Sachsen

Baustellenbesuch

Planung und Bau des Leipziger City-Tunnels


Joachim Jarson

1. Mär 2006

Während in Berlin die Bauarbeiten am neuen Nord-Süd-Tunnel der Bahn nahezu abgeschlossen sind und am 28. Mai 2006 - mit sechs Jahren Verzögerung -der fahrplanmäßige Betrieb aufgenommen werden soll, müssen sich die Leipziger noch ein paar Jahre gedulden. Dennoch lohnt sich schon heute eine nähere Betrachtung dieses ehrgeizigen Projektes (vgl. auch SIGNAL 5/05 ), dessen Verzug immerhin noch unter einem Jahr liegt.

Blick auf die Leipziger Bahngeschichte

Der ehemalige Kopfbahnhof Bayerischer Bahnhof als Baustelle im Jahr 2005. Foto: Manuel Schubert
Der geplante Zugang zur Tunnelstation Bayerischer Bahnhof. Computersimulation: © Freistaat Sachsen

Der Erste Weltkrieg und dessen Folgen unterbrachen die Arbeiten. Pläne zum Weiterbau in den 1930er und 1970er Jahren scheiterten an Geldmangel. Als Zwischennutzung des Tunnels unter den Gleisen 23 bis 25 der Hbf-Osthalle diente ein Zeitkino.

Nach der Wende begannen die Planer mit einer Neuaufnahme des Projektes. Hierbei wurde der ursprünglich vorgesehene Streckenverlauf von Nordost (alter Flughafen) über Hbf-Osthalle mit einem Innenstadthalt am Augustusplatz nach Süd (Alte Messe-Markkleeberg) aufgegeben. Stattdessen ist jetzt eine westliche Trasse mit direktem Halt im Citybereich Markt und der Station Wilhelm-Leuschner-Platz im Bau.

Nachdem es schon vor der Unterzeichnung der Vereinbarung über den Bau des City-Tunnels, die am 19. März 2000 in Berlin erfolgte, zu Verzögerungen gekommen war, gab es danach eine weitere durch die große Flut im Sommer 2002.

Begründung des Bauvorhabens

Die gesamte Leipziger Altstadt soll vom Citytunnel unterquert werden. Links der Hauptbahnhof, rechts der Bayerische Bahnhof. Für den Bau des fast vier Kilometer langen Tunnels sind 750 Mio. € veranschlagt. Er soll 2009 in Betrieb gehen Computersimulation: © Freistaat Sachs

Derzeit wird nur von einer Nahverkehrsanbindung (Regional- und S-Bahnverkehr) an das bestehende Netz im Großraum Halle/Leipzig gesprochen. Das bedeutet in erster Linie Verkürzung der Reisezeiten von Nord nach Süd und vor allem in das Stadtzentrum. Weitere potentielle Wirtschaftszentren sind dann mit den Regional- und S-Bahnen erreichbar: Flughafen, neues und altes Messegelände, Güterverkehrszentrum im Nordwesten, Medienzentrum an der Semmelweisstraße, außerdem Schkeuditz, Markkleeberg, Taucha und Delitzsch.

Aus den Tangential- und anderen Strecken wird nun ein Nahverkehrsnetz.

Trassenverlauf und Stationen

Die Züge erreichen von Norden kommend in einer Rampe des Hauptbahnhofsvorfeldes den ersten Tunnelbahnhof. Dieser unterirdische Bahnsteig des Hauptbahnhofs wird auf Wunsch der Stadt Leipzig Richtung Süden platziert, um einen direkten Ausgang zur Innenstadt zu ermöglichen. Die Mehrkosten hierfür übernimmt die Stadt.

