Überregional
Vandalismus im öffentlichen Nahverkehr ist ein zentrales Problem geworden
1. Jan 2006
Die Angebotsqualität im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wird durch ausufernden Vandalismus zunehmend beeinträchtigt. Die Scheiben speziell der Verkehrsmittel in den Ballungszentren sind in der Regel zerkratzt („Scratching"), die Graffiti-Schmierereien nehmen immer noch zu. Erhebliche Finanzmittel müssen von den Verkehrsunternehmen aufgebracht werden, um diese Schäden zu beseitigen - Gelder, die an anderer Stelle, zum Beispiel für Serviceverbesserungen, fehlen!
Für das Jahr 2004 wurde die Umfrage zur Jahresstatistik des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) um eine Zusatzerhebung zum Thema „Vandalismus" erweitert. Zwar lieferten nicht alle VDV-Unternehmen die entsprechenden Daten, aber die Angaben der Unternehmen in den Millionenstädten bzw. Ballungszentren sind in den Umfrageergebnissen vollständig enthalten. Diese Zahlen sind erwartungsgemäß erschreckend! Der Gesamtaufwand für die Beseitigung der durch Vandalismus verursachten Schäden und für die Prävention belief sich im Jahr 2004 auf 52,7 Millionen Euro. Darunter wurden 31,5 Millionen Euro für die Beseitigung von Schäden an und in Fahrzeugen aufgewendet. Diese teilen sich anteilsmäßig folgendermaßen
auf:Weitere 10,7 Millionen Euro wurden für die Wiederinstandsetzung von Anlagen eingesetzt wie Haltestellen, Fahrtreppen usw. Hinzu kommt der Aufwand für Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Vandalismusschäden, z.B. Anbringen von Schutzfolien oder Videoüberwachung. In einigen Städten, so auch in Berlin, erleben die Fahrgäste, dass längst nicht mehr alle Schäden beseitigt werden bzw. beseitigt werden können. Nicht zu unterschätzen ist dabei der erhebliche Imageverlust für die betroffenen Verkehrsunternehmen. Durch das abstoßende Erscheinungsbild beispielsweise vieler Berliner S-Bahn- und U-Bahnfahrzeuge wird kaum der Anreiz geschaffen, vom Auto in den ÖPNV umzusteigen oder gar Stammkunde zu werden.
Um diesen Zuständen zu begegnen, wurde die Initiative „Nofitti" gegründet, die am 7. April 2005 im Berliner Rathaus einen von allen Seiten - auch den Tätern- viel beachteten internationalen Anti-Graffiti-Kongress durchführte. Die Nachfrage übertraf mit insgesamt rund 400 Interessenten die mögliche Teilnehmerzahl von 300 deutlich. Referenten waren neben der Justizsenatorin Berlins auch zahlreiche Gäste aus dem Ausland. Beispielhaft sind die Aktivitäten der skandinavischen Länder, wo es schon längst die strafrechtlichen Voraussetzungen zur Ahndung entsprechender Taten gibt.
Die Initiative von Nofitti und anderen führte in Deutschland kürzlich zur Änderung bzw. Ergänzung des § 303 Strafgesetzbuch, mit dem Graffiti grundsätzlich immerund nicht nur-wie bislang - im Fall der Sachbeschädigung strafbar ist. Die Diskussion zu diesem Entwurf dauerte erstaunlicherweise 7 Jahre und kam erst im Juni 2005 zur Abstimmung. Die Formulierung im Gesetzestext lautet nunmehr: „Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert"
Doch strafrechtliche Verfolgung allein löst bekanntlich noch kein Problem. Vorbeugende Maßnahmen sind entscheidend. Das gilt für die Gestaltung der baulichen Anlagen ebenso wie für die Fahrzeuge. Auch hier gibt es keine Patentlösungen, aber um den Vandalismus wenigstens einzudämmen, darf keine der nachfolgend am Beispiel Berlin aufgezeigten Maßnahmen von der natürlich notwendigen Diskussion über Angemessenheit und Effektivität ausgenommen werden:
Auf S- und U-Bahnhöfen muss es ständig Personal geben. Wenn diese Präsenz aufgrund der technischen Entwicklungen nicht mehr durch Personal zur Abfertigung der Züge gegeben ist, muss nach anderen Wegen gesucht werden. So können der Fahrscheinverkauf und die unterschiedlichsten betrieblichen, öffentlichen und kommerziellen Verkaufsangebote und Dienstleistungen intelligent kombiniert werden.
