Aktuell

Schienenersatzverkehr zum Hauptbahnhof

Das BVG-Busliniennetz ab Mai 2006


Berliner Fahrgastverband IGEB

1. Jan 2006

Als Anfang der 1990er Jahre über „dezentrales Ring-Konzept" contra „Achsenkreuz-Konzept mit Zentralbahnhof" diskutiert wurde, spielte die mangelhafte Anbindung eines Zentralbahnhofs mit den städtischen Nahverkehrsmitteln eine wichtige Rolle. Um dieses Argument zu entkräften, planten Bahn und Senat, den neuen Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof mit neuen S-Bahn-, U-Bahn- und Straßenbahn-Strecken besser zu erschließen. Doch weder die DB (S21) noch der Senat (U 5 und M 10) erledigten ihre Hausaufgaben. Nun sollen Busse dieses Versäumnis kompensieren.

Der südliche Bahnhofsvorplatz (Washigtonplatz) ist schon teilweise fertiggestellt. Die Busse und später die Straßenbahnen werden aber zentral an der Nordseite in der Invalidenstraße abfahren. Foto: Florian Müller

Bisher ist der Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof auf der Schiene nur über die in West-Ost-Richtung verlaufende Stadtbahnstrecke mit den S-Bahnlinien S 5, S 7, S 75 und S 9 erreichbar. Mit Inbetriebnahme der Fern- und Regionalbahnsteige kommen im Mai 2006 die Regional-Express-Linien RE 1, 2, 3,4, 5 und 7 sowie die Regionalbahnlinie RB 14 hinzu. Die S-Bahnlinien erschließen jedoch nur die Ost-West-Richtung für die innerstädtische Feinverteilung. Insbesondere die fehlende S-Bahnanbindung in Nord-Süd-Richtung führt dazu, dass der künftige Hauptbahnhof aus großen Teilen der Stadt nur mit langen Anfahrtswegen und mehrfachem Umsteigezwang erreichbar sein wird. Auch die mehrjährige Verschiebung der Straßenbahnverbindung zur Invalidenstraße wird sich auswirken. Die Verschiebung der „Spielzeugbahn" U 55 auf 2007 ist demgegenüber zu verschmerzen (siehe auch Seite 9).

TXL und M 41

Als einzige Verbesserung der innerstädtischen Verkehrsanbindung verbleibt der BVG-Busverkehr. Durch das neue - zwischenzeitlich auch auf Anregung der IGEB von der BVG nachgebesserte - Busliniennetzkonzept wird die Anbindung des neuen Bahnhofs wenigstens aus den benachbarten Ortsteilen tatsächlich deutlich verbessert. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört die Führung der Omnibuslinie TXL vom Flughafen Tegel mit neuem Schlenker zum Hauptbahnhof und weiter über Kapelleufer, Luisenstraße und Unter den Linden zum Alexanderplatz im (fast) ganztägigen 10-Minuten-Takt. Mit einem ähnlich attraktiven Fahrplanangebot wird auch die OL M 41 verkehren, die aus Neukölln/Kreuzberg kommend vom Potsdamer Platz bis zum Hauptbahnhof verlängert wird und hier den 123er ersetzt.

240er und 245er

Die Buslinienanbindung des neuen Hauptbahnhofs wird zum 28. Mai 2006 deutlich verbessert. Aber die fehlende Anbindung durch die S-Bahnlinie 21 und die Straßenbahnstrecke auf der Invalidenstraße können damit nicht kompensiert werden. Grafik: BVG

Der 240er und der 245er werden insbesondere für die fehlenden Straßenbahnlinien M 8 und M 10 einen Straßenbahn-Vorlaufbetrieb darstellen. Die OL 245 wird zwar verkürzt und künftig am S-Bf Nordbahnhof enden, erhält dort aber Anschluss an die zum Mai 2006 über die Neubaustrecke Bernauer Straße verlängerte Straßenbahnlinie M 10. Der 245er wird zwischen U-Bf Turmstraße ganztägig und bis in die späten Abendstunden neu im 10-Minuten-Takt verkehren. Es bleibt zu hoffen, dass die Anschlüsse am Nordbahnhof zuverlässig funktionieren. Die Erfahrungen mit dem Thema Anschlusssicherung bei der BVG lassen leider befürchten, dass diese eher zufällig klappen wird - oder eben nicht.

Der 240er wird vom Robert-Koch-Platz bis Hauptbahnhof verlängert. Allerdings bleibt damit den (verhinderten Straßenbahn-)Fahrgästen von und zur SL M 8 der zusätzliche Umsteigezwang erhalten. Außerdem müssen sie sich bei der OL 240 außerhalb des Berufsverkehrs mit einem wenig attraktiven 20-Minuten-Takt begnügen.

