Nahverkehr
Schienenersatzverkehr, kurz: SEV, Pendelverkehr oder zeitweilige Umleitungen gehören aufgrund einer Vielzahl von Baustellen für die leidgeplagten Berliner Fahrgäste zum Alltag. Die Häufigkeit und die damit verbundenen, oft gravierenden Beeinträchtigungen reduzieren die Attraktivität des ÖPNV in Berlin erheblich. In zahlreichen Gesprächen mit den Verkehrsbetrieben hat der Berliner Fahrgastverband IGEB auf die unzureichenden und z.T. mißverständlichen Fahrgastinformationen im Fall von zeitweiligen Linienveränderungen aufmerksam gemacht. Dies hat inzwischen partiell zu einer besseren Information durch die Medien bzw. durch bnderinformationen wie z.B. den “Bauinfos für Bahnfahrer” der DB AG geführt. Abertrotz gelegentlicher Highlights wie der Informationskampagne zur Stadtbahn-Sperrung sind die Fahrgastinformationen auf den Bahnhöfen, an den Haltestellen und in den Fahrzeugen im Regelfall noch immer unzulänglich. Anläßlich einer weiteren Runde im “Fahrgast-Verwirr-Spiel” (vgl. SIGNAL 5/ 95) hatte der Berliner Fahrgastverband im Sommer 1995 der BVG Vorschläge zur “Fahrgastinformation bei zeitweiligen Linienänderungen” übergeben, die jedoch, wie die Fahrgastinformationen bei Linienveränderungen im Straßenbahnverkehr in den letzten Monaten gezeigt haben, offenbar schon wieder vergessen sind.
1. Jan 1996
Seit Jahren wird in Berlin darüber gestritten, wie die Fahrgäste bei zeitweiligen Umleitungen, Linienverkürzungen, SEV, Pendel verkehren etc. am besten zu informieren sind, denn nicht-fahrplanmäßige Veränderungen mit ihren oft zusätzlichen Umsteigezwängen und z.T. spürbaren Reisezeitverlängerungen haben einen erheblichen abschreckungseffekt, insbesondere auf Gelegenheitsfahrgäste. Das Ziel ist klar: Die Information soll vollständig und verständlich sein, alle erreichen und dabei zugleich um Verständnis werben. Doch wie ist das erreichbar? Genau das ist der Streitpunkt. Unstrittig ist nur,
Wegen der bei der Straßenbahn oft besonders gravierenden Auswirkungen für die Fahrgäste, z.B. durch veränderte Endstellen oder grundlegend vom normalen Linienverlauf abweichende Wegführungen, hält es der Berliner Fahrgastverband für geboten, den Qualitätsstandard für die Fahrgastinformation über das Verkehrsmittel Straßenbahn zu definieren.
Um unnötige Irritationen bei Fahrgästen zu vermeiden. sollte - sofern gleichzeitig bestimmte Zusatzinformationen gegeben werden - bei allen Verkehrsmitteln das planmäßige Fahrtziel am Fahrzeug und bei S- und U-Bahnhöfen außerdem auf den Zugzielanzeigern der Bahnsteige angezeigt werden. (Hierbei setzen wir voraus, daß das planmäßige Ziel mit Umsteigen bzw. auf Umwegen in zumutbarer Zeit erreichbar ist.) Auf das bisher insbesondere bei der S-Bahn praktizierte Verfahren, das tatsächlich angefahrene Fahrtziel anzuzeigen, sollte verzichtet werden. Erinnert sei beispielsweise an das Schicksal zahlloser irritierter Berlin-Touristen, die im Sommer auf Bahnhöfen der Stadtbahn vergeblich auf Züge zum Flughafen Schönefeld warteten, weil die Züge der S9 als Zielschild "Grünau" führten und Lautsprecherdurchsagen mal wieder ein reines Glücksspiel waren. Würde grundsätzlich das planmäßig angefahrene Fahrtziel angezeigt werden, dann würde kein Fahrgast seinen Zug aus Unkenntnis passieren lassen. Natürlich müßten den Fahrgästen gleichzeitig durch hinreichende Fahrzeugbeschildcrung (z.B. Zielschild "S9 Flughafen Schönefeld", Zusatzschild: "Umsteigen in Grünau"), zusätzliche Lautsprecherdurchsagen und schriftliche Informationsträger im Bahnsteig- bzw. Maltestellenbereich die Abweichungen vom planmäßigen Betrieb verdeutlicht werden. Dazu gehören im Bereich der S- und U-Bahn Aushänge auf allen Bahnhöfen, bei der Straßenbahn an allen Haltestellen der betroffenen Linie(n). Selbstverständlich muß in einem (künftigen) Verkehrsverbund ein Verkehrsmittel - bei räumlichem Bezug - auch über die Veränderungen der anderen Verkehrsmittel informieren.
