Eisenbahn Infrastruktur

Verkehrspolitische Geisterfahrt in Mülheim an der Ruhr


Berliner Fahrgastverband IGEB

23. Aug 2013

Mitten in Nordrhein-Westfalen, zwischen Duisburg und Essen, liegt Mülheim an der Ruhr. Mit knapp 170.000 Einwohnern hat Mülheim den Status einer Großstadt und besitzt seit 1897 eine meterspurige Straßenbahn. In den 1970er Jahren begann auch in Mülheim der Bau von Tunnelanlagen mit der fatalen Folge, dass Mülheim heute als Systemtrennstelle zwischen Duisburg, Essen und Oberhausen über drei (!) verschiedene Straßenbahnsysteme verfügt. Die meterspurige Straßenbahn existiert nach wie vor

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und bedient sowohl den Tunnel, als auch oberdirsche Strecken. Das Netz weist eine Strecke nach Oberhausen und eine Verbindung zum Essener Meterspurnetz auf. Aus Essen erreicht auch die normalspurige, mit Hochflurfahrzeugen bediente, Stadtbahnlinie U 18 ihren Zwangsendpunkt am Mülheimer Hauptbahnhof. Weiter in die Stadtmitte kann sie nicht fahren, denn entgegengesetzt endet die ebenfalls normalspurige Duisburger Straßenbahnlinie 901 mit teilniederflurigen Fahrzeugen im Hauptbahnhof. Beide Systeme sind inkompatibel! Die gemeinsame Tunnelnutzung der meterspurigen Linie 102 und der normalspurigen Linie 901 erfolgt durch ein aufwendiges Vierschienengleis.

Besondere Berühmtheit erlangte Mülheim aber durch einen einmaligen Vorgang: Am 2. April 2012 wurde die sogenannte Flughafenstrecke zwischen Hauptfriedhof und Flughafen ohne Vorankündigung „technisch gesperrt”, da der Betriebsleiter die Betriebssicherheit nicht länger garantieren wollte. Zuvor unterblieb die notwendige Instandsetzung der Strecke, da die Stadt die entsprechenden Gelder nicht freigab. Die zuständige Bezirksregierung in Düsseldorf fordert seitdem mit Verweis auf die Betriebspflicht die Instandsetzung der Strecke und drohte Zwangsmaßnahmen an.

Am 21. September 2012 reagierte die Stadt Mülheim auf ihre Art, indem sie einen Antrag auf dauerhafte Entbindung von der Betriebspflicht (Stilllegung) stellte und zeitgleich die Konzession für eine Buslinie beantragte.

Straßenbahnhaltestelle Friesenstraße in Mühlheim an der Ruhr. Störanfällige Fahrzeuge und abgewirtschaftete Gleise – der einstige Vorzeigebetrieb wurde systematisch vernachlässigt. Zum Flughafen können daher keine Bahnen mehr fahren, doch die Genehmigungsbehörde verweigert die Stilllegung und pocht auf die Betriebspflicht Foto: Stefan Kunzmann

Am 14. März 2013 versandte die Bezirksregierung den Ablehnungsbescheid mit der Begründung, dass der Zustand „durch pflichtwidrige Unterlassung ordnungsgemäßer Unterhaltung herbeigeführt worden“ sei und die Sanierung für 600 000 Euro wirtschaftlich zumutbar ist, da ein entsprechender Betrag in den Vorjahren eingespart wurde. Zudem soll die Strecke laut Regionsplanung sogar bis zur Messe Essen verlängert werden und dort einen Verknüpfungspunkt zur U 11 erhalten.

Doch das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. Die Verabschiedung des Nahverkehrsplans wurde wieder und wieder verschoben.

Am 11. Juli 2013 hatte der Stadtrat über die Beschaffung von 20 neuen Straßenbahnfahrzeugen abzustimmen, was eigentlich eher als Formalie angesehen wurde. Aber plötzlich waren die Gegner erneut zur Stelle: Wundersamerweise sollte der Komplettausstieg samt Rückzahlung von 50 Millionen Euro Fördergeldern (aus der Portokasse?) günstiger sein als der langfristige Weiterbetrieb.

Am Ende der Stadtratssitzung gab es kein klares Ergebnis, denn statt der 20 werden nur 10 neue Fahrzeuge im Wert von 28 Millionen Euro beschafft, sodass mit den bereits bestellten 5 Fahrzeugen 15 statt 25 Neufahrzeuge zur Verfügung stehen werden. Zudem wurde angewiesen, dass bis zur Entscheidung über die Zukunft der Straßenbahn nur jene Maßnahmen durchgeführt werden dürfen, die für den Erhalt der Betriebssicherheit zwingend notwendig sind.

Ein Bekenntnis zum schienengebundenen ÖPNV sieht anders aus! Vielmehr könnte sich der 11. Juli 2013 trotz Bestellung neuer, aber eben nicht ausreichender Fahrzeuge als Wendepunkt zugunsten der Straßenbahngegner erweisen, zumal sich die neuen Straßenbahnen gegebenenfalls weiterverkaufen lassen, da sie auch andernorts einsetzbar sind – zum Beispiel in Essen.

Die Nachbarstädte Duisburg und Essen zeigten sich von diesem völlig unabgestimmten Vorgehen geschockt und beharren auf der Einhaltung bestehender Verträge und Konzessionen. Die erfolgte Einrichtung einer gemeinsamen Verkehrsgesellschaft wird damit konterkariert. (ge)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 4/2013 (September 2013), Seite 26