Brandenburg
1. Jan 2006
IGEB: Die neue Bundesregierung will die Regionalisierungsmittel drastisch kürzen. Ist das noch abzuwenden? Wenn nicht, wird es dann dramatische Einschnitte im brandenburgischen Nahverkehr geben?
Klocksin: Bund und Länder haben mit der Bahnreform 1994 eine Vereinbarung getroffen, wonach der Bund die Länder mit den sogenannten Regionalisierungsmitteln ausstattet, damit die Länder den SPNV-Betrieb bestellen. Das war und ist die Geschäftsgrundlage. Das heißt: Regionalisierungsmittel sind keine Subventionen, sondern sie sind die Grundausstattung, um die Bahnreform in ihrem gedanklichen Ansatz auch umsetzen zu können. Ich gehe davon aus, dass das weiter Bestand hat. Brandenburg bekommt derzeit etwa 400 Millionen Euro im Jahr. Der Betrag steigt jedes Jahr um 1,5 %. Für 2007 ist die nächste Evaluierung vereinbart. Das sind die abgestimmten gesetzlichen Rahmensetzungen für die Regionalisierungsmittel.
Mein Wunsch und mein Ziel ist es, dass dieses auch so bleibt. Wir haben in Brandenburg dazu eine klare Position: Wir halten die Kürzungen für falsch - aus verkehrspolitischen Gründen und aus umweltpolitischen Gründen. Und diese Position wird von vielen Landesverbänden der SPD geteilt. Wir haben gerade im Kreis der ostdeutschen verkehrspolitischen Sprecher zusammen gesessen und einhellig die Auffassung vertreten, dass die Grundlagen der Bahnreform nicht entzogen werden dürfen und dass vor Veränderungen die Ergebnisse der Evaluierung 2007 abzuwarten sind. Dann muss auch diskutiert werden, wie künftig die öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge, die Sicherung der Mobilität auf der Schiene, durch Bund und Länder wahrgenommen werden kann.
IGEB: Sie haben Ihr Bürgerbüro in Teltow und wohnen in Kleinmachnow, kennen also hier die Verkehrsprobleme besonders gut. Teltow/Kleinmachnow/Stahnsdorf ist ja eine der wenigen Wachstumsregionen im Land Brandenburg - welche Chancen geben Sie den einzelnen sehr kontrovers diskutierten Plänen für eine bessere Erschließung auf der Schiene? Fangen wir mit der Stammbahn an: Ausbau für den Regionalverkehr oder für den S-Bahnverkehr?
Klocksin: Als Anfang der 1990er Jahre das Pilzkonzept für Berlin beschlossen wurde, war die Stammbahn bereits enthalten, nicht als erster, aber als weiterer Ausbauschritt. Es ging dabei ja nicht um die Rekonstruktion einer historischen Strecke, auch wenn es die erste in Preußen war, sondern es ging der damaligen Reichsbahn, aber auch dem Berliner Bezirk Zehlendorf darum, das Angebot für die zunehmenden Personenverkehre nach Berlin-Mitte zu verbessern. Es gibt verschiedene Gutachten, die nachgewiesen haben, dass eine Regionalbahn auf der Trasse geführt werden kann und neue Verkehre erschließt. Das ist - wie ich finde - nach wie vor ein starkes Argument. Hinzu kam, das war ein Argument der Bahn, dass mit der Stammbahntrasse im Havariefall auch eine Entlastung der Stadtbahn vorgenommen wird, aber auch die Stadtbahntrasse als solche entlastet wird. Das ist auch nach der Fertigstellung des Nord-Süd-Tunnels noch ein berechtigtes Argument.
IGEB: Der Berliner Senat geht davon aus, dass es erst irgendwann nach 2015 Regionalverkehr auf der Stammbahn gibt. Ist deshalb das Projekt einer Zwischennutzung des Abschnitts Zehlendorf—Düppel-Kleinmachnow durch die S-Bahn sinnvoll oder gefährdet das die Regionalbahn?
Klocksin: Wenn man auf der Trasse der Stammbahn zwischen Zehlendorf und Griebnitzsee einen S-Bahn-Vorlaufbetrieb macht, wäre damit ein Lückenschluss vorgenommen und gleichzeitig Kleinmachnow sowie das kontinuierlich wachsende Gewerbegebiet europarc Dreilinden an das Schienennetz angebunden. Allein ebay hat z.B. derzeit 2000 Beschäftigte, von denen etwa die Hälfte aus Berlin kommt. Vor diesem Hintergrund kann ich mir sehr gut vorstellen, dass eine solche Zwischenlösung eingerichtet wird. Allerdings nicht als Pendelverkehr zwischen Griebnitzsee und Zehlendorf. Man könnte die Verstärkerzüge der S 1, die in Zehlendorf enden, über die Stammbahn nach Griebnitzsee durchbinden, sozusagen als S 21-Vorläufer von Süden.
IGEB: Es gibt Pläne und Forderungen zur Verlängerung der S-Bahn von Teltow nach Stahnsdorf und eventuell ganz langfristig auf der ehemaligen Friedhofsbahn weiter bis Wannsee. Welche Chancen geben Sie diesem Projekt?
