Fernverkehr
30. Okt 2013
Im August 2013 musste der Zugbetrieb im Mainzer Hauptbahnhof wegen urlaubs- und krankheitsbedingtem Mangel an Fahrdienstleitern deutlich eingeschränkt werden. Dass es im vorliegenden Fall den Hauptbahnhof einer Landeshauptstadt mit täglich rund 60 000 Reisenden getroffen hat, war eine Riesenblamage für die Deutsche Bahn und an Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten. Die schöne, in Hochglanz-Broschüren gepriesene Bahn-Welt steht damit einmal mehr in krassem Gegensatz zur oft ernüchternden Realität einer Schienenverkehrs-Dienstleistung, die tagtäglich u. a. tausenden von (steuerzahlenden) Pendlern im Regional- bzw. Fernverkehr geboten wird. Das Bahnchaos in Mainz ist letztlich nur die Spitze des Eisbergs; personelle Engpässe existieren auch in anderen Regionen. So musste beispielsweise bei der Berliner S-Bahn das Zugangebot ebenfalls wegen krankheitsbedingter
Engpässe beim Fahrdienstleiterpersonal wiederholt eingeschränkt werden – siehe hierzu den nachfolgenden Beitrag „Mainz ist überall – auch in Berlin“. Aber ein Ausmaß wie in Mainz ist den Bahnkunden der Region Berlin/Brandenburg bislang zum Glück erspart geblieben.
Mit Reisegutscheinen oder Bankgutschriften entschuldigte sich die Deutsche Bahn bei ihren Stammkunden des Regional- und Fernverkehrs im Raum Mainz. Voraussetzung war dafür der Besitz einer im August gültigen Zeitkarte z. B. für die Strecken bzw. deren Teilabschnitte von Mainz nach Worms, Alzey/Kirchheimbolanden, Bad Kreuznach, Bingen, Wiesbaden, Darmstadt oder Frankfurt (Main). Auch Zeitkarteninhaber, die Nutzer des Fernverkehrs sind, profitierten von den Entschuldigungsleistungen. Kunden mit einer Monatskarte/Jahreskarte (Abo) konnten eine Rückerstattung in Höhe von 50 Euro, für eine Wochenkarte in Höhe von 15 Euro bzw. bei mehreren Wochenkarten bis maximal 50 Euro in Anspruch nehmen. Die entsprechenden Anträge mussten bis zum 30. September 2013 gestellt werden.
Brisant an der Angelegenheit ist die Tatsache, dass die Personalprobleme dem Bahn-Management bekannt waren und die sich abzeichnenden Probleme bereits vor Jahren hätten gelöst werden können und müssen. Der Personalabbau der vergangenen Jahre war im Geschäftsbereich der DB Netz AG in Erwartung des Börsengangs 2008 dramatisch. So waren am 31. Dezember 2002 insgesamt 51 918 Mitarbeiter bei der DB Netz AG beschäftigt, am 31. Dezember 2007 waren es noch 36 058 und mit Stand 31. Dezember 2012 nur noch 35 249. Innerhalb von 10 Jahren wurde damit das Personal um fast ein Drittel reduziert! Der geringste Personalbestand war im Jahr 2010 mit 34 020 erreicht. Auch wenn durch die Einrichtung der Betriebszentralen bzw. der elektronischen Leit- und Sicherungstechnik erhebliche Rationalisierungspotenziale genutzt wurden, ist mit dem Bestreben, eine möglichst hohe Rendite u. a. auch aus dem Bereich Infrastruktur zu erzielen, ganz bewusst eine geschrumpfte, an der Leistungsgrenze arbeitende Belegschaft in Kauf genommen worden. Investitionsvorhaben in moderne Leit- und Sicherungstechnik wurden in den vergangenen Jahren zudem gestreckt. Die ausgewiesenen Gewinne der DB Netz AG erhöhten sich dafür in den vergangenen Jahren spürbar (angegeben ist der EBIT, also vor Zinsen und Steuern):
Für das Jahr 2017 wird perspektivisch sogar ein Gewinn von 1,2 Mrd. Euro angestrebt.
Diese Gewinne wurden jedoch nicht reinvestiert, sondern mussten bzw. müssen bis heute bedingt durch den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag an die DB-Holding (den Mutterkonzern) abgeführt werden. Und was tut der Bund als Eigentümer zur Behebung dieser Missstände? Dieser verhält sich seit Jahren passiv und billigt diese Entwicklung. Nur dem Wahlkampf für die Bundestagswahl 2013 war es wohl zu verdanken, dass das Thema einen angemessenen Stellenwert bekam. Es ist aber Aufgabe der öffentlichen Hand, für eine funktionierende Infrastruktur zu sorgen.
