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Mit viel Pomp, Feierei und Feuerwerksraketen wurde er eingeweiht - der neue Berliner Hauptbahnhof. Die Pressemeldungen überschlugen sich vor Begeisterung für den Glaspalast, der eine Keimzelle für ein weiteres Berliner Zentrum werden soll.
1. Jul 2006
Viele Neugierige, die ihren Wochenend- oder Ferienausflug zu dem Kaufhaus mit Gleisanschluss legten, sorgten in den ersten Tagen für drangvolle Enge auf den fünf Ebenen. Zum „Bahnhof gucken!" rief eine Boulevardzeitung auf. Inzwischen hat sich der Menschenzustrom auf ein erträglicheres Maß eingepegelt, und wie er sich im Alltag entwickelt, wird man erst nach der Fußball-WM absehen können.
Der Fahrplanwechsel und die betriebliche Inbetriebnahme verliefen recht unspektakulär und ohne große Pannen. Klar ist, dass ein solches Bauwerk nicht sofort alle Belange der Nutzer erfüllen kann, es bleibt im täglichen Betrieb immer noch etwas nachzubessern. In diesem Falle ist es auf den ersten Blick tatsächlich ganz gut gelungen, im Vorhinein an (fast) alles zu denken. Aber eben nicht an alles.
In den ersten Tagen erlangten vor allem die langen Warteschlangen vor der Toilettenanlage, vor der Gepäckaufbewahrung und im Reisezentrum große Aufmerksamkeit. Eine halbe Million Menschen täglich im Bahnhof waren kurz nach der Eröffnung deutlich mehr als erwartet, und so gab es Engpässe. Die Bahn hat inzwischen nachgesteuert: Weitere Toiletten wurden freigegeben, die Gepäckaufbewahrung bekommt ein zweites Durchleuchtungsgerät und im dicksten Gewimmel stellen sich Bahner hinter einen mobilen Tisch in die Gänge und geben Auskünfte. Außerdem will die Bahn 180 zusätzliche Sitze aufstellen. DB Sicherheit und Bundespolizei sind massiv präsent, ohne einschüchternd zu wirken.
Es bleiben allerdings auch Mängel, bei denen bisher keine Abhilfe zugesagt wurde, und das betrifft vor allem die Fahrgastinformation. Eine große Abfahrttafel der nächsten Züge gibt es nur am Nordeingang, ebenso den ständigen Servicepoint. Beide Einrichtungen sind dringend auch am Südeingang zu installieren.
Die Fußwege im Bahnhof sind recht lang und der Weg zur Abfahrtinformation zu weit. Im Bahnhof verstreut sind Stelen mit einem Monitor aufgestellt, der die nächsten 17 Abfahrten zeigt - die der nächsten halbe Stunde, ohne S-Bahn. Solche Geräte sollten auf allen Bahnsteigen zweimal installiert werden, so dass sich Fahrgäste über Zugverspätungen und Gleisänderungen einfacher informieren können. Zusätzlich sind sie auf weiteren Punkten in den Zwischenebenen nachzurüsten. Außerdem müssen mehr Papier-Aushangfahrpläne im Gebäude aufgehängt werden. Gleiches gilt für dynamische Ankunftsanzeiger-Monitore und Ankunftspläne auf Papier. Auf den Monitoren selbst sollten nicht nur die Zugnummer (z. B. RE 38392), sondern vor allem die Liniennummer (z.B. RE3) gezeigt werden.
Für die S-Bahn fehlt eine Abfahrtsübersicht abseits des S-Bahnsteigs. S-Bahnfahrpläne sind ausschließlich auf dem S-Bahnsteig ausgehängt. Die Wahlmöglichkeit zwischen S-Bahn und RE in gleicher Richtung kann kaum genutzt werden, solange erst ein Treppensteigen zum S-Bahnsteig erforderlich ist. Deshalb müssen ale Informationen bereits im Zwischengeschoss verfüg bar sein.
Des Weiteren sollte die Halteposition der kurzen Regionalexpresszüge am langen ICE-Bahnsteig deutlich gekennzeichnet werden. Die Einrichtung je einer windgeschützten Wartezone, sowohl auf den oberen als auch auf den Tunnelbahnsteigen, ist ebenfalls sinnvoll. Und vielleicht lassen sich die Panorama-Aufzüge beschleunigen. Das Warten auf den Lift dauert bis zu acht Minuten.
Auf den Bahnhöfen Gesundbrunnen und Potsdamer Platz müssen ebenso Abfahrtsmonitor-Stelen auf den Bahnsteigen und an den Zugängen installiert werden. Außerdem ist beim Bahnhof Gesundbrunnen eine Überdachung des Weges zur Bushaltestelle wünschenswert. Und eine Öffnung des für Rettungskräfte reservierten Südost-Zuganges über die Brücke würde vielen Anwohnern lange Umwege ersparen.
Während man am Hauptbahnhof auch beim Warten die beeindruckende Architektur genießen kann, fühlt man sich am Südkreuz (bisher Papestraße) auf den Fernbahnsteigen und unteren S-Bahnsteigen wie in den Keller verbannt. Doch das war mit der Fehlentscheidung der DB für die monströsen Parkdecks absehbar und kann nicht mehr grundsätzlich verbessert werden. Aber auf die dadurch bedingte schlechte Akustik muss wenigstens mit besseren Lautsprecheranlagen reagiert werden.
Am Haltepunkt Lichterfelde Ost fehlt nicht nur das komplette Bahnsteigdach, sondern sogar ein Fahrkartenautomat. Billets gibts nur auf dem S-Bahnsteig.
Dies ist nur eine erste Auswahl von Verbesserungsvorschlägen. Der Berliner Fahrgastverband IGEB erwartet, dass diese und weitere Mängel kurzfristig beseitigt werden. Bei einem 10-Milliarden-Projekt darf nicht zum Schluss an der Fahrgastinformation gespart werden, (fm)
IGEB S-Bahn und Regionalverkehr
aus SIGNAL 3/2006 (Juni/Juli 2006), Seite 6-7