Brandenburg

Die Zukunft der Straßenbahn in Brandenburg

Ein Ende auf Raten?


Fahrgastvertretung Brandenburg/Havel

1. Mai 2006

Mitte Januar ergab sich die Gelegenheit, mit Frau Oberbürgermeisterin Tiemann und dem Stadtkämmerer, Herrn Scheller (beide CDU), zu sprechen und nach der umfangreichen Fahrplanreduzierung beim Verkehrsbetrieb Brandenburg (VBBr) im Dezember 2005 die Standpunkte auszutauschen.

Nur eine Frage des Geldes?

Mit der Anwesenheit des Kämmerers war schon vorprogrammiert, dass sich alles um die Finanzierung drehen wird. Es wurde die Sicht der Stadt erläutert und erklärt, dass beschlossen wurde, den Zuschuss für die VBBr von jetzt 6 auf 4 Millionen Euro zu reduzieren. Allerdings bleibt die Frage: Warum gerade zwei Millionen Euro weniger?

Einzig bleibt das Argument der insgesamt fehlenden Finanzen. Wie üblich in vor allem CDU-regierten Ländern und Kommunen sind die Bereiche Soziales und Verkehr dann die Bauernopfer.

Eine Tatrabahn auf der Luckenberger Brücke, einem Abschnitt der Linie 1, welcher mittelfristig einstellungsbedroht ist. Foto: Thomas Nitsch

Aber zur selben Zeit baut die Stadtverwaltung sich einen neuen Verwaltungssitz, baut das altstädtische Rathaus zum Bürgermeistersitz aus und will sonst noch recht großzügig zur eigenen Repräsentation Geld zur Verfügung haben. Hochverschuldete kommunale Unternehmen werden künstlich am Leben erhalten, so die kommunale Wohnungsverwaltung WOBRA mit großzügigen Krediten. Die VBBr gehört aber auch zur Holding der Stadtwerke. Geld ist zumindest da - doch bei der Mittelverwendung wird anders entschieden.

Visionen?

Leider fehlt den Stadtvertretern eine Vision, mit welchem Verkehrskonzept man die Zukunft der Stadt gestalten kann. Man erkennt nicht, dass unter anderem die Tram in Brandenburg zur Lebensqualität dieser Stadt beiträgt, ein wichtiger Standortvorteil ist und dass sie auch Anreize für den Tourismus bietet (so genannter weicher Standortfaktor).

„Nett" war die Aussage, dass sich die Bevölkerung längst mitdem neuen abgespeckten Fahrplan abgefunden hat. Vielleicht sollte es eher nachdenklich stimmen, dass ein Großteil der Bevölkerung heute resigniert und den Politikern nicht mehr vertraut. Die Wahlbeteiligungen zeigen das gesunkene Interesse an der aktiven Politik.

„Angebotsoptimierung" nennt sich nun der zusammengestrichene Fahrplan. Mehrere Male fiel der berühmten Spruch: „Wenn die Leute das Angebot nicht nutzen, müssen wir unser Angebot eben anpassen."

Der Kämmerer stand, wie seine CDU-Fraktion, für die Überlegungen, die Linie 2 ganz einzustellen. Die Linie 1 solle den innerstädtischen Verlauf der 2 nehmen, und der Verlauf der 1 über die Luckenberger Brücke/Bauhofstraße (Bereich altes Straßenbahndepot) solle nicht mehr befahren werden. Nur die emotionale Diskussion in der Zeit um den Bundestagswahlkampf 2005 verhinderte zunächst diese Absichten. Aber es ist absehbar, dass die Entwicklung in diese Richtung geht.

Die Linie 1 liegt bei den Beförderungszahlen niedriger als die 2, sie wird aber als Entwicklungsfähig eingestuft. Am sichersten erscheint die Linie 6. Sie hat durch eine ausgiebige Nutzung einen sehr guten Kostendeckungsgrad. Doch auch hier sieht die Stadtführung ein Problem, wenn im Zuge des Stadtumbau Ost (sagen wir lieber Stadtabriss) der bislang bevölkerungsstärkste Stadtteil Hohenstücken in den nächsten Jahren stark schrumpfen wird.

Ein Gutachten und seine möglichen Folgen

Das im Auftrag von Frau OB Tiemann erstellte WIBERA-Gutachten empfiehlt in absehbarer Zeit einen Systemwechsel. Er wäre bereits realisiert worden, doch mit Fördermitteln getätigte Investitionen wären bei der Einstellung der Tram für die Stadt teuer geworden. Aber in gut 10 Jahren wird die Situation anders aussehen: Die Bindungsfristen der Förderungen sind abgelaufen und alle Wege sind frei, die Tram auf Bus umzustellen.

