Sachsen
Ein Buch nicht nur für Leipziger
1. Nov 2005
Es ist schon bemerkenswert, welchen Aufwand von Finanznöten geplagte Behörden oder Unternehmen treiben, wenn es um ihre Außendarstellung geht - wir erinnern uns nur der nobel ausgestatten Publikationen aus dem Hause der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu Zeiten Peter Strieders. Die Deutsche Bahn, welche sonst gar nicht genug an allem und jedem sparen kann, hat nun eine vergleichbare Broschüre über ihr gegenwärtig wichtigstes Projekt in Leipzig herausgebracht - selbstverständlich als Buch mit festem Einband.
Was in München, Stuttgart oder Frankfurt am Main mit viel Tamtam als „Projekt 21" vorgestellt wurde und eher versandete, heißt in der Messestadt bekanntlich „City-Tunnel" und ist gerade in der Ausführung begriffen: Die Unterquerung des Stadtkerns vom Kopf-Hauptbahnhof zu einer Bahnstrecke am südlichen Ende des Zentrums. Genau genommen handelt es sich hier um einen Zwitter aus den „21er-Projekten" und einem jener S-Bahntunnel, den auch Leipzig zweifelsohne längst besäße, hätte die Stadt nicht in der DDR gelegen: An der Pleiße soll nicht der gesamte, in seiner architektonischen Wirkung durch die Umgestaltung zum „Kommunikationsund Dienstleistungszentrum" (so das Buch) demolierte Hauptbahnhof unter die Erde verlegt werden, sondern „nur" einzelne Fernzüge - wohl nicht zuletzt auf der Relation Berlin—München - will man künftig neben S- und Regionalbahnen durch den Tunnel führen.
So fragwürdig derlei Großprojekte grundsätzlich sind - auf dieses haben die Leipziger fast schon ein historisches Anrecht, denn in den letzten hundert Jahren verhinderten immer wieder die Zeitläufe und die daraus resultierenden ökonomischen Verhältnisse den Bau einer solchen Verbindung. So wäre Leipzig ohne den Ersten Weltkrieg vermutlich die dritte deutsche U-Bahn-Stadt geworden - das dortige Projekt scheint jedenfalls weiter gediehen gewesen zu sein als beispielsweise das Münchner.
Kurt Ackermann, 1967 bis 1980 Leiter des Büros für Verkehrsplanung der Kommune, danach Dozent und Professor für Verkehrsplanung an der TU Dresden, bestreitet den Hauptteil des Buches mit einer Darstellung der Bedeutung des Leipziger Verkehrs für die Entwicklung derStadt und derdiversen Pläne für eine Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Bayerischem Bahnhof, zu denen sogar eine Einschienenbahn gehörte. Auch andere oberirdische Lösungen erwog man noch in den 1970er Jahren, ebenso jedoch unterirdische Straßenbahnstrecken, wobei sich bald herausstellte, daß der Aufwand kaum in einem angemessenen Verhältnis zum erzielten Nutzen gestanden hätte.
Nicht bezweifelt wird dieser Nutzen jedoch für den jetzt beschlossenen Tunnel, der Ende 2009 in Betrieb gehen soll, allerdings mit einem nicht ganz sinnfälligen Linienkonzept: Derweil es S-Bahnverkehr bis nach Dessau und Zwickau geben soll, verkehrt zum Flughafen Leipzig-Halle die Regionalbahn. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, wie schnell die beliebte Vorgehensweise, alle S-Bahnlinien - in Leipzig übrigens in einem 15-Minuten-Grundtakt - auf einer zweigleisigen Strecke zu bündeln, wie viele Störungen produzieren wird.
Die Darstellung der jüngsten Planungsgeschichte ist ebenso knapp wie erschöpfend. Und über Verschlechterungen - wie zur Stilliegung vorgesehene Strecken und Stationen oder die in Frage gestellte Straßenbahn nach Markkleeberg - wird natürlich nicht groß geschrieben.
Insbesondere den von den jahrzehntelangen Hervorbringungen der Senatsbauverwaltung geplagten Berliner Fahrgästen zeigt der Band nebenbei auch, wie edel, großzügig und zeitlos unterirdische Stationen gestaltet werden können: Die vier unterirdischen Haltepunkte in Leipzig, im Gegensatz zur Strecke in offener Bauweise erstellt, werden zum großen Teil stützenfrei ausgeführt und wo möglich als hohe, lichte Hallen.
Alles in allem: Lesenswert - nicht nur für Leipziger.
City-Tunnel Leipzig. Chronik einer Eisenbahnverbindung vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Von Kurt Ackermann, Andreas Glowienka, Reinhard W. Heinemann, Dietmar Ludwig, Carsten Schulze, Walter Stein. Strom & Strom Verlag, Leipzig 2004, 14,95 Euro
Jan Gympel
aus SIGNAL 5/2005 (Oktober/November 2005), Seite 16