Planung und Bauten
Fast schon einen angestammten Programmplatz haben auf den Schienenverkehrs-Wochen die Vorträge von Dipl.-Ing. Nicolaus Kapp. Auf reges Publikumsinteresse stieß denn auch sein Referat am 6. Oktober 1994. Diesmal informierte der in der Berliner Senatsbauverwaltung für den Bahnbau zuständige Abteilungsleiter über die Arbeiten zur Wiederinbetriebnahme der S-Bahn nach Tegel und Lichterfelde Ost, und er ging auch auf Fragen zur Weiterführung dieser Strecken ins Umland ein.
15. Dez 1994
Eingangs erläuterte Herr Kapp, daß die Bahn seit Jahresbeginn bekanntermaßen auch im Westteil Berlins wieder für die S-Bahn verantwortlich ist, daß aber einige der von den Berliner Senatsverwaltungen vorbereiteten Projekte im Auftrag der Bahn AG von der Senatsbauverwaltung realisiert werden.
Die Baumaßnahmen zur Wiederinbetriebnahme der S-Bahn auf der Kremmener Bahn konzentrieren sich vor allem auf die Instandsetzung der Brücken und Bahnhöfe sowie die Modernisierung und Erweiterung des Gleichrichterwerkes Tegel (für die Stromversorgung). Auf der bereits vor Jahren für Probe- und Überführungsfahrten der BVG hergerichteten Gleistrasse sind verrottete Schwellen bzw. verschlissene Schienenstücke auszuwechseln. Der eingleisig abzuwickelnde S-Bahn-Betrieb ermöglicht einen 20-Minuten-Takt, in Reinickendorf sollen die Züge jedoch kreuzen können. Östlich des Güterbahnhofs Reinickendorf - zwischen Roedemallee und Kopenhagener Straße (früherer Abzweig am Stellwerk "Tga") - wird ein zweites Gleis verlegt, das nur dem Güterverkehr dient.
Die Stationen Reinickendorf, Karl-Bornhoeffer-Nervenklinik (ehemals Wittenau Kremmener Bahn), Eichborndamm (ehemals Eichbornstraße) und Tegel behalten ihre bisherige Lage; Bahnsteigbelag und -dächer werden ausgebessert. In Tegel sollen die Züge vorerst nur an eine Bahnsteigkante heranfahren; die Kehr- und Aufstellanlage befindet sich auch künftig südlich des Bahnsteigs (nördlich davon kann sie wegen des Bahnübergangs Gorkistraße nicht errichtet werden).
Höchste Priorität genießt inzwischen die Verlängerung der S-Bahn-Linie bis Hennigsdorf. Sie wird aus Bundesmitteln finanziert. Insofern bestätigte Herr Kapp bereits bekanntgewordene Pläne (siehe auch SIGNAL 7/94 ). Er verwies auf die im September erfolgte grundsätzliche Einigung zwischen Vertretern der DB AG (einschließlich ihrem Vorstandsvorsitzen Heinz Dürr) sowie der Länder Berlin und Brandenburg. Dürr selbst habe entschieden "Ja" zur Gleichstrom-S-Bahn gesagt und versichert, im Bundesverkehrsministerium noch bestehende Skepsis im Gespräch mit Minister Wissmann auszuräumen.
Nicolaus Kapp erinnerte zunächst an die einst vorgesehene Reaktivierung bis Lichterfelde Süd innerhalb nur einer Ausbaustufe. Dafür habe sich aber die "Finanzierungshürde als zu hoch" erwiesen. Schließlich stand die ursprüngliche Planung im Konflikt zum Wiederaufbau der "Anhalter Bahn" als wichtigster südlicher Zulaufstrecke für den Fernverkehr. Beispielsweise wäre man durch die beabsichtigte Verschiebung des Bahnhofs Lichterfelde Ost in Richtung Kranoldplatz/Königsberger Straße der Fernbahntrasse zu nahe gerückt, da hier der Bahnkörper besonders schmal sei. Nachdem - so Kapp - "das Bundesverkehrministerium die Notbremse zog", blieb nur die Unterteilung in zwei Planungsabschnitte: eben den bis Lichterfelde Ost und einen weiteren bis Lichterfelde Süd.
