Brandenburg
Bahnen und Busse im ländlichen Raum
1. Jul 2006
„Zur Zukunft des ÖPNV in Brandenburg" - Mit diesem Thema beschäftigte sich eine Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung am 26. April 2006 in der Landeshauptstadt Potsdam. Welche Auswirkungen haben der Bevölkerungsrückgang und die Abnahme der Bereitschaft der öffentlichen Hand, im bisherigen Umfang öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als Daseinsvorsorge und Teilhabe am öffentlichen Leben zu finanzieren? Welche Lösungsansätze wurden in Brandenburg in Vergangenheit verfolgt und welche weiteren Ideen gibt es noch, ein Grundangebot vorzuhalten?
Dr. Norbert Wagener von der Wagener & Herbst Management Consultants GmbH stellte die Ergebnisse einer repräsentativen deutschlandweiten Delphi-Studie aus dem Jahr 2005 vor. Auftraggeber dieser Studie, die den Zeitraum der nächsten 20 Jahre beleuchten sollte, war dass Deutsche Verkehrsforum. Befragt wurden 250 Akteure aus dem Gesamtmarkt - also Aufgabenträger und Unternehmen.
„Alt ist erst derjenige, der nicht mehr mit dem Auto fahren kann" - so die zugespitzte Zusammenfassung von Herrn Wagener. Das ist die Konsequenz aus der Tatsache, dass in der Vergangenheit das eigene Auto im ländlichen Raum zwingend notwendig war und auch weiterhin sein wird. Diejenigen, die in 15 bis 20 Jahren nicht mehr berufstätig sind, sind mit dem Auto groß geworden. Somit ist ihre Bereitschaft, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen oder ein ÖPNV-Angebot auch aktiv einzufordern, nicht groß.
Zunehmen im Segment des ÖPNV werden als Ergebnis der Studie Seniorenwege (z. B. zum Arzt, zum Einkaufen), Freizeitverkehre und Arbeitswege. Dagegen wird es eine weiterhin spürbare Abnahme beim Schüler- und Ausbildungsverkehr geben - inzwischen eigentlich das Rückgrat des Verkehrsangebots in der Fläche.
In ländlichen Gebieten wird ein Bahn- und Busangebot, so es denn überhaupt noch vorgehalten werden soll, eine ganz neue Definition erfahren müssen. Die Daseinsvorsorge wird hier höchstens der berühmte Bus am Vormittag in die nahe gelegene Kreisstadt sein, der am Nachmittag wieder zurückfährt („Mindestmobilität"). Eine Konkurrenz zwischen Pkw und ÖPNV wird es nicht geben - das eigene Auto ist für das Zurücklegen fast aller Wege unerlässlich.
Aus der Praxis berichtete der Leiter des Wirtschaftsamtes im Landkreis Uckermark, Thomas Hoffmann. Mit einer Besiedlungsdichte von nur durchschnittlich 20 Einwohnern/km² werden dort heute 70 % aller Wege im eigenen Pkw zurückgelegt, 17 % sind Mitfahrer, 10% benutzen den Bus und - auch auf Grund des fast nicht mehr vorhandenen Bahnangebotes - nur 3 % der Einwohner den Bahnverkehr. 66% der ÖPNV-Benutzer sind Schüler; in anderen Landkreisen sind es sogar bis zu 90%. In den letzten 10 Jahren sind im Landkreis Uckermark die Schülerzahlen um teilweise bis zu 40 % zurückgegangen.
Dennoch ist es gelungen, das ÖPNV-Angebot durch die Umstellung auf „alternative Bedienformen" auszubauen. Gemeint ist damit, dass statt Regelfahrten, die auch dann durchgeführt werden, wenn niemand mitfährt, Fahrten angeboten werden, die zuvor angemeldet werden müssen (sogenannte Rufbusse). Ferner zählen dazu Angebote für spezielle Zielgruppen, z.B. kostenfreier Stadtbus in Templin, Theaterbus oder Fahrradmitnahme in Anhängern auf bestimmten Linien. Mit einer Ausweitung des möglichen Fahrtenangebotes durch solche alternativen Bedienformen auf etwa 150 % konnten 50 % der Kosten eingespart werden. Klagen und Beschwerden hätte es bisher keine gegeben.
Schnell ging es dann leider nicht mehr um die Gestaltung des Angebots in künftigen Jahren, sondern ums Geld. Der Moderator des Abends, Rainer Siebert von der Friedrich-Naumann-Stiftung, läutete diese Wendung mit der Frage ein „Was kann man sich in Zukunft noch leisten?" Zielführender wäre die Frage gewesen, was sich die Kommunen noch leisten wollen. Angesichts der bevorstehenden Kürzung beLden Regionalisierungsmitteln, mit denen in Brandenburg ein großer Teil des Busangebots finanziert wird, zeichnen sich Einschnitte in das jetzige Angebot ab. Zu groß scheint in den Verwaltungen die Versuchung zu sein, eine Kürzung der Mittelzuweisung des Bundes um einige Prozentpunkte zu nutzen, das ÖPNV-Angebot überproportional zu streichen. Denn schließlich kann mit dem Geld, dass der Bund ja eigentlich für die Bestellung von Nahverkehrsleistungen überweist, der eigene Haushalt saniert werden!
So endete die Veranstaltung mit der Forderung des VDV-Geschäftsführers Jürgen Prinzhausen, dass die Unternehmen selber viel besser statt der kommunalen Aufgabenträger die Linienführung und Takte planen können. Bekanntlich befinden sich in den Neuen Bundesländern die Busbetriebe in der Regel im kommunalen Besitz. Auch die Forcierung des Wettbewerbs durch Ausschreibungen führe nicht zu Einsparungen. Solche Ausschreibungen, so Prinzhausen, würden nur Geld kosten, aber nichts bringen. Dieser Aussage kann sich der Berlin-Brandenburgische Bahnkunden-Verband keinesfalls anschließen. Ausschreibungen und Wettbewerb als „Gespenst" und sinnlose Geldausgabe zu brandmarken, weil schon seit vielen Jahren die Chefs der Verkehrsunternehmen mit den ÖPNV-Planern in den Kommunen gut zusammenarbeiten und dann, wenn weniger Mittel für die Fahrten zur Verfügung stehen, kurzerhand das bestehende Angebot entsprechend zusammenzustreichen, erinnert deutlich an Planwirtschaft.
Wenn es auch in Zukunft ein Grundangebot an Bahn- und Busleistungen im dünn besiedelten ländlichen Raum geben soll, dann müssen sich sowohl die verantwortlichen Landes- und Kommunalpolitiker mit den Verkehrsunternehmen und selbstverständlich auch mit den Fahrgästen über Einzelheiten, insbesondere Qualitätsstandards, beraten. Leistungen sind im Wettbewerb auszuschreiben und nach nachvollziehbaren Kriterien zu vergeben.
Wenn die Kürzung der Regionalisierungsmittel durch die Bundesregierung nicht abgewendet werden sollte, darf das Land Brandenburg dies nicht als Einladung verstehen, seinerseits überproportional durch Abbestellungen im Bahn-Nahverkehr bzw. Kürzung der Mittel, die an die Landkreise gegeben werden, den eigenen Haushalt zu sanieren.
Berlin-Brandenburgischer Bahnkunden-Verband
aus SIGNAL 3/2006 (Juni/Juli 2006), Seite 13