Der Bund hat als Eigentümer die Pflicht, Gemeinwohlinteressen zu vertreten und seine Kontrollfunktion und Einflussnahme gegenüber der DB AG wahrzunehmen. Dies ist bislang nur unzureichend geschehen. Im Gegenteil: Der Bund als Alleinaktionär profitiert von den wirtschaftlichen „Erfolgen“ seines Unternehmens DB AG kräftig. Seit 2011 muss seitens der Deutschen Bahn eine jährliche Dividende an den Bund gezahlt werden, was die seit Jahren ohnehin unbefriedigende Situation u. a. des Infrastrukturbereiches (mit den entsprechenden Folgen für die Bahnkunden) noch verschärft.
Die Dividende belief sich für 2010 auf 500 Mio Euro und für 2011 bis 2013 auf 525 Mio Euro. Für 2014 sind ebenfalls 525 Mio Euro geplant, aber im Jahr 2015 soll diese Zwangsdividende sogar auf 700 Mio Euro steigen, sofern Korrekturen dieser Planungen ausbleiben. Sofern ein Teil des Gewinns der DB AG in Form einer Dividende in den Bundeshaushalt fließt, entfällt jedoch jegliche Zweckbindung. Wie diese Mittel verwendet werden, entscheidet dann der Finanzminister. Die damit verbundene Schwächung des Schienenverkehrs muss daher angesichts des erheblichen Handlungsbedarfs, letztlich nicht nur im Bereich der Infrastruktur, dringend behoben werden.
Eine Zweckbindung der jährlichen Dividende in voller Höhe für die Instandhaltung der Schieneninfrastruktur bzw. zur Gewährleistung ihrer uneingeschränkten technischen Zuverlässigkeit ist überfällig! Die Zweckbindung muss vertraglich geregelt und der sachgerechte Einsatz der Finanzmittel durch den Bund selbstverständlich auch kontrolliert werden.
Die Schieneninfrastruktur kann nicht wie ein Wirtschaftsbetrieb mit maximalen Gewinnmargen bei niedrigstem Personalbestand betrieben werden. Es ist nicht tolerierbar, dass z. B. eine Grippewelle zu einem teilweisen Kollaps des Bahnbetriebs führt.
Die jüngst zutage getretenen Personalprobleme machen einmal mehr deutlich, dass eine Trennung von Schienennetz und Betrieb letztlich unumgänglich ist. Diese wichtige „Weichenstellung“ ist u. a. auch Bestandteil des vierten EU-Eisenbahnpakets. Am 30. Januar 2013 wurden seitens der Europäischen Kommission dazu die entsprechenden, bereits lange geplanten Gesetzesvorschläge vorgelegt. Nach den Vorschlägen der EUKommission soll die vollständige institutionelle Trennung von Eisenbahninfrastruktur und Betrieb zukünftig der Regelfall für die Organisation von Bahnunternehmen sein.
Dagegen intervenierte jedoch das Bundeskanzleramt auf Druck der Deutschen Bahn massiv. Bereits seit Jahren wird seitens der Deutschen Bahn dahingehend argumentiert, dass ein effizienter Eisenbahnverkehr nur möglich sei, wenn die Infrastruktur Bestandteil der Holding ist. Wie widersprüchlich dieses Argument ist, beweist die Deutsche Bahn bei ihrem Expansionskurs im Ausland selbst. Dort ist ihr Tochterunternehmen DB Arriva u. a. als Eisenbahnverkehrsunternehmen erfolgreich tätig, ohne dass damit in den jeweils betroffenen Ländern eine Integration von Schienenweg und Transport verbunden ist!
In Schweden ist die beschriebene Trennung von Infrastruktur und Betrieb bereits Realität. Seit dem 1. April 2010 ist dort die staatliche Behörde „Trafikverket“ u. a. für den Ausbau und die Wartung der Eisenbahninfrastruktur zuständig. Diese Behörde hat dabei die Aufgaben der bis zu diesem Zeitpunkt zuständigen „Banverket“ (Schwedisches Zentralamt für Eisenbahnwesen) und „Värverket“ (Behörde für den Unterhalt und Ausbau des schwedischen Straßennetzes) übernommen.
Deutscher Bahnkunden-Verband
IGEB Fernverkehr
aus SIGNAL 5/2013 (November 2013), Seite 22-23