Jan Gympel
Vor 50 Jahren wurde die U-Bahn-Strecke in Berlin-Britz eröffnet
30. Okt 2013
Bruno Grimmek und Rainer Gerhard Rümmler – diese Architekten zeichnen für den Ausbau aller zwischen 1956 und 1996 in West-Berlin neu eröffneten U-Bahnhöfe verantwortlich. Die einzige Ausnahme stellt die Station Schloßstraße dar. Stimmt’s? Stimmt nicht. Häufig vergessen werden die drei U-Bahnhöfe, welche vor nunmehr 50 Jahren in Betrieb gingen: Blaschkoallee, Parchimer Allee und Britz-Süd. Als ihr Gestalter gilt Werner Düttmann.
Der 1921 geborene Düttmann war eine wichtige Figur in der West-Berliner Bauszene der sechziger und siebziger Jahre: als freier Architekt, als Hochschullehrer und von 1960 bis 1966 als Senatsbaudirektor. Er war wesentlich beteiligt an so hervorragenden Werken wie der Akademie der Künste am Hanseatenweg (als deren Präsident er von 1971 bis zu seinem Tod 1983 fungierte) oder dem Brücke-Museum – allerdings auch an so zeitgeistgemäß klobigen wie dem mittlerweile wieder abgerissenen Ku’damm-Eck,
der ebenfalls längst umgestalteten Fassade des heutigen Karstadt-Warenhauses am Kurfürstendamm oder der Mehringplatz-Bebauung, bei der nur die vage Grundidee von Düttmanns Lehrer Hans Scharoun übrigblieb. Nicht zuletzt spielte Düttmann als Senatsbaudirektor natürlich auch eine wichtige Rolle bei den großen Siedlungen, die damals entstanden, allen voran das Märkische Viertel und die Gropiusstadt.
Der Anbindung letzterer, deren Errichtung zu jener Zeit gerade erst in Angriff genommen wurde, diente auch die am 28./29. September 1963 eröffnete Verlängerung der U-Bahn von Grenzallee nach Britz-Süd, die 1970 bis Zwickauer Damm und 1972 bis Rudow fortgeführt wurde. Bekanntlich blieb dies der einzige Schnellbahnanschluss einer West-Berliner Trabantenstadt. Und selbst diesen hat der damalige Bausenator Rolf Schwedler dem Vernehmen nach nur mit dem Hinweis auf eine mögliche Verlängerung zum Ost-Berliner Flughafen Schönefeld durchsetzen können. Lange Zeit sollte die Strecke in Britz-Süd enden: Bis dorthin, so soll die BVG 1960 argumentiert haben, könnten die kalkulierten 50 000 Bewohner der neuen Großsiedlung ja mit dem Bus fahren, eine U-Bahn durch die Gropiusstadt wäre nicht rentabel.
So kurz der vor 50 Jahren fertiggestellte Britzer Abschnitt der heutigen U 7 mit rund drei Kilometern ist, er war und ist in vieler Hinsicht bemerkenswert. Mit dem Entschluss, die Strecke nicht – wie ursprünglich geplant – durch den Park am Buschkrug und ab Höhe Talberger Straße im offenen Einschnitt zu führen, wurde faktisch eine Grundsatzentscheidung getroffen: Seitdem ist in West-Berlin und nach 1990 im wiedervereinten Berlin keine oberirdische U-Bahn-Strecke mehr entstanden.
Der Zukunftseuphorie und dem Technikglauben der Fifties und Sixties entsprechend, experimentierte man auf dem Britzer Abschnitt mit nicht weniger als sechs verschiedenen schotter- und teils auch schwellenlosen Oberbauformen sowie diversen Möglichkeiten der Schalldämmung. Die Trasse führte zu der 1970 eröffneten zweiten West-Berliner Großprofilwerkstatt in Britz, die angesichts des stetigen Wachstums des Netzes notwendig geworden war – 1963 wurde an vier U-Bahn-Verlängerungen gleichzeitig gebaut! Und nirgendwo im Berliner U-Bahn-Netz finden sich so viele Empfangsgebäude bei unterirdischen Stationen – von Blaschkoallee bis Britz-Süd und darüber hinaus bis Zwickauer Damm wurden alle Bahnhöfe damit ausgestattet.
