Eisenbahn Infrastruktur
23. Aug 2013
Dass die Bahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist, lernt man eigentlich schon als Kind in der Schule. In den vergangenen Jahren haben jedoch Publikationen, nicht zuletzt auch vom Umweltbundesamt, das Weltbild ins Wanken gebracht und die Bahn auf die Plätze verwiesen. Unter anderem sind es die Erstellungs- und Unterhaltungskosten der Infrastruktur sowie die in den Berechnungen berücksichtigten Auslastungen, die das Ergebnis beeinflussen. Insbesondere die schlechte Klimabilanz bei der Herstellung von Beton, dem Hauptbaustoff für Bahnbauten wie Bahnhöfe, Brücken und Tunnel, aber auch für die unzähligen Schwellen des großen Schienennetzes, lässt sich mittelfristig kaum verbessern.
Anders sehen die Möglichkeiten der verkehrlichen Seite aus. Da die Auslastung der Züge starken Schwankungen zwischen Hochlastzeiten und Randzeiten unterliegt,
würde der Berliner Fahrgastverband IGEB die Ausweitung günstiger Angebote in den Schwachlastzeiten sehr begrüßen, z. B. mehr Sparpreise der untersten Preisstufen für 19 bis 39 Euro auch auf längeren Strecken. In Kombination mit einer BahnCard ist das ein starkes Argument für den preissensiblen flexiblen Reisenden.
Die DB-BahnCard ermöglicht es nicht nur, preiswerter mit der Bahn zu fahren, sie ist vielmehr die Eintrittskarte für ein neues Zeitalter umweltbewussten Reisens. Seit 1. April 2013 reisen alle mittlerweile 5,1 Millionen BahnCard-Inhaber sowie Reisende mit Fernverkehrszeitkarten, Firmenkundenund Veranstaltungstickets in den (elektrisch angetriebenen) Zügen des Fernverkehrs automatisch mit Ökostrom, ohne dafür mehr bezahlen zu müssen. Die Mehrkosten für den Einkauf des „grünen Stroms“ trägt die Deutsche Bahn. Für alle anderen umweltbewussten Reisenden im innerdeutschen Fernverkehr bietet das Angebot „Umwelt-Plus“ nun die Möglichkeit, unter Zuzahlung von pauschal einem Euro pro Person und Fahrt – unabhängig von der zurückzulegenden Strecke – mit Ökostrom zu fahren.
Damit will die DB im Fernverkehr wieder die Spitzenposition als umweltfreundlichstes Verkehrsmittel erringen, und sie rechnet damit, dass künftig etwa drei Viertel aller Fernfahrten mit Ökostrom erfolgen. Das soll den CO2-Ausstoß von 45 g/Pkm (Gramm pro Personenkilometer) auf 14 g/Pkm verringern und damit den Fernbus mit 30 g/Pkm unterbieten.
Das betrifft aber nur den eigenwirtschaftlichen Fernverkehr der DB in Deutschland. Die Nahverkehre – auch im Vor- und Nachlauf zum Fernzug – sind von dem Konzept ausgenommen, da hier die Aufgabenträger als Besteller für die Rahmenbedingungen verantwortlich sind. Die große Ausnahme und damit innovative Vorreiter sind die S-Bahn in Hamburg und der Nahverkehr im Saarland, die schon seit 2010 komplett mit Strom aus erneuerbaren Energien verkehren. Alle anderen bedienen sich auch weiterhin des „normalen“ Bahnstrom-Mixes mit einem Ökostrom-Anteil von lediglich 24 Prozent. Aber auch das will die Bahn ändern und setzt sich hehre Ziele.
