaften vorstellbar. Ihr Einsatz wird in Zukunft jedoch nicht mehr auf die nationalen Netze beschränkt sein.
Einer Entschädigungsregelung im Frachtverkehr, dem vierten Vorschlag der Kommission, haben die Verkehrspolitiker allerdings eine Absage erteilt. Nicht nur die Grünen, auch die Mehrheit im Ausschuss, waren der Ansicht, dass die Entwicklung des Güterverkehrs, für den ab 2007 alle Netze innerhalb der EU geöffnet sind, abgewartet werden sollte, bevor staatliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Gegenwärtig werden Entschädigungsvereinbarungen im Güterverkehr laut Eisenbahn-Unternehmen zu 90 Prozent bilateral abgeschlossen. Was ohne Regelung funktioniert, sollte auch nicht geregelt werden.
Die Öffnung der Netze und die Einführung des kontrollierten Wettbewerbs dürfen aber nicht das Einfallstor für Sozialdumping sein. Auf Antrag der Grünen wurde vereinbart, dass die Kommission bis Ende 2005 einen Rechenschaftsbericht über die bisherigen Erfahrungen mit dem ersten und zweiten Eisenbahnpaket hinsichtlich der sozialen und ökologischen Standards wie auch über die Entwicklung der Passagier- und Tonnagezahlen vorlegen muss. Damit der Rat das Paket nicht einseitig aufschnüren kann, um sich dann „seine" Rosinen herauszupicken, wird das Parlament über die legislative Verbindlichkeit erst nach diesem Erfahrungsbericht entscheiden.
Nach dem Beschluss durch das Europaparlament werden die Verkehrsminister der Mitgliedsstaaten im Rat über das Paket entscheiden. Dass dies unter britischer Präsidentschaftgeschieht, macht eine Forderung der Grünen noch aktueller. Wettbewerb soll es nach unserer Vorstellung nur auf der Schiene geben. Die Netze, die Infrastruktur muss in öffentlicher Hand und unter öffentlicher Aufsicht bleiben. Das britische Beispiel - und auch das estnische - haben gezeigt, dass eine Privatisierung der Infrastruktur unbedingt verhindert werden muss. Der Weg, den die Mitglieder im Verkehrsausschuss einschlagen wollen, bietet hingegen den richtigen Mix: Aufbrechen nationaler Monopole bei gleichzeitig hohen Qualitätsstandards für Beschäftigte und Fahrgäste.
Michael Cramer, MdEP, Verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament
aus SIGNAL 4/2005 (August/September 2005), Seite 26