Bei den 1963 eröffneten Stationen gestaltete sie Düttmann ähnlich wie das südliche Empfangsgebäude des 1961 in Betrieb genommenen U-Bahnhofs Hansaplatz, das ebenso von ihm stammte wie die benachbarte Hansabücherei: unverkleidete Stahlbetonskelette, teils ausgefacht mit rauhen roten Ziegeln, dunkler Stahl, klar lackiertes Holz, Glasbausteine, große, raumhohe Fenster. Insbesondere die Klinker und das Holz schaffen eine leicht rustikal anmutende Atmosphäre. Dabei ist hier nichts heimattümelnd oder historisierend. Im Gegenteil: Man findet fast nur gerade Linien und rechte Winkel, kein einziges rein dekoratives Element. Die verwendeten Materialien sollen ihre reine Wirkung entfalten.
Insbesondere die Empfangsgebäude sind von dem minimalistischen, kühl-eleganten Stil Ludwig Mies van der Rohes inspiriert, der in der ersten Hälfte der 1960er Jahre schwer in Mode war – nicht nur in Berlin, wo Mies, einer der prägendsten Vertreter der modernen Architektur, damals die Neue Nationalgalerie schuf.
Apropos Moderne: Die drei kleineren der fünf Britzer Empfangsgebäude stehen zwischen Wohnzeilen der in der Weimarer Republik errichteten Hufeisensiedlung von Martin Wagner und Bruno Taut, Berlins vielleicht berühmtester Wohnanlage der klassischen Moderne. Die beiden größeren Pavillons – jener der Station Britz-Süd und der nördliche an der Blaschkoallee – erhielten kleine Pfeilervorhallen, die man als moderne Interpretation des klassischen, auf antike Tempel zurückgehenden Portikus betrachten könnte. Die Vorhallen bieten aber auch, ganz funktional, einen Wetterschutz beim Warten auf den Bus oder beim Aufenthalt an den (ursprünglich) neben den Eingängen befindlichen Verkaufs- bzw. Zeitkartenschaltern.
Bemerkenswert ist auch, wie das Empfangsgebäude an der Blaschkoallee (hinter dem sich ein Gleichrichterwerk versteckt) mit einem Aufgang zum Park am Buschkrug verbunden wurde – die Treppenanlage ist inzwischen, späterem Geschmack gemäß, bunt verhübscht worden. Der kleine Platz zwischen ihr und dem Pavillon, mit einer Skulptur und bauzeittypisch schlichten Sitzbänken versehen, dient derzeit als Lagerfläche für die Arbeiten im und am U-Bahnhof.
Kurz vor ihrem 50-jährigen Jubiläum bot sich die Bahnsteighalle der Station Blaschkoallee nämlich wieder nackt dar – genauer gesagt: im Rohbau. „Sanierung“ bedeutet bei der BVG ja in der Regel, die gesamte Verkleidung abzuschlagen, von der abgehängten (hier natürlich geraden) Rabitzdecke mit eingebauten Leuchten bis zu den Keramikstreifen („Riemchen“) an den Hintergleisflächen. Wie es hier – nur in einem helleren, weniger gelbstichigen Grau als in Britz-Süd – aussah, vermag man anhand der beiden Schwesterstationen noch zu erahnen: Auch bei der Gestaltung der Bahnsteighallen war die Vorliebe der Fifities für kühne Schwünge und ungezwungene, „organische“ Formen vorbei.
Man darf gespannt sein, ob in Blaschkoallee die Verkleidung der als simple Pfeiler mit rechteckigem Querschnitt ausgeführten Mittelstützen erhalten bleibt (rote Klinker im gleichen Format wie die Keramikriemchen). Und ob auch hier der helle, jedoch gesprenkelte Bahnsteigbelag einem noch helleren, ungemusterten weicht wie in Britz-Süd, wo Flecken jetzt besonders gut zur Geltung kommen und man sich das Warten auf den Zug mit dem Zählen der festgetretenen Kaugummis vertreiben kann.