Es entstehen insgesamt vier unterirdische Stationen mit Inselbahnsteigen: Der Hauptbahnhof (unten) erhält eine nutzbare Bahnsteiglänge von 215 Metern. Bei späterem Bedarf kann auf 400 m verlängert werden. In einem schlanken Bogen mit Unterfahrung bestehender Gebäude und des neu erbauten Museums der bildenden Künste auf dem Sachsenplatz wird die Station Markt erreicht. Hier im Zentrum der Altstadt befinden sich die meisten Einkaufs- und Freizeiteinrichtungen. Nach Unterquerung der Petersstraße ist der nächste Halt am Wilhelm-Leuschner-Platz. Hier bestehen zwar Umsteigemöglichkeiten zur Straßenbahn, die Stadt Leipzig gibt aber für die erforderlichen Mittelaufgänge kein Geld.

Weiter geht die Trasse zum Bayerischen Bahnhof (unten). Die Züge verlassen nun den Tunnelbereich und erreichen südlich der Rampe die Station Semmelweisstraße mit dem neuen Medienzentrum.

Bauausführung und Kosten

Leipzig Hauptbahnhof ohne Gleise. Für die Bauarbeiten wurden die Gleise 7 bis 7 entfernt. Hierunter entsteht die neue Tunnelstation. Foto: Florian Müller

Vor gut einem Jahr hatten im Marktbereich die Bauarbeiten begonnen. Hier werden in mehreren Zeitabschnitten Grabungen durchgeführt, um Archäologen und Kampfmittelräumern ihre Sucharbeiten zu ermöglichen. Nach diesen mit Rammträgerwänden gesicherten Vorarbeiten werden stählerne Schlitzwände etwa 20 Meter in den Untergrund eingebracht. Darüber werden Teile der späteren Tunneldecke hergestellt. Um das Straßenleben im Bereich der Station Markt aufrecht zu halten, werden diese Bereiche wieder zugedeckelt. So werden größere Veranstaltungen - Weihnachtsmarkt, Fußball-WM u.a. - nicht unnötig gestört.

Im vergangenen Jahr wurden nun auch an den übrigen drei Tunnelstationen mit den Leitungs- und Straßenverlegungen begonnen. Für diese Zwecke wurden vor dem Hauptbahnhof zwei kleine quer zur Tunnelachse verlaufende Bohrungen vorbereitet. In diesen Sammelkanälen können mehrere Medienträger untergebracht werden.

Die Baukosten für den City-Tunnel werden mit insgesamt etwa 750 Millionen Euro veranschlagt.

Der Betrieb ab 2009

Gemäß Prognose sollen vier S-Bahn- und einige Regionalbahnlinien den Tunnel passieren, die Hauptrelationen von Nord und Nordwest (Halle, Flughafen) Richtung Süden. Auch die älteste Verbindung Würzen—Dresden fährt dann, betriebstechnisch bedingt, durch den Tunnel. Es wird von einer Zugfrequenz von bis zu 13 pro Stunde und Richtung gesprochen.

Als Fahrzeuge werden voraussichtlich keine Doppelstockzüge eingesetzt, da (angeblich) der Fahrgastwechsel den engen Fahrplan gefährdet. Zu DDR-Zeiten war der Elektrotriebzug BR 280 angedacht (LEW Hennigsdorf).

Geplanter Tunnelbahnsteig unter dem Leipziger Hauptbahnhof. Foto: Computersimulation: © Freistaat Sachsen
Angesichts vieler Kritiker des Citytunnel-Projektes bemühen sich Bahn und Stadt um eine vielfältige Öffentlichkeitsarbeit. Foto: Manuel Schubert

Eine wesentliche Verbesserung in der Relation Halle (Saale)—Leipzig wird es durch die neue S-Bahnstrecke neben der bestehenden bzw. neuen Fernverbindung über den Flughafen geben. Die Arbeiten entlang der 33 Kilometerlangen Linie wurden um die Stationen Halle-Bruckdorf, Schkeuditz-West (Roßberg), Lützschena, Sievogtstraße, Mökkern-Nord und Sozialversicherungszentrum (SVZ) erweitert. Bei den bestehenden Stationen wurden Bahnsteigkanten erneuert und Zugänge verbessert (Füßgängertunnel). Die S-Bahn-Strecke wird eingleisig betrieben werden mit zweigleisigen Begegnungsabschnitten. Nach der Tunneleröffnung wird die S3 bis zu ihrem Endpunkt Connewitz geführt.

