Verkehrsrecht & Tarife
Interessante Streitfälle bei der Schlichtungsstelle Mobilität
1. Mär 2006
Frau W. aus Dresden fährt mit Kindern, Ehemann und zwei Fahrrädern von Angermünde nach Dresden, zunächst mit dem Regionalexpress bis Berlin und von dort mit dem Interregio über Riesa zum Zielbahnhof. Vor Berlin-Ostbahnhof bleibt der Zug stehen. Zunächst wird nur eine Verspätung von 5 Minuten angegeben, dann eine von 20 Minuten, die Umsteigezeit beträgt allerdings nur 24 Minuten.
Frau W. geht zum Schaffner und bittet um Meldung an den Anschlusszug, dass dieser auf die umsteigenden Fahrgäste warten soll. Der Zugbegleiter trägt den Wunsch in sein Handy ein und schreibt eine SMS an den Anschlusszug. Daraufhin erfolgt eine Lautsprecherdurchsage, die das Abwarten auf die Fahrgäste des RE ankündigt. Mit einem anderen Fahrgast vereinbart Frau W., dass er beim Umstieg vorläuft und den Schaffner des Interregios darüber informiert, dass die Familie samt Fahrrädern noch komme. Auf der hektischen Suche nach dem richtigen Weg zum Gleis mit dem Anschlusszug erkundigt sich Frau W. bei einer Mitarbeiterin der DB AG, die der Familie jedoch den falschen Weg weist. Der empfohlene Fahrstuhl ist für die Familie zu klein, auf der unteren Ebene angekommen muss die Familie außerdem feststellen, dass sie in einer Sackgasse gelandet ist. Wertvolle Zeit geht verloren. Auf dem richtigen Bahnsteig endlich angekommen, wartet der Anschlusszug. Frau W. läuft vor, drückt auf den Türöffner. Plötzlich wird sie vom Schaffner angeschrieen mit der Frage, warum sie die Tür öffne, nachdem er doch bereits den Pfiff zur Abfahrt gegeben habe.
Daraufhin zieht der Schaffner die Notbremse. Frau W. verteidigt sich damit, dass sie den Bahnsteig erst vor kurzem betreten und deswegen diesen Abpfiff nicht gehört habe und auch nicht an anderen Merkmalen die bevorstehende Abfahrt erkennen konnte. Sie fragt den Zugbegleiter, ob der andere Fahrgast ihn nicht darüber informiert habe, dass ihre Familie gleich komme. Das bestätigt der Zugbegleiter, antwortet aber, dass er die Familie nicht gesehen habe und deswegen das Signal zur Abfahrt gegeben habe.
Im Zug bittet der Zugbegleiter Frau W. um ihre Personalien. Kurze Zeit später erhält sie eine Rechnung über 225 Euro wegen des „Missbrauchs der Nothilfemittel" Frau W. ist empört und widerspricht der Zahlungsaufforderung -zunächst erfolglos. Dann wendet sie sich mit der Schilderung ihres Umsteige-Abenteuers an die Schlichtungsstelle.
Nachdem der Sachverhalt aufgeklärt worden ist, plädieren wir in unserem Schlichtungsvorschlag darauf, die Forderung komplett fallen zu lassen. Zu viele Informationsfehler der DB AG haben zur Entstehung des Schadens beigetragen. Es bleibt auch offen, woran das kurz bevorstehende Abfahren des Zuges hätte erkannt werden können. Warum eine Notbremsung erforderlich ist, weil ein Fahrgast lediglich versucht, die Tür des zu diesem Zeitpunkt noch stehenden Zuges zu öffnen, ist durch Sicherheitshinweise ebenfalls nicht vollständig zu erklären.
Dieser Schlichtungsvorschlag wurde von der Deutschen Bahn angenommen. Die Gelegenheit wurde auch genutzt, um eine Geste der Wiedergutmachung zu zeigen. Über den Forderungsverzicht hinaus sendete die DB AG einen Gutschein über 40 Euro an Frau W. Infos: www.schlichtungsstelle-mobilitaet.org
Schlichtungsstelle Mobilität beim VCD
aus SIGNAL 1/2006 (Februar/März 2006), Seite 23