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Netz und Betrieb - integriert oder getrennt?

Gutachten belebt die Diskussion um die Zukunft der DB AG


IGEB Fernverkehr

1. Mär 2006

Im Januar hat Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee ein vom Bundestag gefordertes Gutachten zu Privatisierungsvarianten der DB AG vorgelegt (www.bmvbs.de ). Untersucht wurden fünf Modelle: der integrierte Konzern, bei dem Netz und Fahrbetrieb zusammen bleiben, das Trennungsmodell und Mischmodelle. Das nimmt der Berliner Fahrgastverband IGEB zum Anlass, noch einmal seine Position zu verdeutlichen: für die Trennung von Fahrweg und Fahrbetrieb. Beim staatlich bleibenden Fahrweg ist allerdings eine Aufteilung zwischen nationalem Netz im Eigentum des Bundes und regionalen Strecken im Eigentum der Bundesländer durchaus vorstellbar.

Trennung von Netz und Fahrbetrieb? Ein im Auftrag der Bundesregierung erstelltes Gutachten hat ermittelt, dass beim integrierten Modell (Netz und Fahrbetrieb) die Privatisierungserlöse des Bundes beim Verkauf der DB höher sind, als wenn nur der Fahrbetrieb privatisiert wird (Trennungsmodell). Aber die einmalig höhere Einnahme rechtfertigt in keiner Weise die Privatisierung des mit öffentlichen Geldern aufgebauten und für die Entwicklung Deutschlands wichtigen Schienennetzes. Eine so bedeutende Infrastruktur muss dauerhaft staatlich bleiben. Im Bild ein ICE in Nürnberg Hbf. Foto: Christian Schultz

Seit vielen Jahren ist es erklärtes Ziel sowohl der deutschen als auch der europäischen Verkehrspolitik, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und mit der Trennung von Fahrweg und Fahrbetrieb bei den Eisenbahnen auch die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger untereinander anzugleichen.

Die deutsche Bahnreform der 1990er Jahre hat die in sie gesetzten Hoffnungen bislang allerdings nur sehr eingeschränkt erfüllt. Das Ziel „Mehr Verkehr auf die Schiene" wurde nur teilweise erreicht. Insbesondere der Schienengüterverkehr hat in dem schnell wachsenden Güterverkehrsmarkt an Bedeutung verloren. Auch im Personenfernverkehr kann die Bahn von den Zuwachsraten des Flugverkehrs nur träumen. Lediglich im staatlich bezuschussten Regionalverkehr war die DB AG erfolgreich.

Investitionsrückstände

Das Verfehlen der verkehrspolitischen Ziele liegt zum Teil sicherlich an den ungünstigen Rahmenbedingungen, die die Bahn im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern benachteiligen. Stark wettbewerbsverzerrend wirken sich beispielsweise die Benachteiligung der Bahn bei der Mehrwertsteuer und die fehlende Kerosinsteuer für den Flugverkehr aus, ferner die verspätete bzw. zu niedrige Lkw-Maut und Lohn- und Sozial-Dumping im Straßengüterverkehr, nunmehr noch verstärkt durch die EU-Osterweiterung. Daneben verhindern vielfach die historisch bedingten Investitionsrückstände bei der Schieneninfrastruktur höhere Geschwindigkeiten bzw. kürzere Fahr- und Transportzeiten im Vergleich zu dem in der Regel moderneren Autobahn- und Bundesstraßennetz.

Diese Faktoren allein erklären die Stagnation bei der Bahn allerdings nicht ausreichend. Die faktisch marktbeherrschende Deutsche Bahn kann ihren Marktanteil gegenüber anderen Verkehrsträgern nur sehr mühsam verteidigen geschweige denn ausbauen. Folgende Zahlen zeigen die verkehrspolitische Brisanz:

Anteile der Verkehrsbereiche an der
Verkehrsleistung in Deutschland
(binnenländischer Güterverkehr ohne
Nahgüterverkehr - bis 50km)
VerkehrsartJahrAnteil
Eisenbahngüterverkehr199420,2%
Straßengüterverkehr199457,3%
Eisenbahngüterverkehr200416,6%
Straßengüterverkehr200468,1% (!)

Funktionierender Wettbewerb auf dem Schienennetz in Deutschland ?

Es ist weiterhin auffällig, dass der intramodale Wettbewerb, den die Regierungskommission Bahn im Jahr 1991 als zentralen Effizienztreiber forderte, sich nur sehr schwerfällig entfaltet. Auch im Jahr 12 nach der Bahnreform ist die DB AG absolut marktbeherrschend. Im Regional- und Güterverkehr beträgt der Marktanteil rund 90 %, im Fernverkehr sogar über 99 %. Seitens des DB-Vorstands wird immer wieder behauptet, dass auf dem Schienennetz mittlerweile ein reger Wettbewerb herrsche, denn es nutzen schließlich rund 290 Eisenbahnunternehmen das Netz. Diese Darstellung ist jedoch irreführend, weil sich diese 290 Unternehmen einen Marktanteil von lediglich rund 10% im Regional- bzw. Güterverkehr teilen! Es muss dabei berücksichtigt werden, dass hier u.a. auch Bahnunternehmen mitgezählt werden, die schwerpunktmäßig regionale Nischen bedienen, die ihnen die DB überlässt - entweder aus strategischem Desinteresse oder in Form von Subaufträgen.

