Titelthema Fahrzeitgarantien: Service im Test
15 Jahre BVG-Fahrzeitgarantie im Dauertest
23. Aug 2013
Vor gut 15 Jahren, am Freitag dem 21. November 1997, startete die BVG ihre Service-Offensive. Zehn Punkte hatte sich das Landesunternehmen auf die Fahnen geschrieben: Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft des Personals als oberstes Gebot, die unverzügliche Beseitigung von Störungen an Fahrtreppen und Aufzügen, keine Verfrühungen mehr, Automaten sollen jederzeit ausreichend Wechselgeld besitzen und Haltestellen deutlich angesagt und angezeigt werden, bessere und frühzeitige Information bei Bauarbeiten und Störungen sowie mehr Reisekomfort und zügige kulante Bearbeitung von Beschwerden, um die wichtigsten Punkte einmal zusammenzufassen.
Viel ist davon nicht übrig geblieben. Ruppige Kontrolleure machen einen zum Straftäter, wenn man nicht 6,70 Euro für das Tagesticket passend in Münzen für den Automaten in der Straßenbahn bereit hält. Die Informationen bei
Bauarbeiten und Störungen werden immer schlechter und unverständlicher, so es sie denn überhaupt gibt. Selbst in modernisierten U-Bahn-Zügen können die Stationen noch immer nicht angezeigt, sondern nur angesagt werden, was oft nicht zu verstehen ist. Mehr Reisekomfort definiert die BVG mit Hartschalensitzen und verklebten Fenstern. Und auf Kundenbeschwerden wird zeitnah oft nur mit „Wir benötigen noch etwas Zeit” oder nichtssagenden Textbausteinen geantwortet.
Doch eines hat überdauert: Herausragender Bestandteil war die damals neue Kundengarantie. Diese besteht zum einen aus der Saubere-Sachen-Garantie, nach der die BVG Reinigungskosten für Kleidung übernimmt, wenn die Verschmutzungen im Verschulden der BVG liegen. Zum anderen aus der Fahrzeit-Garantie. Nach dieser soll ein Fahrgast einen Gratis-Fahrschein erhalten, wenn er durch BVG-Verschulden sein Fahrziel mit mehr als 20 Minuten Verspätung erreicht.
Für einen Test lassen sich solche Bedingungen nicht künstlich herstellen. Wir mussten also warten, bis sich im Laufe der Jahre ausreichend Garantieansprüche einstellten, um den Service umfassend bewerten zu können. Für die Saubere-Sachen-Garantie ist uns dies selbst über den Zeitraum von 15 Jahren nicht gelungen. Daher beschränkt sich dieser Test auf Erfahrungen mit der Fahrzeit-Garantie.
Die Regeln sind seit der Einführung identisch geblieben: „Sollten Sie aus Gründen, die wir zu vertreten haben, mehr als 20 Minuten später als der aktuelle Fahrplan vorgibt, erst Ihr Ziel erreichen, erhalten Sie von uns einen Gratisfahrschein. Passiert Ihnen dies in der Nachtzeit zwischen 23.00 Uhr und 5.00 Uhr, erstatten wir Ihnen Taxikosten bis maximal 50 DM [heute 25 Euro]. Unsere Garantie gilt grundsätzlich nur für Fahrten, die ausschließlich mit BVG-Verkehrsmitteln erfolgen. […] Als Abo-Kunde haben Sie den Vorteil, anstelle eines Gratisfahrscheins auch eine Abbuchungsermäßigung zu vereinbaren.”
Die Beanspruchug der Garantie hat die BVG recht einfach und komfortabel gestaltet. Dazu wurden Flyer mit dem Garantieformular gedruckt, welches ausgefüllt und zusammengeklebt einen Brief bildet, den der Kunde unfrei einsenden kann. Gibt man alle Angaben aus dem Garantieantrag auch vollständig in einer E-Mail an, so wird diese in der Regel ebenfalls akzeptiert. Dies muss innerhalb von 14 Tagen nach dem Vorfall geschehen. Der Kunde erhält dann nach der Bearbeitung ein Schreiben, das entweder den Gratisfahrschein oder eine begründete Ablehnung enthält.
Die BVG verstehe sich als richtungsweisendes, kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen, so der damalige BVG-Chef Rüdiger vorm Walde. Die damals einzigartige Selbstverpflichtung sollte Vorreiter für Deutschland sein. Es bestehe zwar kein Rechtsanspruch, die BVG gehe aber davon aus, dass sich die Berliner an die Regeln halten werden, und sie wolle kundenorientiert und kulant reagieren. Um Missbrauch vorzubeugen, werde man aber in Einzelfällen genauer hinsehen, hieß es damals.
BVG-Chef vorm Walde sagte anlässlich der Einführung dazu: „Es wird sicher nicht umsonst sein. Aber ein zufriedener Kunde ist uns das wert. Wir lassen uns diese Aktion gern etwas kosten.“
Vom damaligen Wirbel ist heute nicht mehr viel übrig geblieben. Seit Jahren muss man die Flyer zur Kundengarantie schon sehr gezielt suchen oder sich als Bückware im Kundenzentrum aushändigen lassen. Geworben wird mit dieser kundenfreundlichen Garantie schon lange nicht mehr. Von der Website ist das Angebot ebenfalls fast vollständig verschwunden. Bemüht man das Suchfeld auf bvg.de mit dem Begriff „Fahrzeit-Garantie”, so liefert dies keine Treffer, obwohl die Seite existiert. Das lässt vermuten, dass das ungeliebte Kind nur deshalb noch fortbesteht, weil es 2008 Bestandteil des BVG-Verkehrsvertrags wurde. Somit schlummern darin ungenutzte Marketingpotenziale, obwohl die Kosten für die bearbeitende Abteilung vertragsbedingt weiterbestehen.
