Berlin

Der vergessene Lückenschluss

Heidekrautbahn nach Berlin-Wilhelmsruh!


IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

1. Mai 2006

S-Bahn nach Falkensee, Regionalverkehr auf der Stammbahn - das sind nur die bekanntesten von mehreren Wiederaufbauprojekten, bis zu deren Realisierung zwar noch ein weiter Weg ist, aber über die wenigstens lebhaft diskutiert wird. Von solcher Debatte können die Fahrgäste der Heidekrautbahn nur träumen. Sie sollen auf unabsehbare Zeit mit den Folgen des Mauerbaus gestraft bleiben und nur nach Berlin-Karow fahren können.

Das SIGNAL-Titelbild von November 1990 zeigt den provisorischen Haltepunkt am Wilhelmsruher Damm im Grenzstreifen direkt an der Berliner Mauer.

Nach der Einweihung der Reinickendorf-Liebenwalde-Groß Schönebecker Eisenbahn am 20. Mai 1901 wurde der Personenverkehr von Beginn an gut nachgefragt, zunächst vor allem durch Berufspendler. Aber schnell wurde die bald Heidekrautbahn genannte Kleinbahn auch für Ausflüge in das ehemalige kaiserliche Jagdgebiet Schorf heide, zum Wandlitzsee oder zum Werbellinsee genutzt. Die Bahn reagierte mit dem Bau neuer Haltepunkte, z. B. Strandbad Wandlitzsee. Auch der Güterverkehr nahm schnell zu.

In den 30er Jahren hat die Niederbarnimer Eisenbahn Aktiengesellschaft, wie sie seit 1927 hieß, die Strecke saniert und Dieseltriebwagen beschafft. Im Zweiten Weltkrieg wurden alle wichtigen Brücken zerstört. 1950 übernahm die DDR-Reichsbahn den Betrieb. In den Folgejahren kam trotz willkürlicher Kontrollen durch die DDR-Grenzorgane allmählich der Ausflugsverkehr wieder in Gang. Die DR bediente über die Heidekrautbahn neben dem VEB Bergmann-Borsig auch Güterverkehrsanschlüsse der Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde (ITF) in West-Berlin.

Mauerbau zerschneidet Heidekrautbahn

[Bild]200601_vergessen_02.jpg|Fahrkarte einer Heidekrautbahn-Sonderfahrt. Bald nach dem Mauer fall und noch vor der Wiedervereinigung wurden im Rahmen der 7. Berliner Schienenverkehrs-Wochen die ersten Sonderfahrten zum Grenzbahnhof Märkisches Viertel durchgeführt.||Fahrkarte[/Bild]

Ein jäher Bruch vollzog sich am 13. August 1961, als mit dem Mauerbau der Berliner „Heimatbahnhof" Wilhelmsruh von der Heidekrautbahn abtrennt wurde. Um die Schorfheider Ortschaften an Ost-Berlin anzubinden, wurde bereits am 24. Dezember 1961 der Verkehr über eine umgebaute Verbindungskurve der ITF zu einem Behelfsbahnsteig am S-Bahnhof Berlin-Blankenburg aufgenommen. 1976 wurde Berlin-Karow zum neuen Berliner Anfangs- bzw. Endbahnhof mit verbesserten Umsteigebedingungen zur S-Bahn. Zur Bewältigung der gestiegenen Verkehrsströme wurden nun vierteilige Doppelstockzüge mit wendezugfähigen V100 Dieselloks eingesetzt. Das Gleis nach Wilhelmsruh wurde im Berufsverkehr noch einige Jahre bis Schildow bzw. Blankenfelde in Berlin bedient.

Güterverkehr gab und gibt es zum ehemaligen Bergmann-Borsig-Gelände, inzwischen umgestaltet zum Gewerbegebiet PankowPark, auf dem nach der Wende u.a. ein großes Schienenfahrzeugwerk von Adtranz entstand, das inzwischen von der Schweizer Firma Stadler Rail übernommen wurde.

