Aktuell

Kundencharta Fernverkehr der DB AG

Mit Wirkung vom 1. Oktober 2004 hat die Deutsche Bahn AG eine „Kundencharta Fernverkehr” herausgegeben.


DBV Bundesverband

1. Nov 2004

Damit reagiert sie auf die seit Jahren sich häufenden Kritiken und Beschwerden der Fahrgäste sowie der Fahrgast- und Umweltverbände über unzureichende Maßnahmen im Zusammenhang mit der Personenbeförderung. Durch den Erlaß der „Beförderungsbedingungen für Personen durch die Unternehmen der Deutschen Bahn AG (BB Personenverkehr)", die durch Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) notwendig geworden waren, wurden einige dieser Probleme gemildert. Zur Verminderung des Druckes der Öffentlichkeit bei der Zunahme von Verspätungen im Fernverkehr wurden freiwillig Gutscheine im Werte von 10 EUR bei mehr als 30 Minuten Verspätung eines ICE oder IC/EC - Zuges ausgegeben. Jedoch einer von vielen Seiten geforderten rechtsverbindlichen Regelung ihrer Beziehungen zum Kunden konnte sich die DB AG bislang erfolgreich entziehen. Auch die jetzt vorliegende Kundencharta ist für die Fahrgäste nicht unmittelbar rechtsverbindlich, sondern hat die Form einer (Absichts-)" Erklärung der Deutschen Bahn AG gegenüber der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zu den Fahrgastrechten im Fernverkehr". Außerdem gilt sie ausdrücklich nur bei Fahrten mit Zügen und mit Fahrkarten des Fernverkehrs - also im ICE oder IC/EC und in Schlafwagenzügen der DB AG.

Es sei noch darauf hingewiesen, daß es sich bei der Kundenchärta nicht um einen deutschen Einzelfall handelt. Bei der Europäischen Union in Brüssel liegt ein derartiges Dokument im Entwurfsstadium vor, in dem die Rechte der Fahrgäste weitaus umfangreicher vorgesehen sind. Für den Internationalen Verkehr wurde im Rahmen des Internationalen Eisenbahnverbandes UIC in Paris eine Kundencharta der Gemeinschaft Europäischer Bahnen (CER) im Jahre 2002 erarbeitet; die DB AG verpflichtet sich in Ziff. VIII der vorliegenden Charta, dieses Dokument für den grenzüberschreitenden Fernverkehr anzuerkennen. Außerdem ist im Frühjahr 2005 mit dem Inkrafttreten des „Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF)" zu rechnen, dessen Anhang A „Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (CIV)" enthält.

Außer der vorliegenden Charta gibt es noch andere Rechtsvorschriften und Vertragsbedingungen, die sich mit Fahrgastrechten bzw. Teilbereichen davon für ihren jeweiligen Geltungsbereich befassen. Dazu gehören Teile des bereits erwähnten Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), das Haftpflichtgesetz (HPflG) für Entschädigungen bei Tötung und Verletzung von Reisenden, die Eisenbahnverkehrsordnung (EVO), die Beförderungsbedingungen der jeweiligen regionalen Verkehrsverbünde. Nach Ziff. IX der vorliegenden Charta will sich die DB AG auch „dafür einsetzen, gemeinsam mit den Bestellern von Nahverkehrsleistungen Regelungen für Fahrgastrechte im Nahverkehr zu vereinbaren". Damit bleiben Regelungen für solche Nahverkehre offen, für die keine Bestellungen vorliegen.

Im Interesse der Überschaubarkeit aller dieser Regelungen durch die Reisenden wäre es wünschenswert, diese Fahrgastrechte in entsprechenden Dokumenten einheitlich, übersichtlich und rechtsverbindlich zusammenzufassen und zu veröffentlichen.