Im Grunde wird heute wie damals gleichermaßen kulant entschieden. Erstmalige oder selten in Anspruch nehmende Kunden erhalten den Gratis-Fahrschein (immer Berlin ABC) innerhalb weniger Tage per Post. Wie von der BVG angekündigt schaut man bei den „Wiederholungstätern” aber genauer hin. Zu genau, wie unser Test offenbart hat. Berücksichtigt man, dass alle von unseren Testern eingereichten Garantiefälle sorgfältig ausgewählt waren und jeder Prüfung standhalten müssten, dann war die Ablehnungsquote doch zu hoch.
In einem Fall fuhr im September 2012 eine Straßenbahn der Linie 60 verfrüht von einer Haltestelle in Adlershof ab: statt 9.36 Uhr bereits um 9.34 Uhr. Der betroffene Fahrgast, der seine Bahn nur noch von hinten sehen konnte, erreichte sein Ziel deshalb erst mit 20-minütiger Verspätung und stellte einen Antrag gemäß BVG-Fahrzeitgarantie. Das Unternehmen antwortete kurz und knapp: „Eine Auswertung der Daten unseres rechnergesteuerten Betriebsleitsystems bestätigt die planmäßige Abfahrtzeit der Tram.”
Aus der Erfahrung des Fahrgastes mit einem früher schon einmal abgelehnten Antrag fertigte er dieses Mal sofort nach dem Verpassen der Bahn einen Screenshot der Ist-Abfahrtzeiten einige Haltestellen weiter an. Mit diesem konnte der Fahrgast nachweisen, dass eine Verfrühung tatsächlich vorlag, denn die IST-Abfahrtzeiten werden aus demselben „rechnergesteuerten Betriebsleitsystem” bezogen, auf das die BVG ihre Antwort stütze. Der Fahrgast übersandte das Bildschirmfoto an die BVG mit der Bitte um Stellungnahme.
Diese führte eine erneute Überprüfung durch und teilte dem Kunden mit: „Alle von Ihnen angegebenen Daten wurden vom Betriebshof geprüft und es wurde eine planmäßige Abfahrt bestätigt. Ihr Screenshot ist für eine Auswertung leider nicht aussagefähig.” Eine Erklärung, warum der Screenshot nicht aussagefähig sei, fehlte.
Ähnliche Erfahrungen haben auch andere Tester machen müssen. Mal wurde abweichend von der Garantieregel behauptet, dass eine dreiminütige Verfrühung zu akzeptieren sei, ein anderes Mal wurde mit einer ebenfalls angeblich aus dem Betriebsleitsystem stammenden erfundenen Durchfahrzeit mit Sekundengenauigkeit argumentiert, die das System technisch gar nicht liefern kann. Einmal haben sogar zwei Tester unterschiedliche Bescheide für denselben Vorfall bekommen. Dem einen Antrag wurde stattgegeben, der andere abgelehnt.
Die ausgewerteten Fälle zeigen, dass die BVG zur Ablehnung eines Kundenanliegens oft einen Aufwand betreibt, der betriebswirtschaftlich durch nichts zu rechtfertigen ist. Es werden Mitarbeiter beschäftigt, mehrere Briefe geschrieben und verschickt, nur um einen Fahrschein im Gegenwert von inzwischen 3,20 Euro zu verwehren, der ohnehin nur für sowieso stattfindende Fahrten im eigenen Unternehmensverbund genutzt werden kann. Nicht zuletzt verkehrt sich so auch noch die mit der Kundengarantie angestrebte Marketingwirkung ins Gegenteil.
Anscheinend wird aus der eingangs erwähnten „genauen Prüfung in Einzelfällen” eine Ablehnung, wenn ein gewisses Kontingent überschritten ist.
Im Großen und Ganzen bietet die BVG mit ihrer Fahrzeitgarantie ein gutes Element der Kundenbindung an. Der Antrag ist unkompliziert und der Zeitraum, der dem Kunden zur Beanstandung gelassen wird, ausreichend. Die Beantragung per E-Mail nicht zu forcieren, aber zuzulassen, ist akzeptabel – sowohl unter ökologischen, als auch unter ökonomischen Gesichtspunkten. Denn es spart Papier, Porto und Transport.
In der Regel erhält der Antragsteller seinen Garantiefahrschein zügig. Dass es sich hierbei, egal welcher Weg zurückgelegt wurde, immer um einen hochwertigen Einzelfahrschein Berlin ABC für Erwachsene handelt, ist ebenfalls positiv. Die Erstattung von Taxikosten, auch wenn dies nicht repräsentativ getestet werden konnte, lief problemlos.
Einen überregionalen Vergleich braucht die BVG nicht zu scheuen. Zwar ist woanders die Verspätungsgrenze meist geringer als 20 Minuten, aber die Regeln und Erstattungsbedingungen sind in der Regel komplizierter. Die BVG-Garantie kann hingegen selbst ein Tourist wahrnehmen und erhält mit dem Fahrschein die Motivation, die Stadt bald wieder zu besuchen. Also auch gut für Berlin. Schade nur, dass man die Garantie nicht mehr offensiv bewirbt und anscheinend nur als Kostenpunkt sieht, aber nicht als preiswertes Marketinginstrument zur Aufpolierung des eigenen Images. Hier ist bei der BVG ein Umdenken erforderlich. Aber ebenso ist das Land Berlin gefordert, die Einhaltung des Verkehrsvertrages mit der BVG auch hinsichtlich der Kundengarantie zu kontrollieren. (hm)
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 4/2013 (September 2013), Seite 5-7