Regionalverkehr
Am 1. Januar 1996 beginnt der für das Land Brandenburg entscheidende zweite Schritt der Bahnreform - die Regionalisierung. Das bedeutet, daß das Land etwa 590 Millionen DM im Jahr vom Bund erhält (der Betrag wird 1997 überprüft), um den Schienenpersonennahverkehr zu organisieren sowie Leistungen bei Eisenbahnen zu bestellen und zu bezahlen. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, daß dabei nicht nur die heutige Deutsche Bahn AG, sondern auch private und kommunale Eisenbahnen "zum Zuge" kommen.
15. Dez 1994
Bis dahin müssen jedoch konkrete Konzepte zu den Aufgaben des Verkehrsmittels Bahn feststehen, vor allem in den Berlin-fernen Regionen. Dabei wäre eine Orientierung am heutigen Fahrgastaufkommen grundfalsch. Sieht man von dem Verkehr auf den Hauptstrecken in Richtung Berlin ab, befindet sich die Eisenbahn in Brandenburg in einem vollkommen unzeitgemäßen Zustand: Die meist Jahrzehnte alten Wagen und Triebfahrzeuge kriechen mit durchschnittlich 35 km/h aufgrund der veralteten Sicherungstechnik und des maroden Oberbaus übers Land. Oft fahren die Züge viel zu selten, zu ungünstigen Zeiten oder ohne Anschlüsse in Knotenbahnhöfen. Die Abstimmung zwischen Bahn- und Busverkehr findet auf dem Land praktisch nicht statt. Häufig verkehren beide Verkehrsmittel sogar parallel - ein doppelter Subventionsfall. Es ist somit wenig verwunderlich, daß das heutige Fahrgastaufkommen aufgrund der Unzulänglichkeiten auf vielen Strecken zu gering ist, um die Aufrechterhaltung des Bahnbetriebes in Zukunft wirtschaftlich zu rechtfertigen. Vernachlässigt wird bei solcher Betrachtung aber das Nachfragepotential, das bei attraktiverem Bahnangebot für die Schiene gewonnen werden könnte.
Daß Eisenbahnbetrieb auch abseits von Ballungsräumen effektiv und zugleich fahrgastfreundlich durchgeführt werden kann, zeigen immer mehr Regionen in anderen Bundesländern. Durch einen rationellen Betrieb, gezielte Investitionen in Fahrwege und Fahrzeuge sowie auf die Region zugeschnittene Angebote im Personen- und Güterverkehr wird die Bahn zu einer überlegenen Alternative gegenüber Omnibus, Lkw und Pkw. In solchen Fällen sollte auch das Land Brandenburg Mittel aus seinem Topf bereitstellen. Bedenkt man, daß die vom Bund zu zahlenden Gelder das Defizit des 1993 mit katastrophaler Produktivität durchgeführten Bahnverkehrs der damaligen Deutschen Reichsbahn ausmachen, sind die Chancen zu erkennen, wie mit denselben Mitteln ein wesentlich attraktiverer und wirtschaftlicherer Verkehr durchgeführt werden kann. Voraussetzung wären Investitionen und behutsame Rationalisierungsmaßnahmen, für die Gelder nach § 22 Eisenbahnneuordnungsgesetz zur Verfügung stehen.
Ein Beispiel dafür könnte im Land Brandenburg die sogenannte Heidekrautbahn zwischen Berlin und der Schorfheide werden. Hier bemüht sich die Niederbarnimer Eisenbahn AG, den Verkehr auf der Schiene wieder in eigene Regie zu übernehmen, nachdem PRO BAHN in den letzten Jahren durch Sonderfahrten mehrfach gezeigt hat, daß das Potential für den Weiterbetrieb vorhanden ist.
Auf Kritik seitens des Bahnkundenverbandes PRO BAHN stoßen die ersten Ergebnisse der Projektgruppe Regionalbahn der brandenburgischen Landesentwicklungsgesellschaft (LEG). Im geplanten Liniennetz wurden dabei lediglich überregionale Vorstellungen des Landes wie die schnelle Anbindung der Entwicklungszentren, ergänzt durch einige Tangentiallinien, umgesetzt. Bei 35% der heutigen Strecken wird die Stillegung erwogen. Weiterhin wird für 286 der vorhandenen 522 Bahnhöfe und Haltepunkte die Schließung empfohlen. Daß die Weiterexistenz einiger extrem ungünstig gelegener Zugangsstellen nicht mehr vertretbar ist, gilt auch bei PRO BAHN als unstrittig. In jedem anderen Fall ist jedoch eine genaue Einzelfallprüfung und die Untersuchung von das Aufkommen steigernden Maßnahmen in Abstimmung mit den Kommunen vor Ort notwendig.
Ebenso fraglich ist bei den Vorschlägen der LEG der Umgang mit den knappen Finanzen: Einerseits wird den gefährdeten Nebenstrecken nur eine Zukunft vorausgesagt, wenn - im Vergleich zu Hauptstrecken relativ wenig - investiert werden muß, andererseits schlägt der geforderte "Luxus-Ausbau" der Strecke Berlin - Neuruppin (für 160 km/h und elektrifiziert) mit knapp 530 Millionen DM zu Buche, obwohl bei Verzicht auf die hohe Geschwindigkeit und die Elektrifizierung mit alternativen Fahrzeugkonzepten eine wesentlich preiswertere Lösung möglich ist, die nur eine um sechs (!) Minuten längere Fahrzeit mit sich bringt.
Soll die Eisenbahn im ganzen Land Brandenburg als echtes umweltfreundliches Verkehrsmittel erhalten bleiben, hält PRO BAHN eine baldige Abkehr vom "Rosinen-Streckennetz" für notwendig. Vielmehr ist ein landesweiter, sogenannter Integraler Taktverkehr zu schaffen, bei dem die Züge vertaktet fahren und sämtliche sinnvollen Anschlüsse untereinander und zu den Bussen hergestellt werden, die im ländlichen Raum die Verteilerfunktion übernehmen. Damit ist es sogar möglich, durch kürzere Linienlängen auf den Hauptstrecken und durch den Wegfall von Standzeiten die Zahl der relativ teuren Expreßfahrzeuge zu verringern und somit mehr moderne und komfortable Leichttriebwagen für die Zweigstrecken zu beschaffen.
PRO BAHN
Landesgruppe Brandenburg
aus SIGNAL 9-10/1994 (Dezember 1994), Seite 22-23