Der komplette Bahnstrom, immerhin etwa 12 Terawattstunden (12 000 000 000 kWh) pro Jahr, soll im Jahr 2050 CO2-frei aus regenerativen Energiequellen stammen. Das entspricht in etwa dem Stromverbrauch von Berlin. Erstes Etappenziel ist ein Ökostrom-Anteil von 35 Prozent am gesamten Bahnstrom-Mix (Fern-, Nah-, Güterverkehr) bis 2020. Dafür hat die Deutsche Bahn schon einiges getan. Die breite Basis ist die Stromgewinnung aus Wasserkraft. Den Grundstein bildete bereits um 1900 das Bahnstromwerk der Strecke Murnau—Oberammergau, das heute noch als ältestes in Betrieb ist. In den letzten zweieinhalb Jahren wurden umfangreiche Verträge mit namhaften Stromanbietern geschlossen. So liefern RWE ca. 900 GWh, E.ON ca. 600 GWh und die Verbund AG ca. 300 GWh zusätzlich pro Jahr. Da diese ihren Strom nicht mit 110 kV / 16,5 Hz direkt in das Bahnstromnetz einspeisen, sondern mit 50Hz in das „öffentliche“ Netz, sind zahlreiche zentrale und dezentrale Umrichter/Umformer sowie Unterwerke erforderlich, um den Oberleitungsstrom (15 kV / 16,5 Hz) bereit zu stellen.
Ein besonderer Vorteil ist dafür die kontinuierliche Verfügbarkeit aus den verschiedenen Flusskraftwerken, jedoch kann diese Art der Stromgewinnung nur bedingt ausgebaut werden, da geeignete Flüsse rar sind. Lediglich die Steigerung der Leistungsfähigkeit bestehender Anlagen durch Modernisierung und Weiterentwicklung der Technik bietet Spielraum für mehr.
Größere Entwicklungsreserven hat die Windenergie, bildet sie doch den Löwenanteil der erneuerbaren Energien am allgemeinen deutschen Strommarkt. So hat die DB erst einmal fünf Windparks mit einer erwarteten Jahresleistung von 140 GWh (Gigawattstunden) unter Vertrag genommen, um Erfahrungen sammeln zu können. Insbesondere der Umstand, dass der Wind nicht immer dann bläst, wenn der Strom am meisten gebraucht wird, bereitet noch arges Kopfzerbrechen. Darum investieren die Bahn und ihre Kooperationspartner Enertrag, Total sowie Vattenfall in ein Hybridkraftwerk in Prenzlau, wo überschüssige Windenergie der Produktion von Wasserstoff dient, der gespeichert werden kann. Dieser wird zu windschwachen Zeiten mit Biogas vermengt und erzeugt wieder Strom. Überflüssiger Wasserstoff kann über eine „Tankstelle“ wasserstoffangetriebene Fahrzeuge versorgen. Nach gegenwärtigem Stand der Technik kann dieses Kraftwerk 16 GWh jährlich erzeugen. Das ist durchaus ausbau- und zukunftsfähig. Die Kunden der DB haben für dieses Projekt etwa 500 000 Euro über die Produkte „Umwelt-Plus“ und „Eco Plus“ für Bahnfahrten mit 100 Prozent Ökostrom beigesteuert.
Die Sonnenergie spielt gegenwärtig eine eher untergeordnete Rolle, wird dennoch nicht ignoriert. So wurde beispielsweise im August 2012 eine 8,7 ha große Fotovoltaik-Anlage in Wittenberge angeschlossen, die jährlich 3,3 GWh Ökostrom erzeugt. Weitere 16 Solarprojekte sind in Planung, Ausschreibung oder teilweise schon in der Umsetzung, die künftig insgesamt 10 GWh pro Jahr liefern sollen. Eine konzerninterne Untersuchung hat ergeben, dass auf DB-Liegenschaften bis zu 330 ha Nutzfläche (Brachland, Dächer usw.) für Solarprojekte geeignet wären.
Ein komplett CO2-freier Schienenverkehr – das sind zur Zeit etwa 7,7 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid jährlich – heißt aber auch, dass die heute noch zahlreich verkehrenden Diesellokomotiven und Dieseltriebwagen aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Wie sieht es dann aber mit der Bedienung nicht elektrifizierter Strecken und Gleisanschlüsse aus? Stilllegung? Verlagerung auf Bus und Lastkraftwagen? Das kann wohl kaum das Mittel zur Zielerreichung sein!