Klocksin: Als diese Region vor hundert Jahren verkehrstechnisch überplant und der Teltowkanal fertiggestellt wurde, war bereits eine Trassenführung für eine S-Bahn von Wannsee über Stahnsdorf und Teltow Richtung Lichterfelde vorgesehen. Ich glaube, dass dieses auch heute noch Sinn macht. Grundsätzlich gilt: Man kann keinem sagen, jemand solle sein Auto stehen lassen, wenn man keine Alternative anbietet, wie der von A nach B kommt. Die S-Bahn wäre eine sinnvolle Investition, ist allerdings nur über einen längeren Zeitraum zu realisieren. Es wurden 15 Jahre gebraucht, bis Teltow angeschlossen war. Ich hoffe, der nächste S-Bahnhof im Gewerbegebiet Stahnsdorf wird schneller erreicht sein, aber dann muss es durch die Ortslage Stahnsdorf durchgehen. Diese Trasse ist zwar weitgehend freigehalten, kann aber nur mit Zustimmung und Unterstützung der Kommune realisiert werden. Meine Unterstützung ist da sicher.
IGEB: Was halten Sie von der Idee, bekanntlich kein ganz neues Projekt, die Straßenbahn von Potsdam nach Teltow zu verlängern?
Klocksin: Zuvorderst ist zu sagen, dass alle drei Projekte, Regionalbahn, S-Bahn und Straßenbahn, sowohl ihren Charme haben als auch ganz unterschiedliche Fahrgastströme bedienen. Diese Projekte sind deshalb auch nicht alternativ diskutierbar, wie es hin und wieder geschieht. Der Gedanke einer Straßenbahn von Teltow nach Stahnsdorfstammtjaausden 1980er Jahren, als im Raum Teltow 12.000 Arbeitsplätze im Bereich der Mikroelektronik, der Elektronischen Bauelemente, der Gerätereglertechnik existierten, so dass täglich viele Arbeitskräfte von Potsdam aus in die Region strömten. Wir haben auch heute noch erhebliche Verkehrsströme zwischen Teltow und Potsdam, aber nicht mehr in dem Umfang, weil die Pendlerströme zunehmend nach Berlin ausgerichtet sind. Gleichwohl ist es sinnvoll, eine qualifizierte Verbindung nach Potsdam zu bieten. Die ist mit dem letzten Fahrplanwechsel mit den Buslinien 601, 602 und zusätzlich dem X 1 als Expressbus durchaus verbessert worden. Was das Projekt Straßenbahn anbelangt, setzt das natürlich voraus, dass die an der Trasse liegenden Kommunen diese auch wollen. Aber weder die Stadt Teltow noch die Gemeinde Stahnsdorf haben Interesse an dem Projekt - und das muss man zur Kenntnis nehmen.
IGEB: Lassen Sie uns die Region wechseln. Mehrfach untersucht und kontrovers diskutiert wurde und wird die S-Bahn-Verlängerung von Spandau nach Falkensee bzw. Finkenkrug. Wie aussichtsreich ist dieses Projekt?
Klocksin: Da sprechen Sie die Grundsatzfrage nach der Wiederherstellung der S-Bahnverkehre an, die mit der Teilung 1961 eingestellt wurden. Das gilt auch für die Verlängerungen nach Velten und Rangsdorf. In jedem einzelnen Fall ist nach der Wirtschaftlichkeit der Strecke zu fragen. Ich habe große Sympathie dafür, die S-Bahn durchzubinden. Gleichwohl muss man das sinnvoll kombinieren mit Regionalbahnangeboten, die auf der gleichen Strecke fahren. Aber das Land Berlin hat wenig Interesse, solche Bestellungen vorzunehmen. Das Land Brandenburg ist schon heute in der Situation, die Durchbindung der RB 10 nach Spandau bzw. Charlottenburg aus dem Landeshaushalt zu finanzieren, also Verkehr innerhalb Berlins. Diese unglückliche Situation ist dem Status zweier konkurrierender Länder geschuldet, die an der Stelle besser kooperieren müssten, um die Metropolenregion Berlin-Brandenburg tatsächlich mit Leben zu erfüllen.
IGEB: Eine weitere in den letzten Jahren strittige Bahnstrecke war in Brandenburg die Städtebahn Brandenburg—Beizig. Gibt es tatsächlich für Verbindungen, die nicht auf Berlin zulaufen, keine Chance, sie zu erhalten?
Klocksin: Wir haben bei der brandenburgischen Städtebahn mehrere unterschiedliche Abschnitte. Dazu zählt auch der Abschnitt Rathenow—Brandenburg, der seit einigen Monaten wieder unter Verkehr ist - durchsaniert und durchaus mit hoher Attraktivität. Wir haben den Abschnitt Brandenburg—Beizig, der zu meinem großen Bedauern abbestellt wurde. Das war die Entscheidung des Landkreises, der hier keine Priorität sah. Das Land ist dem im Ergebnis gefolgt. Wir haben außerdem noch den Ast Jüterbog—Beelitz, der in der Rekonstruktion ist. Bei allen Strecken gilt: Wenn sie angenommen werden, haben sie eine Chance. Wir werden in der Zukunft sicherlich noch mehr als bisher darauf achten, wie stark die Inanspruchnahme tatsächlich ist. Denn da wird man auch Prioritäten setzen müssen. Beispielsweise sagt das Land Sachsen: Fahrstrecken mit weniger als 1000 Fahrgästen pro Tag werden auf die Dauer nicht gehalten. Das will ich mir nicht zu eigen machen, aber wir werden diese Diskussion führen müssen. Wir haben ja eingangs über die Regionalisierungsmittel gesprochen. Das spielt dann unter Umständen eine Rolle, denn das Land wird nicht im Stande sein, die möglicherweise reduzierten Regionalisierungsmittel aus dem eigenen Hauhalt zu kompensieren.
aus SIGNAL 6/2005 (Dezember 2005/Januar 2006), Seite 17-18