Überflüssiges Gutachten

Nach Mauerfall und Wiedervereinigung Berlins wurden sofort Pläne für die Zusammenführung der getrennten Berliner Bahnstrecken geschmiedet. Nur bei der Heidekrautbahn war der Berliner Senat merkwürdig zurückhaltend. Obwohl die günstigste Lösung auf der Hand lag -Schließung der Gleislücke und Aufbau eines Bahnsteigs in Wilhelmsruh, schnelle Wiederinbetriebnahme mit Dieselfahrzeugen - ließ der Senat ein vergleichendes Gutachten erstellen. Ergebnis: Eine Gleichstrom-Elektrifizierung und ein S-Bahn-Betrieb sind zu aufwändig. Wer hätte das gedacht? Ebenso wurde ein Straßenbahnbetrieb durch den Bau der Fahrleitung als zu teuer und wegen der Fahrzeiten als zu langsam bewertet. So würde eine Straßenbahn vom Alex in die Schorfheide über 90 Minuten benötigen.

Streckennetz der Heidekrautbahn 2006. Dunkel die betriebenen Strecken, hell ohne Personenverkehr. Zeichnung: Sven Tombrink (NEB), Kartengrundlage aus dem Buch 100 Jahre Heidekrautbahn, GVE-Verlag 2001

Durch das Gutachten wurde wertvolle Zeit verloren. Hinzu kam, dass in den Verhandlungen über die vom Bund zu finanzierenden teilungsbedingten Lückenschlüsse im Verkehrsnetz der Berliner Leiter der Abteilung Verkehrsplanung in der damaligen Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe, Ural Kalender, als Straßenfachmann zwar die Schließung aller Straßenlücken durchsetzte, aber den Lückenschluss auf der Heidekrautbahn ausklammerte. War es Strategie, weil die Heidekrautbahn keine Staatsbahn war, oder Unkenntnis eines West-Berliners, der sich zu wenig mit den Schienen jenseits der einstigen Mauer befasst hatte?

Modernisierung

Die Niederbarnimer Eisenbahn nahm nun die Geschicke selbst in die Hand. Die NEB war 1990 vom Hauptaktionär Land Berlin an die Industriebahn-Gesellschaft Berlin mbH (IGB) übertragen worden, die inzwischen zur Connex-Gruppe gehört. Mit der Deutschen Bahn wurde die RückÜbertragung der Anlagen in erneuertem Zustand bzw. mit finanziellem Ausgleich vereinbart. Von 1999 bis 2002 hat die NEB die Anlagen einschließlich Gleisausbau für 80 km/h, die Haltepunkte, die Sicherungs- und Leittechnik und die Bahnübergänge modernisiert. Ein großer Betrieb für Baustoffumschlag siedelte sich nahe am Bahnhof Basdorf an und sorgt seither für zusätzliches Güterverkehrsaufkommen. Im ehemaligen Bw Basdorf sind die Berliner Eisenbahnfreunde e.V. mit ihren Fahrzeugen und einem Heidekrautbahnmuseum untergekommen. Mit ihren regelmäßigen Museumsfahrten vom provisorischen Haltepunkt Berlin-Wilhelmsruher Damm über Schildow, Mühlenbeck und Schönwalde halten sie die Erinnerung an den fehlenden Lückenschluss auf der NEB-Stammstrecke wach.

Einen Rückschlag gab es im November 1997 allerdings mit der Einstellung des Verkehrs auf dem Abschnitt zwischen Wensickendorf und Liebenwalde, nachdem die Brücke über den Oder-Havel-Kanal bei Kreuzbruch gesperrt werden musste, für deren Erneuerung durch die NEB eine Verkehrsbestellung durch das Land Brandenburg erforderlich ist.

Ein Talent-Triebwagen der NEB im Bahnhof Karow. Hier ist der einzige Anschlusspunkt nach Berlin. Die alte Heidekrautbahn-Strecke von Schönwalde nach Berlin-Wilhelmsruh ist außer Betrieb gegangen, weil die DDR 1961 die Mauer baute. Und sie wurde nach dem Mauerfall 1989 noch nicht wieder aufgebaut, weil nun der Berliner Senat mauert Foto: Florian Müller

Nachdem sich die NEB in einer Ausschreibung durchsetzen konnte, fährt sie seit 11. Dezember 2005 wieder selbst auf der Heidekrautbahn, nun als Linie NE 27. Wegen der gesetzlich erforderlichen Trennung von Fahrweg und Betrieb wird der Betrieb allerdings von einer Tochtergesellschaft der NEB durchgeführt. Für diesen Betrieb wurden attraktive und spurtstarke neue Züge vom Typ Bombardier TALENT beschafft (siehe SIGNAL 1/2006 ). Auch ein für den Personenverkehr neuer Streckenast von Wensickendorf nach Schmachtenhagen wird jetzt befahren, allerdings bisher nur am Wochenende. Die NEB hatte diese stillliegende Strecke 2001 von der DB AG gekauft, nachdem sie ein Jahr zuvor bereits die 1961 von der DR gebaute Strecke von Abzweig Schönwalde bis Berlin-Karow erworben hatte.