120er, 123er, 147er

Die Omnibuslinien 120 (vom Bf. Wedding über Scharnhorststraße), 123 (im westlichen Abschnitt wie bisher und dann zukünftig am Robert-Koch-Platz endend) und 147 (wie bisher aus der City-Ost über Charite kommend und dann weiter über Heidestraße, Torfstraße zum Leopoldplatz) ergänzen die lokale Anbindung des neuen Hauptbahnhofs an die benachbarten Ortsteile Moabit, Wedding und Mitte, wobei jedoch der neue Nordabschnitt der OL 147 zum Leopoldplatz nur während der Geschäftsöffnungszeiten bedient wird.

Problem Nachtverkehr

Komplizierter stellt sich die Situation für die zwischen 0.30 Uhr und ein Uhr nachts ankommenden Reisenden dar. Während die S-Bahn zumindest nach bisherigem Fahrplan in den Nächten Sonntag bis Donnerstag noch bis etwa ein Uhr auf der Stadtbahn und in den Wochenendnächten durchgehend verkehrt, endet der BVG-Tagesverkehr an allen Tagen spätestens um 0.30 Uhr. Und wenn ein verspäteter Fernzug (soll es ja geben) erst nach ein Uhr am neuen Hauptbahnhof ankommt, stehen zumindest in den Nächten Sonntag bis Donnerstag, in denen die S-Bahn auf der Stadtbahnstrecke nicht durchgehend verkehrt, nur die BVG-Nachtbuslinien zur Verfügung.

Mit der OL M 41, der OL N 20 Richtung Norden und der OL N 40 in Ost-West-Richtung (ersetzt hier mit modifizierter Linienführung über Nordbahnhof die bisherige OL N 84) besteht künftig in allen Nächten zwar im Grundsatz eine akzeptable Anbindung in alle Richtungen, aber der wichtige Nachtlinien-Umsteigeknoten Zoologischer Garten ist nur mit einem (weiteren) Umsteigevorgang ohne Anschlusssicherung erreichbar.

Eingeschränkt und undurchsichtig ist auch das Verkehrsangebot in den Morgenstunden an Sonnabenden und Sonntagen. Durch die verkürzten Betriebszeiten des BVG-Tagesliniennetzes am Sonnabend-Morgen (bei einigen Linien ab 5.30 Uhr, bei anderen wie z. B. der OL 123 erst ab 7 Uhr) und vor allem am Sonntag-Morgen (alle Tageslinien außer TXL und M 41 erst ab 7 Uhr) gibt es zu diesen Zeiten nur eine eingeschränkte Erreichbarkeit des neuen Hauptbahnhofs.

Wo bleibt die Straßenbahn?

Haltestelle auf der Invalidenstraße für sieben Buslinien am Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof. Auf die Straßenbahn vom Nordbahnhof werden die Fahrgäste aber noch viele Jahre warten müssen. Foto: Florian Müller

Insgesamt kann man, trotz der Einschränkung in den Tagesrandzeiten, die Anbindung des neuen Hauptbahnhofs an das Busliniennetz als gut bewerten. Aber man muss sich darüber im klaren sein, dass dadurch nicht die fehlenden Anbindungen über die Nord-Süd-S-Bahn und die Straßenbahn kompensiert werden können: Das liegt nicht nur an dem in Bussen besonders problematischen Gepäcktransport, sondern vor allem daran, dass die Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit all dieser Buslinien wegen ihrer Wegführungen z.T. mitten durch die stau- und demoanfällige City-Ost nicht sehr hoch sein wird. Die schnelle Realisierung insbesondere einer Nord-Süd-S-Bahn und der Straßenbahnanbindung über die Invalidenstraße und im weiteren Schritt nach Moabit über Turmstraße und Beusselstraße zum Virchow-Klinikum (M 13) bleibt daher unverzichtbar.

Von Mehdorn eingebrockt

Die Probleme bei der Erschließung des neuen Hauptbahnhofes zeigen umso deutlicher, wie unsinnig die starrköpfige Entscheidung von DB-Chef Hartmut Mehdorn ist, den Fernbahnhalt Zoologischen Garten zu streichen. Von hier aus ist die weitere Verteilung in alle Richtungen bestens gewährleistet und gut ausgebaut. Damit könnten viele durch die DB verursachte Probleme entschärft werden, wofür die BVG nun viel Aufwand treiben muss.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 6/2005 (Dezember 2005/Januar 2006), Seite 7-8