Verkehrsrecht & Tarife
Die Schlichtungsstelle Mobilität berichtet über interessante Streitfälle
1. Jan 2006
Als Frau M. aus Hofheim im Sommer dieses Jahres eine Bahnfahrkarte nach Berlin erwarb, hatte sie augenscheinlich keine unlauteren Absichten. Sie schildert, wie ihr am Schalter der Hinweis gegeben wurde, dass sie mit diesem Fahrschein auch den Nahverkehr am Zielort - also in Berlin - benutzen dürfe. Auch auf dem Ausdruck der Reiseverbindung befindet sich ein entsprechender Hinweis. Aber: Weil sie keinen Fahrschein mit Bahncard, sondern einen zum Normalpreis kaufte, war die sogenannte „City-Ticket"-Funktion nicht enthalten und auch nicht auf dem Fahrschein aufgedruckt.
Es kam, was kommen musste. Frau M. wurde bei der BVG kontrolliert und des Schwarzfahrens bezichtigt. Sie erhielt von der BVG eine Aufforderung zu einer Nachzahlung von 40 Euro. Sie konnte überhaupt nicht einsehen, dass sie mit einer solchen Anklage und Forderung konfrontiert wird. Sie hatte nur genau das getan, was man ihr bei der Bahn empfohlen hatte. Folglich lehnte sie es ab, der Forderung nachzukommen. Die BVG ging sehr ausführlich auf ihre Beschwerde ein und setzte den Sachverhalt detailliert auseinander. Im Ergebnis zeigte sie sich allerdings hart und hielt die Forderung aufrecht. Es kamen nun Inkassogebühren hinzu.
Erst jetzt erkannte Frau M., dass sie ihre Beschwerde eher an die Deutsche Bahn richten müsste. Möglicherweise erkannte sie sogar erst in dieser Phase, dass es sich um zwei Verkehrsunternehmen handelte. Die DB lehnte jedoch zunächst jegliche Verantwortung für den entstandenen Schaden ab. Frau M. wandte sich daraufhin an die Schlichtungsstelle Mobilität.
Nachdem wir den Sachverhalt aufgeklärt hatten, versuchten wir, sowohl bei der BVG als auch bei der DB zu intervenieren. Zunächst wollten wir die BVG von der Unschuld sowie fehlenden Absicht von Frau M. und einem daraus folgenden Verzicht auf die Forderung überzeugen. Die BVG beharrte jedoch auf dem formalen Fehlen eines gültigen Fahrscheins und den daraus entstehenden Rechtsfolgen: der Fahrpreisnacherhebung.
Daraufhin unterbreiteten wir der DB und Frau M. einen Schlichtungsvorschlag. Im Verhältnis von 70 zu 30 sollten beide Seiten an dem entstandenen Schaden beteiligt werden. Grund für die stärkere Belastung der Unternehmensseite ist die unseres Erachtens größere Verantwortung für die Richtigkeit solcher ausschlaggebenden Informationen. Der Fahrgast hat allerdings die Pflicht zu prüfen. Aber die Hilflosigkeit des Fahrgastes in diesem Fall zeigt, in welch hohem Maße offensichtlich viele Bahnkunden beim Erwerb von Fahrscheinen überfordert sind.
Die DB lehnte den Schlichtungsvorschlag zunächst ab, ließ sich in einem nachfolgenden Gespräch dann aber doch noch davon überzeugen, dass es sich um eine gerechte und angemessene Lösung handelt, und willigte ein. Eine Lösung übrigens, die auf Kulanz basiert. Die Durchsetzbarkeit eines rechtlichen Anspruchs aufgrund der Verletzung von Informationspflichten ist als eher unwahrscheinlich einzuschätzen.
Gerade in Berlin, aber auch andernorts in Deutschland, passieren derartige und ähnliche Ereignisse recht häufig. Auch für die BVG scheint diese Häufung inzwischen ein Problem geworden zu sein, das sie nicht mehr durch kulantes Entgegenkommen zu lösen bereit ist. Dies zeigt: Aus der Komplexität des gesamten Systems öffentlicher Verkehr entstehen zwangsläufig ungewollte Folgen für die Kunden. Es ist deshalb gut, dass die entsprechende Instanz bei der DB auf unsere Schlichtungsarbeit so offen eingeht.
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Internet: www.schlichtungsstelle-mobilitaet.
Schlichtungsstelle Mobilität beim VCD
aus SIGNAL 6/2005 (Dezember 2005/Januar 2006), Seite 23