Zu Einzelfragen der Charta, die unter der Überschrift „Zusagen der DB AG" zusammengefaßt sind. Es sind dies:

Einfacher Zugang zum System der DB

Als Informationsquellen für die Reiseplanung im Fernverkehr bietet die Charta (in dieser Reihenfolge) das Internet, das Telefon, Automaten, Aushänge, Fahrplanunterlagen und Broschüren am Bahnhof und schließlich die persönliche Beratung an. Es erhebt sich als erstes die Frage, wie „ein des Reisens Unkundiger" (wie z.B. ein Bürger, der in seinem bisherigen Leben nur sein Auto benutzt hat) an diese Quellen herangeführt und mit deren Benutzung vertraut gemacht werden kann. Das Normalste war bisher die persönliche Beratung. Wenn jedoch in erschrecklich zunehmendem Maße Fahrkartenschalter geschlossen oder ihre Öffnungszeiten eingeschränkt werden, ist der „einfache Zugang zum System der DB" für diesen Personenkreis ebenfalls verschlossen; ein Fahrgastschwund ist die logische Folge, auch wenn irgendwo die besten, schnellsten und pünktlichsten Züge angeboten werden. Beim Deutschen Bahnkunden-Verband (DBV) häufen sich gerade in letzter Zeit Beschwerden der Fahrgäste über mangelnde Informationsmöglichkeiten und -angebote. In der Charta wird das Ziel gesetzt „an allen Fernverkehrs-Bahnhöfen in Deutschland stellt die DB ihren Kunden mindestens einen Vertriebsweg zur Verfügung (Fahrkartenausgabe, Reisebüro mit DB-Lizenz, Agentur, Fahrkartenautomat)". Gegenwärtig werden Fahrkartenausgaben geschlossen, Reisebüros und Agenturen verlieren ihre Provision oder müssen sie dem Kunden zusätzlich berechnen. Somit stellt der einzig übriggebliebene Vertriebsweg Fahrkartenautomat auf einem Fernverkehrsbahnhof der DB AG ein Armutszeugnis dar.

Zuverlässige Beratung durch das Verkaufspersonal der DB AG

Bei Beratungen durch das Verkaufspersonal - soweit noch vorhanden - stellen die Kunden in zunehmendem Maße fest, daß ausschließlich der Computer, auch mit allen seinen einzelnen oder systembedingten Fehlern, zur Grundlage der Auskünfte genommen wird. Verkehrsgeographische Kenntnisse sind bei den Mitarbeitern so gut wie nicht mehr vorhanden, ganz zu schweigen über Auskünfte zum oder im Auslandsverkehr. Und niemand kann dem Kunden sagen, zu welchem Zeitpunkt seine Rechte aus dem Beförderungsvertrag beginnen - beim Kauf der Fahrkarte (bis zu drei Monate im Voraus) oder beim Betreten des Fahrzeugs.

Die angebotene Beratung beschränkt sich, wie die gesamte vorliegende Charta, auf den Fernverkehr der DB AG. Da inzwischen Reisende auch auf große Entfernungen Nahverkehrszüge der DB oder deren Tochtergesellschaften nutzen und da in größerem Umfang auch Nichtbundeseigene Eisenbahnen ihre Dienste anbieten, muß gesichert werden, daß deutschlandweit diese Angebote den Bahnkunden unterbreitet werden. Hierfür könnte der kürzlich international aufgetauchte Begriff der „Systemführerschaft" auch für die Inlandsverkehre verwendet werden. Das heißt, daß eine der am Gesamtverkehr beteiligten Bahnen - hier die DB AG - die anderen nicht als Konkurrenten betrachtet, sondern im Interesse der Fahrgäste sich um deren Kooperation in allen Reiseverkehrsbelangen kümmert. Dazu würde beispielsweise auch die Anschlußsicherung zu Verkehrsmitteln anderer Unternehmen gehören. Falls die DB AG nicht in der Lage sein sollte, „die Stellung ihrer Kunden im Sinne eines umfassenden, modernen Leistungs versprechens weiter zu verbessern", müßte geprüft werden, welche andere Institution diese Aufgaben übernimmt.

Trotz vielfältiger elektronischer Medien sollte sich die DB AG auch weiterhin zur Herausgabe von Kursbüchern verpflichten. Diese Bücher eignen sich nach wie vor als gute Informationsquelle auch für die Gewinnung neuer Kunden und für Nutzer der Eisenbahn aus ländlichen Regionen.

Saubere Bahnhöfe und Züge, Komfortables und sicheres Reisen

Was Sauberkeit und Sicherheit in den Fernverkehrszügen und auf den Bahnhöfen betrifft, stellt der DBV fest, daß auf diesem Gebiet bisher viel getan worden ist; es gibt kaum noch Beschwerden. Wir befürworten daher die in diesem Abschnitt der Charta enthaltenen Erklärungen und werden unsererseits unsere Mitglieder auffordern, die Mitarbeiter aller Eisenbahnunternehmen bei der Einhaltung und Durchsetzung von Sauberkeit und Sicherheit entsprechend zu unterstützen.