Besonders negativ wirkt sich die Monopolstellung der Deutschen Bahn im Fernverkehr aus. Ist das Angebot bezüglich des Preis-Leistungs-Verhältnisses mangelhaft, wandern Kunden zum Auto, Fernreisebus oder Flugzeug ab und sind damit für den Schienenverkehr verloren bzw. nur mühsam wiederzugewinnen. Ein richtiger Wettbewerb würde erst in dem Moment wirken, wenn gleichartige Alternativen auf der Schiene vorhanden wären.

Wahrt „Die Bahn" Kundeninteressen?

Vorbild Schweden. Eine nationale Behörde ist Eigentümerin der Eisenbahninfrastruktur. Jedes Bahnunternehmen benötigt einen Schienenzugangsvertrag mit der Behörde. Das Bild zeigt den Hochgeschwindigkeitszug X2000 in Malmö. Foto: Christian Schultz

Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang das Vorgehen der Deutschen Bahn bezüglich der Fernverkehrskonzeption 2006 in Berlin. Hier hat sich die DB AG einseitig von der mit dem Bund und dem Senat von Berlin abgestimmten Haltekonzeption des Pilzkonzeptes verabschiedet. Dass man für die Auslastung des künftigen Berliner Hauptbahnhofs-Lehrter Bahnhofs Sorge trägt, ist sicherlich verständlich. An dem großen Einzugspotenzial der City-West bzw. dem Bahnhof Zoologischer Garten, der hervorragend in das innerstädtische Schnellbahn- und Busnetz eingebunden ist, vorbeizufahren, ist dagegen nicht nachvollziehbar.

Eine ähnlich mangelhafte Sensibilität gegenüber den Kunden zeigte die DB AG bundesweit im Fall der Unterlassung attraktivitätssteigernder Maßnahmen beim Inter-Regio-Angebot. Nunmehr ist die Einstellung auch der letzten IR-Linie zwischen Berlin und Chemnitz geplant. Viele im Vergleich zum ICE preisgünstigere Verbindungen und wichtige Direktverbindungen u.a. in die Urlaubsgebiete sind mit der Einstellung der IR-Linien entfallen.

Gäbe es dagegen einen (oder gar mehrere) ernsthafte Konkurrenten der DB im Fernverkehr, der mit seinem Angebot und einem günstigen Preissystem bzw. einfachen Vertriebssystem Fahrgastzuwächse erzielte, sähen manche Entscheidungen der DB AG heute sicherlich anders aus.

Bezüglich des Bahnhofs Berlin Zoologischer Garten bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Connex-Tochter Nord-Ostsee-Bahn (NOB) mit ihren Plänen durchsetzen kann, durchgehende Verbindungen in der Relation Berlin—Hamburg—Westerland (Sylt) zu schaffen und damit das benannte Potenzial zu nutzen.

Der derzeitige Fokus auf die DB-Unternehmensbereiche Personen- und Güterverkehr hat des Weiteren zur Folge, dass sich Infrastrukturkapazitäten und Investitionsschwerpunkte im Wesentlichen an diesen Geschäftsbereichen orientieren. Der Rückbau von Kapazitäten bei der Schieneninfrastruktur, zum Beispiel bei Verladeanlagen und Kreuzungsgleisen, wird konzernintern entschieden, ohne die Wettbewerber einzubinden.

Netzbetreiber muss unabhängig sein

Die ordnungspolitisch sauberste Lösung, die auch die EU-Vorgaben umfassend erfüllt, besteht in der Herauslösung der DB Netz AG aus dem DB-Konzern. Das Eigentum an der Schieneninfrastruktur muss dabei ungeteilt beim Staat verbleiben. In Großbritannien endete bekanntlich die Privatisierung des Netzes über die Railtrack in einem Desaster und wurde zwischenzeitlich entsprechend korrigiert. Mit der Zuordnung der Verantwortung für die Infrastrukturpolitik beim Staat ist zudem eine analoge Regelung im Vergleich zur Straße gewährleistet.

Mit einem unabhängigen Netzbetreiber (vertikale Trennung)besteht die Möglichkeit, die Trassenkapazität neutral und effizient zu vermarkten. Ein unabhängiger Netzbetreiber unterliegt auch keiner Konzernräson, der Anreiz von Quersubventionierungen ist gering. Die institutionelle Trennung von Fahrweg und Fahrbetrieb schafft daher die vergleichsweise günstigsten Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb. Die derzeitige Situation kann auch deshalb nicht zufrieden stellen, da jedes private Bahnunternehmen gezwungen ist, mit der Netz- und Energierechnung über Konzernumlagen Beträge an ihren Konkurrenten zu zahlen, der diese Mittel natürlich entsprechend den eigenen Interessen einsetzt - unter Umständen sogar gegen den Wettbewerber.