Sollte die Entwicklung im Sinne der jetzigen Stadtführung ihren Lauf nehmen, würde nach 2010 als erstes die Linie 2 eingestellt, gefolgt von der Linie 1 und, nach dem Rückbau des Stadtteiles Hohenstücken, von der Linie 6. Dieses „Auslaufszenario" kann mit dem bereits erfolgten Zurückfahren von Investitionen in Infrastruktur und Technik erreicht werden. Für die Linie 6 reichen vier NGT 6 - knapp 25 Jahre alt - aus.

Andere Argumente geprüft?

Brandenburg ohne Straßenbahn? Kann man sich nicht vorstellen. Seit knapp 110 Jahren fährt die Straßenbahn durch die Hauptstraße und wird nach wie vor gut genutzt. Die Politik sieht das anders. Foto: Thomas Nitsch

Bislang wurden keine Gegenargumente geprüft, wie mit mehr und besseren Angeboten, Marketingoffensiven etc. wieder mehr bzw. neue Fahrgäste gewonnen werden können. Da sich die derzeitige Stadtführung eindeutig für den angeblich günstigeren Bus entschieden hat, bedarf es schon viel Überzeugungsarbeit, die Vorteile des Erhalts der Tram zu beweisen - zumal sich in absehbarer Zeit nichts an der Qualität des Nahverkehrs (alte Fahrzeuge, schlechte ÖPNV-Verknüpfung am Hauptbahnhof etc.) verändern wird.

Damit die Fahrgäste Gehör finden

Damit wenigstens aktuelle Probleme im laufenden Fahrplan korrigiert werden können, hat sich eine Gruppe von ÖPNV-Nutzern zusammengetan, die mit Hilfe der VBBr einen echten Fahrgastbeirat gründen möchten. Dieser soll eine Art Gegenpol zum derzeit vorhandenen - politisch motivierten Fahrgastbeirat mit Vertretern der Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung sein.

Der neue Fahrgastbeirat möchte mit kleinen Schritten großes erreichen. Hier hilft nicht die Holzhammermethode, sondern hier muss gemeinsam mit dem VBBr Überzeugungsarbeit in Richtung SVV betrieben werden. Die VBBr müssen sich einer Image- bzw. Sympathiekampagne stellen, denn die Diskussion um die Streichungen im Fahrplanangebot haben dem Ansehen der Verkehrsbetriebe geschadet.

Im Rahmen dieser Sympathiekampagne möchten wir vor allem die historischen Fahrzeuge wieder beleben und viele Aktionen zu Feiertagen sowie mit Kindern - den Fahrgästen von Morgen - durchführen.

Im Beirat sollen Fahrplankorrekturen besprochen werden und mit Umfragen sollen die Wünsche und Vorstellungen der Fahrgäste mehr Berücksichtigung finden. Zudem müssen preiswerte Alternativen gefunden werden, wie in Schwachlastzeiten der Nahverkehr dennoch kostengünstig erbracht werden kann (zum Beispiel Midibus/Linientaxi).

Ziel ist das langfristige Bekenntnis der Stadtpolitik zum Verkehrsmittel Tram, ihr langfristiger Erhalt und eine zukunftsweisende Weiterentwicklung der Infrastruktur:

Im Jahr2000 wurde das neue Bus und Tram Depot der VBBr eröffnet. Spötter bezeichnen die Unterstellhalle von Bus und Tram als Carport. Es bleibt die Frage, ob diese Investition sinnvoll war. Foto: Thomas Nitsch

Wir wollen gerne konstruktiv am Erhalt eines funktionierenden Nahverkehrssystems, insbesondere mitderTram mitwirken. Denn sollte das ganze Nahverkehrssystem in und um Brandenburg/Havel weiter an Qualität verlieren, so verliert auch die Stadt weiter an Lebensqualität und ein Stück Identität. Somit wird sich die Entwicklung der Abwanderung der Bevölkerung nicht aufhalten lassen. Das Vorhandensein der Tram in Brandenburg ist ein wichtiger Pluspunkt für die Lebens- und Arbeitsqualität, ein Beitrag zum Umweltschutz und zur Stadtentwicklung.

Fazit

Die Stadt benötigt ein langfristig zukunftsweisendes Gesamtkonzept für den ÖPNV. Nur damit können negative Entwicklungen aufgehalten, abgefedert oder umgekehrt werden. Sinnloses Kaputtsparen hält den Niedergang der Stadt Brandenburg nicht auf, es beschleunigt ihn womöglich noch! Schließlich sind die Bürger in der Havelstadt gefordert, das Angebot Ihres Nahverkehrs zu nutzen und von den Stadtpolitikern zukunftsweisende Konzepte einzufordern - denn damit entziehen sie Stilllegungsplänen jegliche Grundlage, (thoni)

Fahrgastvertretung Brandenburg/Havel

aus SIGNAL 2/2006 (April/Mai 2006), Seite 21-22