Anders als bei der S-Bahn nach Tegel wurde für die nach Lichterfelde Ost ein umfangreicher Bauauftrag noch "unter alter Regie" (also zu Zeiten der BVG-S-Bahn) erteilt. Er umfaßte
Zum Stand der Baumaßnahmen resümierte Herr Kapp, abgesehen von der technischen Infrastruktur sei "das meiste geschafft". Auf Nachfragen bestätigte er, daß den Teltowkanal inzwischen wieder die alte, aufgearbeitete Brücke überspannt. Im Hinblick auf die später geplante Kanalverbreiterung kam hier ein Neubau nicht in Betracht. Als "auf Dauer angelegtes Provisorium" ist der Bahnhof Lankwitz zu betrachten. Das Gleis an dessen östlicher Bahnsteigkante "liegt in Endlage", mit Rücksicht auf die unmittelbar angrenzende Fernbahntrasse wären bauliche Änderungen nur westlich davon möglich. Sicher wird es hier aber nie die Ende der 80er Jahre geplanten Gemeinschaftsbahnsteige zwischen der S-Bahn und der immer noch in der Zielplanung enthaltenen U-Bahn-Linie 9 geben. So die U-Bahn-Verlängerung denn jemals kommt, soll die U9 die Eisenbahntrasse unterqueren und der S-Bahnhof Lankwitz über die Leonorenstraße geschoben werden (eine Maßnahme, die allerdings jetzt schon die Umsteigesituation zum Bus verbessert hätte).
Wie nicht anders zu erwarten, wollten viele Zuhörer Konkretes zur
Wiederinbetriebnahme über Lichterfelde Ost hinaus und in diesem Zusammenhang
etwa vorgesehene Bahnhofsneubauten erfahren. Zwar verwies Herr Kapp auf die
Planungszuständigkeit der Deutschen Bahn AG, wich den Fragen aber keineswegs
aus. Zusammengefaßt einige von ihm gegebene Antworten bzw. persönliche
Einschätzungen:
Verhalten optimistische Äußerungen vernahm das Publikum zu den Eröffnungsterminen im kommenden Frühjahr; voraussichtlich werde dann sowohl nach Lichterfelde Ost als auch nach Tegel gefahren. Die Bahn erwäge, die Züge unter der Liniennummer S25 zwischen Tegel und Lichterfelde Ost verkehren zu lassen (Anm. d. Red.: entgegen bereits im DB-Kursbuch veröffentlichter Fahrplantabellen).
Wenn's trotz der ja mehrmals verschobenen Termine zeitlich erneut eng wird, so liegt das laut Nicolaus Kapp nicht an der Langsamkeit seiner Verwaltung oder der beauftragten Firmen. Wichtige Aufträge - insbesondere bei der S-Bahn nach Tegel - hätten lange nicht vergeben werden können, weil die Abrechnungsmodalitäten unklar waren. Selbst bereits angelaufene Baumaßnahmen müßten nach Übernahme der S-Bahn durch die DB AG "kompliziert von einem Finanzierungssystem in das andere transformiert" werden. Dies sei vor allem eine Folge der Bahnprivatisierung mit völlig anderer Rechnungsführung als in einer Behörde.
Im übrigen erfolgten alle Bauarbeiten nach bahnseitig formulierten Anforderungen. So trassiere man etwa (oft als unnötig breit kritisierte) Kabelkanäle keineswegs ohne Absegnung durch die DB, und auch in der Vergangenheit hätten sich Senat und Reichsbahn abgestimmt. Kritik an früher angeblich begangenen "Sünden" wies der oberste Senats-Bahnbauer ebenfalls zurück; beispielsweise sei das S-Bahn-Gleis zwischen Frohnau und Hohen Neuendorf nicht aus Versehen, sondern bewußt ohne Rücksicht auf die Fernbahn verlegt worden - mit Zustimmung von Bundesverkehrsministerium und Reichsbahndirektion Berlin! Eine genau der ursprünglichen S-Bahntrasse folgende Gleislage war wegen eines dort verlaufenden Wanderwegs nicht kurzfristig realisierbar, doch seinerzeit hätten alle die schnellstmögliche Lösung gewünscht, und das war die auf der Fernbahntrasse.
Auch angesichts der jüngst aufgetretenen Finanzierungsprobleme und teils späten Auftragsvergaben bei den Projekten Tegel und Lichterfelde Ost hält es Herr Kapp für falsch, nach dem "Schwarzen Peter" zu suchen. Alle Beteiligten - einschließlich Bundesverkehrsministerium - bemühten sich um rasche Fertigstellung.
IGEB
aus SIGNAL 9-10/1994 (Dezember 1994), Seite 9-11