Berlin zementiert die Folgen des Mauerbaus

Der Übergang des Betriebes von DB Regio auf die NEB änderte jedoch nichts daran, dass die Regionalzüge der Heidekrautbahn nach wie vor im Bahnhof Berlin-Karow am nordöstlichen Berliner Stadtrand enden. Dabei hatte eine Verkehrsprognose der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zwei verlängerte Linienführungen empfohlen. Zum einen soll durch Einbau einer Gleisverbindung südlich des Bahnhofs Karow ein Ast über Karow hinaus nach Berlin-Lichtenberg geführt werden. Zum anderen soll ein zweiter Ast von Basdorf auf der alten Trasse über Wilhelmsruh bis Gesundbrunnen geführt werden, wo bekanntlich ab 28. Mai Fern- und Regionalzüge halten werden und vielfältige Umsteigemöglichkeiten zu S-Bahn, U-Bahn und Bus bestehen.

Gute Prognose

Für beide Äste wurden regionalbahnwürdige Fahrgastzahlen prognostiziert. Daher wurden beide Maßnahmen auch in das ÖPNV-Programm des Senats aufgenommen Es wären im Vergleich zu anderen Berliner Baumaßnahmen äußerst kostengünstige Projekte, die zum Beispiel aus den sogenannten BSchwAG-Mitteln bezahlt werden könnten. Dem Land Berlin stehen für derartige Infrastrukturmaßnahmen gemäß Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSchwAG) seit 1995 Millionenbeträge zur Verfügung, von denen der überwiegende Teil - rund 100 Millionen Euro - bis heute nicht ausgegeben wurden.

Die NEB entwickelte daraufhin selbst die Planung für einen eingleisigen Haltepunkt Wilhelmsruh und bot sogar den Aufbau des Gleises von Wilhelmsruh nach Schönholz an. Dann könnten Züge der Heidekrautbahn nach Gesundbrunnen geführt werden, was für die meisten Reisenden insbesondere Richtung Berliner Innenstadt deutliche Fahrzeitverkürzungen bedeuten würde. Zudem erschließt die klassische Heidekrautbahnstrecke nach Wilhelmsruh auch Teile des Märkischen Viertels sowie den touristisch und historisch interessanten Berliner Mauerweg.

Senat bremst NEB aus

Ferkeltaxen in Liebenwalde. 1997 wurde dieser Streckenast der Heidekrautbahn leider stillgelegt. Foto: Thorsten Staeck

Im Jahr 2000 stellte die NEB den Antrag auf Planfeststellung für einen neuen Haltepunkt Berlin-Wilhelmsruh und erklärte sich sogar bereit, diesen selbst zu finanzieren, wenn der Berliner Senat eine Bestellung für den Verkehr nach Wilhelmsruh abgeben würde (Voraussetzung für Bankkredit). Der Senat aber verweigert diese Verkehrsbestellung noch immer mit der Begründung, für zusätzliche Zugkilometer habe man kein Geld. Dies ist jedoch unzutreffend, da beabsichtigt ist, die Strecke nach Berlin-Wilhelmsruh durch Verlagerung von derzeitigen Verkehren nach Berlin-Karow kostenneutral zu bedienen.

In dieser Konstellation einer„Hängepartie" vergeht Jahr um Jahr, und ein Fortschritt ist nicht absehbar. 105 Jahre nach der Inbetriebnahme der Heidekrautbahn hat das Berliner Abgeordnetenhaus am 9. März 2006 mit den Stimmen von SPD und PDS den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur „Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn auf der Trasse über Wilhelmsruh" abgelehnt. Doch auch das wird den Berliner Fahrgastverband IGEB nicht davon abhalten, dieses für Berliner und Brandenburger Fahrgäste wichtige Projekt immer wieder einzufordern. Schließlich sind es die Länder Berlin und Brandenburg selbst sowie der VBB, die prognostiziert haben, dass es im Verkehr über die gemeinsame Landesgrenze die größten Fahrgastzuwächse geben wird.

IGEB S-Bahn und Regionalverkehr

aus SIGNAL 2/2006 (April/Mai 2006), Seite 15-17