Immerhin: In Britz-Süd findet sich auch nach der Sanierung eine originale oder originalgetreue Beschilderung hinter den Gleisen. Im Treppenhaus hat man die Wanddurchbrüche entlang des Gangs zum neu eingebauten Aufzug stilgerecht eingefügt. Und die halbhohe Trennwand zwischen Stein- und Rolltreppe wird sogar noch immer von einer Holzverkleidung bekrönt. So kann das also auch aussehen bei der BVG.
Dabei haben es Bauten wie die Britzer U-Bahnhöfe generell schwer, auch in der breiten Öffentlichkeit: Als Architektur wird oft nur betrachtet, was besonders aufdringlich, gern auch unsinnig gestaltet ist. Leises, Feines wird schnell mit dem schlimmsten Urteil belegt, das man seit den 80ern mit ihren postmodernen Albernheiten kennt: nüchtern. Folglich werden die Britzer Stationen in vielen Büchern zur Berliner U-Bahn weitgehend ignoriert – trotz ihrer für hiesige Verhältnisse ungewöhnlichen Ausstattung mit Empfangsgebäuden.
Da spätere Generationen für die schlichte Eleganz, die für die Ästhetik der frühen Sixties so typisch war, keinen Sinn hatten, ist viel davon im Laufe der Zeit verloren gegangen – in Britz neben diversen Details nahezu die gesamte Bahnsteigmöblierung. Außer durch einige Einbauten (in Britz-Süd sogar in die Pfeilerhalle!) haben die Empfangsgebäude jedoch am meisten gelitten durch den Verlust ihrer großen Fenster. Im Inneren fällt er heute noch stärker ins Gewicht, da die einstigen Schalterhallen mittlerweile ganz leer sind. An der Parchimer Allee fragt man sich, was die unsinnig wirkenden Schiebetore sollen – ursprünglich stellten sie bewegliche Fensterwände dar, wie man sie beispielsweise auch in der Akademie der Künste findet. Die gesamte Außenansicht der Empfangsgebäude litt unter dem Verschwinden des Nebeneinanders großer, rechteckiger Mauer- und Fensterflächen. Letztere wurden nicht nur unterteilt, sondern teilweise sogar verblecht: Was vor siebzig Jahren Glasmangel bewirkte, besorgt heute Sparwillen und die Kapitulation vor Vandalismus wie allgemein vor der Verwahrlosung des öffentlichen Raums.
Ob und wie weit die Bahnsteighallen wirklich von Werner Düttmann gestaltet wurden, wäre übrigens durchaus noch zu überprüfen: Bei den drei Britzer Stationen sehen bzw. sahen sie praktisch genauso aus wie beim 1961/1962 gebauten U-Bahnhof Alt- Tempelhof, der noch als Arbeit Bruno Grimmeks firmiert, oder dem ebenfalls 1966 eröffneten unterirdischen Teil der Station Möckernbrücke, die als Werk Rümmlers gilt. Womöglich bedienten sich alle drei Architekten eines Standardentwurfs ihrer Senatsbauverwaltung.
Nichtsdestoweniger kann man am Südende der heutigen U 7 besonders gut verdeutlichen, was Denkmalschutz eigentlich soll und weshalb Umgestaltungen nach der jeweils gerade aktuellen Architekturmode von übel sind: Allein durch die ursprüngliche Auskleidung versteht auch der Laie, in welchen Abschnitten diese Strecke errichtet wurde. Motto: Was sich sehr ähnlich sieht, wurde auch zur gleichen Zeit gebaut – also Rathaus Neukölln und Karl-Marx-Straße, Neukölln und Grenzallee, Blaschkoallee bis Britz-Süd, Johannisthaler Chaussee bis Zwickauer Damm, Rudow.
Doch unter Schutz stehen die Britzer Stationen nicht. Denn auch mit nunmehr 50 Jahren sind sie dafür zu jung. Zumindest waren sie es nach Meinung von BVG und Landesdenkmalamt, als beide 2001 ihre Vereinbarung über den Umgang mit historischen Stationen schlossen. Die damals erstellte Liste mag man bis heute nicht durchgreifend korrigieren oder ergänzen. Auch nicht um U-Bahnhöfe von Werner Düttmann.
Jan Gympel
aus SIGNAL 5/2013 (November 2013), Seite 27-29