Während bei der BVG vor allem bei neueren Fahrzeugen erfolgreich eine Video-Überwachung eingesetzt wird, wurde bei der S-Bahn auf eine derartige Maßnahme bislang verzichtet.
Das Sicherheitsempfinden der Fahrgäste erfordert einen Einsatz von Sicherheitskräften vor allem in den schwach besetzten Zügen auf den Außenstrecken, besonders in den Abendstunden. Daneben müssen Regelungen bezüglich der Ausübung hoheitlicher Aufgaben getroffen werden, ggf. in Form gemeinsamer Streifengänge von Polizei und Wachschutz.
Ein Missstand bei der Berliner S-Bahn ist der Einsatz oft zu langer Züge in den Abend- und Nachtstunden. Die Folgen sind einerseits unnötiger Verschleiß an den Fahrzeugen und unnötig hoher Energieverbrauch, andererseits wird so ein ideales Betätigungsfeld für Straftaten geschaffen. Das Kürzen der Züge in den Abendstunden setzt natürlich den ausreichenden Schutz abgestellter Fahrzeuge voraus, zum Beispiel durch Einzäunung und Überwachung der Kehranlagen.
Bei Fahrzeugneuanschaffungen sollte stets der Übergang zwischen mehreren Wagen innerhalb eines Zuges möglich sein, auch wenn das betrieblich für den Fahrzeugeinsatz gewisse Nachteile hat.
Das Entfernen von Graffiti muss schneller erfolgen. Innerhalb eines Betriebstages sollte die Reinigung beschmierter Fahrzeuge realisiert werden, um Tätern die Freude an ihren „Machwerken" zu nehmen.
Ungereinigte Bahnanlagen und Fahrzeuge beeinträchtigen immer auch das subjektive Sicherheitsgefühl. Zwar sind als Folge der Privatisierung der Reinigungsarbeiten durchaus Fortschritte sichtbar, aber insbesondere die Reinigung der Fahrzeuge während des Fahrgasteinsatzes ist allzu oft mangelhaft. Das gilt insbesondere für abendliche Zugfahrten mit DB Regio - trotz der Zugbegleiter.
Auf hellen Bahnhöfen fühlen sich die Fahrgäste sicherer. Vor allem bei der Berliner U-Bahn gibt es hier in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte. Demgegenüber wird die Beleuchtung in den Bussen immer schlechter. Auf vielen Sitzplätzen kann man abends nicht einmal lesen.
Auch die Werbung auf den Scheiben von Straßenbahnen und Bussen beeinträchtigt die Helligkeit, das Orientierungsvermögen und das Wohlfühlen der Fahrgäste erheblich. Möglicherweise senkt das sogar die Hemmschwelle für das illegale Zusprayen der Fenster.
Auf vielen S- und U-Bahnhöfen gibt es unübersichtliche Zuwege, Hallen und Zwischengeschosse. Große Umbauten müssen insbesondere bei der U-Bahn zum Anlass genommen werden zu prüfen, ob die „Unterwelten" zurückgebaut werden können.
Wie ein krebsartig wucherndes Geschwür werden alle oberirdischen Bahnanlagen mit Schallschutzwänden eingemauert. Sie erschweren die Einsehbarkeit der Gleisanlagen, beeinträchtigen den Ausblick aus den fahrenden Zügen und bieten hervorragende Projektionsflächen für Graffiti aller Art. Kein Mensch käme auf die Idee, innerstädtische Stadtstraßen mit Wänden zu umgeben, stattdessen werden - sehr viel wirksamer - Schallschutzfenster eingebaut.
Die Wände entlang der Bahnanlagen tragen inzwischen entscheidend zum Bild der Verwahrlosung bei. Lediglich entlang der Berliner Stadtbahn zwischen Savignyplatz und Ostbahnhof bleiben den Fahrgästen diese Wände erspart - dem Denkmalschutz sei dank.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 6/2005 (Dezember 2005/Januar 2006), Seite 12-13