International

London ohne Routemaster

Wie kam es zu der Fehlentscheidung?


Sebastian Amler

1. Mär 2006

„The difference between men and boys is the price of their toys." - dieses kluge englische Sprichwort gilt auch für Peter Hendy, Londons obersten Busmanager. Von Bürgermeister Ken Livingstone vor einigen Jahren zu „Transport for London" (TfL) geholt, jener Behörde, die für die Organisation des an Privatfirmen vergebenen Busnetzes der britischen Hauptstadt zuständig ist, möchte Mr. Hendy, wie die meisten spielerisch veranlagten Kinder, natürlich möglichst neue Spielsachen sein eigen nennen.

Es war einmal: Routemaster und moderne Doppeldecker im Londoner Linienverkehr. Lediglich für Liebhaber und Touristen werden einige Routemaster im Einsatz bleiben. Foto: Sebastian Amler

Insofern kann es nicht verwundern, dass er von der Idee nicht sonderlich angetan war, auf 20 starkbelasteten Linien im Zentrum Londons weiterhin die betagten, aber zuverlässigen und beliebten Routemaster-Busse (Baujahre 1954 bis 1968) einzusetzen, während seine Kollegen in Städten wie Paris, Berlin oder München alle paar Jahre auf Kosten ihrer jeweiligen Stadtverwaltungen neue, technisch aufwendige (wenn auch nicht unbedingt funktionale) Omnibusse geschenkt bekommen, mit denen sie dann für einige Jahre spielen können - so lange, bis sie auch dieser Busse wieder überdrüssig sind und der Onkel Bürgermeister neues Spielzeug springen lässt.

Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass Mr. Hendy die - dank Schaffner - kundenfreundlichen Routemaster gegenüber der Presse als „verdammtes Museum" bezeichnet hat. Ganz klar, hier sprach das verletzte Kind im Technokraten, das böse ist, weil seine Kameraden auf dem Kontinent sehr viel neueres Spielzeug besitzen als es selbst. Die Interessen der Fahrgäste, für die die Busse ja fahren sollen, sind bei diesem Spiel hingegen höchstens von untergeordneter Bedeutung.

Folglich musste der Routemaster verschwinden: Bis auf einige wenige Alibi-Museumsbusse wurden zwischen August 2003 und Dezember 2005 sämtliche Routemaster auf Londons Straßen durch moderne Einmannbusse ersetzt. Was macht es schon aus, dass damit eine der Ikonen Londons mutwillig zerstört wurde?

Noch immer ziert der klassische Bus zahlreiche Postkarten und Reiseführer. Dean Godson bezeichnete deshalb seine Abschaffung in der Times vom 21. Juli 2005 zu Recht als „einen der größten Akte von städtischem Vandalismus unserer Zeit."

Ebensowenig scheint es Bürgermeister Livingstone zu stören, dass er eigentlich im Wahlkampf 2000 versprochen hatte, die Routemaster unter allen Umständen weiterfahren zu lassen. Plötzlich sind ihm auch die zahlreichen Schaffner, die durch die Umstellung in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden, egal - höchst bemerkenswert für einen sozialistischen Bürgermeisters dersichder„Rote Ken" ja versteht.

Auch die Tatsache, dass laut Umfragen 81 % der Londoner ihren Routemaster behalten wollten, ließ die Verantwortlichen kalt, ein Verhalten, das fatal an die Vernunftresistenz von London Transport bei der Abschaffung von Londons alter Straßenbahn in den Jahren 1950 bis 52 erinnert.

Das besondere an den Routemastern sind der Schaffner und die hintere Plattform ohne Tür, an der man auch ohne Haltestelle auf- und abspringen kann. Das ist natürlich offiziell nicht erlaubt, aber die Fahrgäste machen von dieser Möglichkeit gerne Gebrauch. Ebenso ist die Am-Platz-Bedienung beim Fahrkartenkauf durch den Schaffner sehr bequem. Foto: Sebastian Amler

Was interessiert es TfL schon, dass mit der Abschaffung der Schaffner nicht nur der Service und die Sicherheit abnehmen, sondern auch die Effizienz der Busse im Großstadtverkehr, denn schließlich muss der Fahrer nebenher nun auch noch die Aufgaben des Schaffners erledigen. Was kümmert es Ken Livingstone, dass der Routemaster bei den Fahrgästen auch wegen des hohen Sitzplatzanteils beliebt war? Auf einigen Linien wurden die beliebten Fahrzeuge nämlich nicht durch moderne Doppeldecker, sondern durch besonders kundenunfreundliche Gelenkbusse („bendy-busses")ersetzt, in denen es gerade einmal 49 Sitzplätze (verglichen mit 72 im Routemaster) gibt. Was stört es schließlich Peter Hendy, dass seine Fahrgäste, die im Übrigen seine technokratische Selbstverwirklichung mit regelmäßig drastisch ansteigenden Preisen finanzieren dürfen, auf die neuen bendy-busses jetzt auch noch länger warten dürfen als auf die alten Busse, da sie seltener verkehren?

Konsequent ignoriert wurde von den Verantwortlichen auch, dass die Anschaffung der neuen Gelenkbusse, die, nebenbei bemerkt, höchst unzuverlässig und für die Londoner Straßenverhältnisse gänzlich ungeeignet sind, ein Vielfaches der Kosten verschlingt, die für die regelmäßige Aufarbeitung der Routemaster nötig gewesen wären. Das gleiche gilt für die von führenden Umweltexperten gestützte Erkenntnis, dass ein modernisierter Routemaster aufgrund seiner ausgefeilten Konstruktion einen geringeren Benzinverbrauch hat als moderne Busse und deshalb auch umweltfreundlicher ist.

Lediglich ein Argument existiert, dass sich tatsächlich gegen den Routemaster ins Feld führen lässt: seine mangelnde Behindertenfreundlichkeit. Die Tatsache, dass Rollstuhlfahrer nicht in der Lage sind, den Routemaster zu benutzen (während ihn zum Beispiel Blinde wegen der helfenden Hand des Schaffners sehr zu schätzen wussten), ist ein ernstes Problem, das die Verantwortlichen bei TfL ursprünglich dadurch lösen wollten, dass man Routemaster-Linien aufweiten Strecken mit Schwesterlinien überlagerte, auf denen Niederflurbusse zum Einsatz kommen, um so auf allen Strecken die Zugänglichkeit für Rollstuhlfahrer sicherzustellen.

Auch ist von Seiten einiger Behindertenverbände überliefert, dass sie zwar eigentlich das Ideal einer 100 % niederflurigen Busflotte hegen, die Abschaffung der Routemaster für sie jedoch keine übermäßig hohe Priorität besaß. Vielmehr wären sie, wie der Londoner Evening Standard am 27. Juli 2004 meldete, schon zufrieden, wenn bei den vorhandenen Niederflurbussen die Rollstuhlfahrerrampen ordentlich funktionierten.

All dies ficht Peter Hendy jedoch nicht an: Er wollte modernes Spielzeug, er wollte den Gelenkbus um jeden Preis in London einführen. Das hat er geschafft. Im Dezember 2005 fuhren im Londoner Linienverkehr die letzten Routemaster. Auf der Strecke blieben die Fahrgäste und die Umwelt.

Sebastian Amler

aus SIGNAL 1/2006 (Februar/März 2006), Seite 24