Aktuell
Die Pläne zur Abkopplung des Bahnhofs Zoo vom Fernverkehr sind keine Überraschung - und die Argumentation dagegen ist teilweise falsch.
1. Jan 2006
Groß war die Aufregung, als vor Monaten die Meldung durch den Blätterwald rauschte, im Mai 2006 solle der Bahnhof Zoo den Fernverkehr verlieren. Dabei hatte die Bahn AG nur offenbart, was seit langem jeder erwarten konnte, der ihr Gebaren in der jüngsten Vergangenheit ein wenig beobachtet hatte oder aber die Entwicklung großer Bahnhöfe und Flughäfen.
Schließlich glauben nur naive Menschen und Nostalgiker noch immer, eine solche Einrichtung sei vor allem dazu da, eine Reise anzutreten oder zu beenden. Ein Airport wie Tegel, ganz darauf bedacht, den Weg zwischen dem Taxi und dem Flugzeug so kurz wie möglich zu halten - weshalb man kaum hundert Meter benötigt, um die Anlage zu durchschreiten - ist heutigen Flughafenbetreibern ein Graus und gilt längst als fürchterliche Fehlplanung. Heutzutage dauern die Wege durch die Airportlabyrinthe und das Warten (natürlich in großen Sälen, wo noch einmal viele Konsumangebote gemacht werden) oft länger als der eigentliche Flug: Es gilt, die Passagiere und die Besucher so lange wie möglich in dem Gebäude zu halten und an so vielen Geschäften und Ständen wie möglich vorbeizuleiten. Die Bahn, welche auch sonst überall dem Flugzeug nacheifert - von der Gestaltung ihrer Fahrkarten bis hin zum Einsatz von Großraumwagen - nimmt sich natürlich auch dies zum Vorbild. Erinnert sich schon niemand mehr daran, dass der Umbau einer Eisenbahnkathedrale wie Leipzig Hauptbahnhof zum Einkaufszentrum ausdrücklich für wegweisend erklärt wurde?
Und was ist mit den Überlegungen, ob man den auf vier Gleise ausgelegten neuen Berliner Nord-Süd-Tunnel nicht zunächst nur mit zwei Gleisen versehen sollte? Der DB AG schwante also selbst, dieses Prestigeprojekt könnte überdimensioniert wenn nicht gar weitgehend überflüssig sein. Um dies nicht eingestehen zu müssen, wird nun soviel Verkehr wie möglich auf die neue Trasse verlagert, also von der Stadtbahn abgezogen. Da schrumpft es fast schon zum - natürlich höchst angenehmen - Nebeneffekt, dass man auf diese Weise viele Fahrgäste in den neuen Lehrter Bahnhof zwingt - denn sonst könnten auch an dessen Notwendigkeit Zweifel aufkommen und,noch viel schlimmer, die schönen Gewerbeflächen nicht lukrativ und vollständig vermietet werden.
Vielleicht wäre das letztgenannte Ziel auch einfacher zu erreichen gewesen, hätte man den „größten Kreuzungsbahnhof Europas" (auf dem sich bald kaum mehr Fernverkehr kreuzen dürfte) nicht in einer denkbar öden Ecke der Innenstadt errichtet - vergleichbar jener in Friedrichshain, wo sich die Station befindet, die ebenfalls schon einmal propagandabedingt und einem gewissen Größenwahn geschuldet zum „Hauptbahnhof" umetikettiert wurde. Doch offenkundig ist der Ostbahnhof so unbedeutend, dass bestenfalls am Rande zur Kenntnis genommen wird, dass auch er sobald wie möglich zur Regionalstation degradiert werden dürfte.
Nicht nur mit dieser Ignoranz wird es der DB AG von ihren Gegnern leicht gemacht: Da jammern die einen, mit der Verlegung des Fernverkehrs würde sich die Anreise für viele Bewohner westlicher Stadtteile deutlich verlängern, gar die Zeitersparnis wieder aufgewogen, welche etwa durch den Ausbau der Hamburg-Strecke gerade erst gewonnen worden sei. Als wenn die Bahn nicht die Züge zur Alster auch dann nicht mehr über Zoo fahren lassen würde, wenn die Verbindung nicht beschleunigt worden wäre. Andere wiederum erklären gar, „West-Berlin" werde nun von jeglichem Fernverkehr abgeschnitten. Als wenn sich der Lehrter Bahnhof nicht im britischen Sektor befunden hätte. Und Papestraße - ebenfalls in einem wenig Urbanen Siedlungsbrei gelegen, aber für Steglitzer, Tempelhofer oder Neuköllner deutlich näher als Zoo- im amerikanischen. Richtig ist, delikaterweise, das genaue Gegenteil der West-Berlin-Klagen: Schon bald hält vermutlich kaum mehr ein Fernzug im ehemaligen Ostteil der Stadt.
Insofern liegt es auf der Hand, wie die DB AG ihre Pläne demnächst verkaufen dürfte: Gegner werden als notorisch anpassungsunwillige Frontstadtnostalgiker dargestellt, welche die neuen Zeiten allgemein und die glorreiche Zukunft der Bahn im besonderen behindern und fraglos am liebsten die Mauer zurückhaben wollen. Im so legitimierten Schlechtreden der Gegend um Zoo und Ku'damm hat man in Berlin in den letzten Jahren ja schon viel Routine entwickelt, mit handfesten Folgen: vom fast vollständigen Niedergang der dortigen Kinolandschaft bis hin zu schaurigen Bausünden vor allem rund um die Joachimstaler Straße. Das „neue Berlin", wird man folglich erklären, bewundert den in einer Sparversion ausgeführten „Hauptbahnhof" (mit dessen Namensgebung Berlin endlich auf das Niveau von Bonn, Bielefeld oder Kaiserslautern gebracht wird) als Perle der Architektur und grandioses Bauwerk - derlei hat bei dem Einkaufszentrum am Potsdamer Platz samt der es umgebenden trostlosen Profitmaximierungsarchitektur ja auch hervorragend funktioniert.
Zudem wissen Mehdorn und seine Mannen natürlich, welches die - nach oder sogar neben Arbeitsplätzen - stets wirksamste Argumentationskeule ist: die Sicherheit. Wollen die Bahnbosse doch erkannt haben, wie geradezu gemeingefährlich der Bahnhof Zoo ist, weil sich auf seinen Perrons, auch angesichts der zahlreichen dort haltenden Züge, zeitweilig zu viele Menschen drängeln würden. Angesichts dessen freuen wir uns schon sehr auf unglaublich breite, von keinerlei Kommerzoder Designschnickschnack verbaute Bahnsteige im „Hauptbahnhof" Und insbesondere darauf, wie die ICEs und sonstigen Fernzüge durch den Regionalbahnhof Potsdamer Platz im Schritttempo schleichen werden - aus Sicherheitsgründen, denn breiter als am Zoo sind die dortigen Bahnsteige auch nicht, und wenn schon haltende und anfahrende Züge so unglaublich gefährlich sind, welche Gefahr stellen dann erst durchfahrende dar?
Jan Gympel
aus SIGNAL 6/2005 (Dezember 2005/Januar 2006), Seite 6