Eingehaltener Fahrplan und Anschlußsicherung, Information der Kunden entlang der gesamten DB-Reisekette

Verspätungen haben - aus welchen Gründen auch immer - negative Auswirkungen auf das Ansehen der Verkehrsunternehmen und sind oftmals mit finanziellen Schäden für die Fahrgäste verbunden. Trotz aller Anstrengungen von Eisenbahnern sind sie jedoch nicht immer vermeidbar. Am Rande sei nur darauf verwiesen, dass es auch im Luft- und Straßenverkehr, ja sogar im individuellen Kraftfahrzeugverkehr, Verspätungen gibt - darüber redet nur kaum jemand und niemand macht die Straßenverkehrsbehörden für einen Stau verantwortlich oder gar schadensersatzpflichtig.

Bei der Eisenbahn können verschiedene Faktoren zu Verspätungen führen. Das sind einmal solche Ereignisse, die auch bei besten Sicherheitsvorkehrungen für die Eisenbahnen unabwendbar sind. Dazu gehören Naturereignisse (Überschwemmungen, Sturmschäden, Bergrutsche), Streik, kriegerische Handlungen (Terrorakte) und leider in zunehmendem Maße auch Selbstmord. Für solche Fälle lehnen auch wir jede Verantwortung einer Eisenbahn ab.

Andererseits können Verspätungen ihre Ursache in Handlungen oder Unterlassungen innerhalb des Systems Eisenbahn haben. Durch die derzeit zu beobachtende Zersplitterung bei der DB AG (Fernverkehr, Regionalverkehr, Stadtverkehr, Fahrweg, Traktion, Station und Service, Energieversorgung usw.) kann es bei nicht ordnungsgemäßem Zusammenspiel zur Häufung von Fehlhandlungen kommen - oft lösen kleine Ursachen große Wirkungen aus. Für derartige Verspätungen hat nun erstmalig die DB AG im Fernverkehr ihre Verantwortung eingeräumt und bietet den davon betroffenen Fahrgästen eine pauschale Entschädigung an. Diese beträgt bei mehr als 60 Minuten Verspätung des Fernzuges - bei Schlafwagenzügen mehr als 120 Minuten - am Zielbahnhof (oder Aussteigebahnhof) des Reisenden 20% des Fahrkartenwertes. Weitere Einzelheiten und vor allem Ausnahmen von dieser Ersatzpflicht werden in den Beförderungsbedingungen geregelt, die uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht vorliegen.

In Ziffer 9.1.1. der gegenwärtig geltenden Beförderungsbedingungen („BB Personenverkehr") sind bereits jetzt die Fälle geregelt, in welcher Form der Reisende bei Verspätung des letzten Zuges am Abend entschädigt wird, wenn sein Reiseziel bis 1 Uhr des Folgetages nicht mehr erreichen kann. In der vorliegenden Charta verpflichtet sich die DB AG, diesen Termin um eine Stunde, auf 24 Uhr, vorzuverlegen.

Lediglich diese beiden Aspekte - die 20%-Pauschale für mehr als 60 Minuten Verspätung und das Vorziehen um eine Stunde bei Verspätungen des letzten Zuges - sollen in die BB Personenverkehr eingearbeitet und damit für die Fahrgäste rechtlich durchsetzbar werden.

Offen bleibt die Frage, wie die Fahrgäste in der Praxis die betreffenden Bescheinigungen bzw. Gutscheine erhalten. Nach den Vorstellungen der DB AG sollen in erster Linie die Zugbegleiter (soweit vorhanden) diese Dokumente ausstellen. Ist das nicht möglich, sollen sich die Fahrgäste zum Servicepoint (soweit vorhanden) bemühen. Ist das nicht möglich, sollen sie nach Hause gehen und innerhalb von zwei Tagen nochmals zur Auskunft kommen (soweit geöffnet) um dort ihren Anspruch vorzutragen. Danach erhalten sie die Gutscheine zugeschickt. Wenn am Wochenende voll besetzte Züge verspätet sind, kann man sich ausrechnen, wie das funktioniert... Welcher Aufwand bei 20 Prozent Fahrpreiserstattung!

DBV Bundesverband

aus SIGNAL 5/2004 (Oktober/November 2004), Seite 6-8