Mit der Trennung von Netz und Fahrbetrieb sind auch Änderungen bei der Erstellung und Veröffentlichung der Fahrpläne im Personen- und Güterverkehr verbunden. Da die Kunden in der Regel keine Insellösungen interessieren, muss für ein vernetztes Informationsangebot Sorge getragen werden. Diese Aufgabe kann sinnvollerweise nur ein unabhängiger Netzbetreiber leisten, da er über alle notwendigen Daten verfügt und unternehmensneutral die Fahrpläne konstruiert. Durch die Veröffentlichung z.B. von Bildfahrplänen können sich alle Bahnunternehmen einen Eindruck bezüglich der Kapazitätsausschöpfung machen und die Lösung von Konfliktfällen nachvollziehen. Die Herausgabe des Kursbuches durch den DB-Unternehmensbereich Personenverkehr hat in der Vergangenheit bereits für unnötige Konflikte gesorgt, sobald Zugverbindungen anderer Anbieter aufgenommen werden sollten.

Vorbereitung der vertikalen Trennung

Grundsätzlich muss ein praktikables und effizientes Anreizsystem für den künftigen Netzbetreiber geschaffen werden, um die Nachfrage zu stimulieren. Ein wesentliches Augenmerk wird auch daraufgelegt werden müssen, dass der Netzbetreiber tatsächlich unabhängig bzw. unternehmensneutral agiert.

Auch Entschädigungsregelungen sind zwischen Netzbetreiber und Transportunternehmen festzulegen. Derartige Haftungsregelungen sind notwendig, z.B. für den Fall, dass eine Trasse verspätet zur Verfügung gestellt wird, oder wenn es durch Qualitätsmängel im Bereich der Infrastrukt u r Überschreitungen der Fahrzeit kommt (Langsamfahrstellen). Dies gilt natürlich auch im umgekehrten Fall, z.B. bei einem schuldhaften Blockieren eines Streckenabschnitts seitens eines einzelnen Transportunternehmens.

Dringend erforderlich sind zudem Festlegungen bezüglich der Ausbaustandards der Schieneninfrastruktur, z.B. Streckenkapazität, zulässige Höchstgeschwindigkeit, Zugsicherungssysteme.

Der Netzbetreiber muss verpflichtet werden, die Infrastruktur in der festgelegten Qualität zu erhalten. Bei der Festlegung dieser Standards müssen grundsätzlich alle Transportunternehmen die Möglichkeit erhalten, sich entsprechend zu äußern.

Weitergehende Lösungen für die regionale Bahninfrastruktur

Vorbild Schweden. Bereits 1988 wurde in Schweden die Trennung von Schieneninfrastruktur und Fahrbetrieb vorgenommen. Diese Reform hat sich seither bewährt. Im Bild ein Regionalzug der Privatbahn Tägkompaniet in Gävle nördlich von Stockholm. Foto: Florian Müller

Deutliche Effizienzsteigerungen können im Fall der regionalen Schieneninfrastruktur bzw. der Regionalnetze erzielt werden. Hier kann die Übergabe der Verantwortung an die jeweiligen Bundesländer Verbesserungen schaffen. Die Entscheidungs- und Finanzverantwortung in der Region verbunden mit dem Wettbewerb ermöglicht es, Schienenstrecken deutlich günstiger zu unterhalten und auszubauen als bisher. Gerade bei den Regionalnetzen liegen wesentliche Rationalisierungspotenziale darin, innovative und einfache Zugsicherungskonzepte einzuführen.

Erfolgreiche Bahnreform in Schweden

In Schweden wurde bereits 1988 die Trennung von Netz und Fahrbetrieb vollzogen. Im heutigen Rahmen des schwedischen Eisenbahnmarktes ist die nationale Behörde Banverket Eigentümerin der staatlichen Eisenbahninfrastruktur und unterhält diese auch. Mit 80% aller Eisenbahnstrecken macht dies Banverket zur größten Eisenbahninfrastruktureignerin.

Alle Teile des Schienennetzes wurden zwischenzeitlich klassifiziert, wodurch für jede Strecke definierte und veröffentlichte Streckenstandards festliegen. Jedes Bahnunternehmen, das das nationale schwedische Schienennetz nutzen möchte, benötigt dazu einen Schienenzugangsvertrag mit Banverket, in dem Einzelheiten über die Art von Verkehr und die Gleisstandards festgelegt sind. Neben diesem Vertrag muss mit der Abteilung Zugleitung/Zugsicherheit von Banverket eine Vereinbarung über die Fahrplantrassen (Slots) abgeschlossen werden.

Es hat sich in Schweden gezeigt, dass mit den von mehreren neu entstandenen Anbietern entwickelten Konzepten Transporte von der Straße auf die Schiene verlagert werden konnten. Das Beförderungsvolumen im Personenverkehr stieg seit 1990, bezogen auf Personenkilometer, um mehr als 40 %.

IGEB Fernverkehr

aus SIGNAL 1/2006 (Februar/März 2006), Seite 6-7