Die Antworten hierauf will die Initiative „Eco Rail Innovation“ ERI liefern. In dem Zusammenschluß aus DB AG und 16 Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft sollen wettbewerbsfähige und umweltfreundliche Technologien entwickelt und betriebsnah erprobt werden.
Unter anderem das Projekt „Oberleitungslose Elektrische Traktion“, in dem vorgesehen ist, die Fahrzeuge mit internen oder externen Speicherelementen (sogenannte Speichertender) auszustatten, die den Aktionsradius auf Strecken bis zu 200 km ohne Oberleitung erweitern sollen. Schön, dass die über hundert Jahre alte Technologie der Akku-Triebwagen aufgegriffen und nun mit dem klassischen Oberleitungsbetrieb zu einem leistungsfähigen Hybridantriebssystem weiterentwickelt werden könnte. Die Betonung liegt auf „könnte“. Denn das Projekt soll gegenwärtig zurückgestellt worden sein, so heißt es leider aus Kreisen des DB-Umweltzentrums.
Einen ersten Erfolg hingegen feiert man gegenwärtig mit der Erprobung eines Regionalbahn-Triebwagens der Baureihe 642 im Regelbetrieb, der Bremsenergie in elektrische Energie umwandeln und speichern kann. Auf Knopfdruck kann zwischen Diesel- und Elektroantrieb umgeschaltet werden. Etwa 25 Prozent an CO2-Ausstoß und Treibstoffverbrauch werden so durch diesen Hybrid-Triebwagen eingespart.
Um weitere innovative Möglichkeiten zu erschließen, hat die ERI im Mai 2012 eine Stiftungsprofessur für „Energieeffiziente Systeme der Bahntechnologie“ an der Fachhochschule Brandenburg für einen Zeitraum von erst einmal fünf Jahren eingerichtet. Etwa eine Million Euro werden hier in die Ausbildung junger Ingenieure investiert.
Auf die Frage, ob sich die Energiewende für die Bahn auch ökonomisch lohnt, kann mit einem klaren „Ja” geantwortet werden. Zunächst ist es natürlich vor allem ein Imagegewinn für den Verkehrsträger Bahn und den DB-Konzern. Eine Vorreiterrolle bei der notwendigen Energiewende zu übernehmen, setzt ein deutliches Zeichen. Ökonomisch betrachtet wird das zwar kurz- und wohl auch mittelfristig mehr kosten – über genaue Zahlen hüllt die DB AG sich leider in Schweigen –, langfristig wird es sich aber rentieren. Zum einen macht sich die Bahn unabhängiger von tendenziell immer teurer werdenden fossilen Kraftstoffen wie Öl oder Kohle, zum anderen rechnen verschiedene Studien mit einem Fall der Produktionskosten für erneuerbare Energien. Bereits zwischen 2020 und 2030 sollen, so schätzt der Fachausschuss „Nachhaltiges Energiesystem 2050“ des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien (FVEE), die Produktionskosten aus erneuerbaren Energien gleich hoch sein wie die fossiler und bis 2050 sogar deutlich günstiger. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Kosten für den Handel von CO2-Zertifikaten wieder steigen werden.
Wichtig ist, eine stabile marktunabhängige Eigenproduktion für mindestens zwei Drittel des Bahnstroms zu errichten, um den Verkehrsträger Bahn nicht allzu stark vom spekulativen Strommarkt abhängig zu machen. Idealerweise sollte lediglich der durch saisonale und konjunkturelle Schwankungen geprägte Stromanteil auf dem freien Markt zugekauft werden müssen.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt das umweltpolitische Engagement der Deutschen Bahn und hofft, dass die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und durch wankelmütige Politiker instabilen Rahmenbedingungen in Deutschland den Erfolg nicht gefährden. Ein aus umwelt- wie auch verkehrspolitischer Sicht wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist es allemal. (BfVst)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 4/2013 (September 2013), Seite 28-30