Die Kosten einschließlich aller erforderlichen Anpassungsarbeiten liegen bei ca. 180 Millionen Euro.

Der auch von Halle betriebene Regionalverkehr der RE7, RE8 und RE 16 soll ebenfalls durch den Tunnel geführt werden. Alle übrigen Zulaufstrecken zum Tunnel werden die S-Bahnlinien 2 und 4 übernehmen.

Die alte und neue S1

Leidtragende ist seit Beginn der Bauarbeiten die alte S 1 (Grünauer Linie). Mit dem Fahrplanwechsel am 12. Dezember 2004 endete der 20-Minuten-Takt. Seitdem erleben die Fahrgäste einen Chaosfahrplan mit Fahrabständen von 20,24,27,28,36,37 oder gar 40 Minuten. Grund ist der Abbau der Gleise 1 bis 7 im Hauptbahnhof für das Baufeld 1.

Nach Vollendung des Bahntunnels wird die S 1 von Grünau kommend wieder auf gewohnter Strecke bis zum Hbf (unten) verkehren. Nach derTunnelquerung schwenkt sie hinter der Station Semmelweisstraße Richtung Nordost über Völkerschlachtdenkmal (altes Messegelände) bis zum 15-Minuten-Takt-Bahnhof Stötteritz. Jede zweites 1 wird dann über Anger—Crottendorf, Paunsdorf Richtung Würzen verkehren.

Bei dieser neuen West-Ost-Linienführung wird auf die Bedienung der Stationen Leipzig Ost und Sellerhausen verzichtet.

Vor- und Nachteile des Tunnels

Nach den vielen Prognosen und auch Vorschusslorbeeren sollte auch an die möglichen Nachteile erinnert werden. Wie ist der gegenwärtige Stand der beiden Stadtlinien S 1 und S 3 zu werten? Man spricht von ungenügendem Bahnimage und schmuddeligen Stationen. Auch erkennt der Stadtfremde auf dem Hauptbahnhof weder ein S-Bahnlogo noch die betreffenden S-Bahnsteige. Aber hier kann und muss nachgebessert werden. Der „Nahverkehr Mitteldeutschland" schreibt in seiner Ausgabe 1/05 zum begonnenen Tunnelbau von einem „europaweit fast unvergleichbaren innerstädtischen Verkehrsinfrastrukturvorhaben" sowie von einem „nachhaltigen Regionalzugnetz für ganz Mitteldeutschland" Werden die Stationen an den Zugängen als Bahnhöfe kenntlich sein? Werden auch ausreichend Fahrgäste neben den ebenfalls im Bau befindlichen Parkhäusern und Tiefgaragen mit den Bahnen anreisen?

Die Zeitersparnis von Linien, die früher um die Stadt gefahren sind, wird durch den Tunnel nur ca. 5 Minuten betragen. Die Relation Leipzig Hbf—Würzen fährt etwa die gleiche Zeit wie früher. Bei den S-Bahnstrecken wird es sich nur bei den beiden Linien auszahlen, welche parallel zu Fernstrecken fahren oder gesonderte Trassen nutzen. Bei den anderen beiden Linien sind Überschneidungen zu erwarten: Hier steht die Frage der Fahrzeit und der Auslastung der Züge im Vordergrund. Ein lohnender S-Bahnbetrieb endet meist kurz hinter der Leipziger Stadtgrenze. Der weit entfernt wohnende Fahrgast wird den „Milchrampenverkehr" meiden oder gleich das Auto nehmen.

Doch es ist zu erwarten, dass nach Fertigstellung aller Maßnahmen insgesamt eine Verbesserung der Qualität des ÖPNV im Ballungsraum Halle/Leipzig erreicht wird. Davon werden nicht nur die beiden Großstädte Leipzig und Halle profitieren, sondern auch die übrigen 17 angebundenen Städte und Gemeinden.

Joachim Jarson

aus SIGNAL 1/2006 (Februar/März 2006), Seite 17-19