Bei der Straßenbahn ist eine von außen erkennbare Seitenbeschilderung (mit Darstellung der abweichenden Linienführung in rot) unverzichtbar. Dies gilt auch für die Innenseite der Seitenbeschilderung, die eine Haltestellenauswahl mit Darstellung der abweichenden Linienführung in rot zeigen soll - wie bisher üblich. Für diese notwendigen Informationen sind keine teuren Hightech-Installationen erforderlich. Das konventionelle Steckschild ist wegen seiner Mehrfarbigkeit ein hervorragend geeignetes Medium. Erforderlich ist dafür bei modernisierten Tatra-Zügen aber eine Anbringungsmöglichkeit für Seitenschilder (auch für Normalbeschilderung) auf der rechten Fahrzeugseite (bisher nur links) und für die Umleitungsschilder auch bei den Neubauzügen GT6. An der letzten regulär angefahrenen Haltestelle bzw. der Umsteigehaltestelle zum SEV sollte zusätzlich per Lautsprecherdurchsage auf die Linienabweichung und auf die Lage der Abfahrthaltestelle des SEV hingewiesen werden. Eine alleinige Information der Fahrgäste mittels Lautsprecherdurchsagen reicht erfahrungsgemäß nicht (Gründe: technische oder akustische Mängel, Personal, Verständlichkeit für fremdsprachige Fahrgäste etc.).
Bei S- und U-Bahn sollte durch weithin sichtbare und markante Aushänge auf allen Bahnhöfen des jeweiligen Verkehrsmittels über die Betriebseinschränkungen unterrichtet werden.
Bei Straßenbahn und Bus sollten farbige Sonderaushänge in den Fahrplankästen jeweils an allen Haltestellen im Linienverlauf erfolgen. An allen nicht bedienten Haltestellen sind fest installierte Schilder mit den entsprechenden Fahrgastinformationen, in der Regel ergänzt um eine graphische Darstellung des Standortes der SEV-Haltestelle, anzubringen. Die Nummern bzw. Linienreiter der nicht verkehrenden Linien sind an der Haltestellensäule dauerhaft auszustreichen, aber wegen des Informationsgehaltes nicht zu demontieren. Ggf. sollten nicht bediente Haltestelleninseln durch Baustellengitter abgesperrt werden.
Die SEV-Haltestellen sind durch entsprechende Linienreiter und den Zusatz "Straßenbahn- (bzw. S-/U-Bahn-)Ersatzverkehr" zu kennzeichnen. Selbstverständlich ist auch ein Aushang des SEV-Fahrplanes erforderlich. Um Fahrgästen an Umsteigepunkten zum Schnellbahnnetz Umwege zu ersparen, sind ggf. bereits im Bereich von S- oder U-Bahnhofs-Zugängen Hinweistafeln auf die veränderten Standorte der SEV-Haltestellen anzubringen.
Eine regelmäßige Überprüfung der ausgehängten Fahrgastinformationen ist unverzichtbar. Darüber hinaus sollte in den ersten Tagen nach Einführung des SEV an den Hauptumsteigepunkten geschultes Personal den Fahrgästen für Auskünfte zur Verfügung stehen.
Eingesetzt werden sollten nur SEV-taugliche Busse. Wegen der langen Haltestellenaufenthaltszeiten sind Doppeldeckerbusse dafür in der Regel ungeeignet. Im Tagesverkehr ist möglichst der Einsatz von Gelenkbussen vorzusehen, notfalls können zwei Zweiachser eingesetzt werden. Busse des Typs "DenOudsten" sind wegen ihrer Innenraumaufteilung für den SEV ungeeignet und sollten grundsätzlich nicht eingesetzt werden.
Im Zielschild sollten die SEV-Fahrzeuge primär nicht das Fahrtziel, sondern auf jeden Fall das Wort Straßenbahn- (bzw. S- oder U-Bahn-)Ersatzverkehr führen. Auf einem Zusatzschild könnte dann auch das Fahrtziel angezeigt werden. Da nur bei den Steckschildern im Ikarus-Gelenkbus die Auflistung mehrerer Liniennummem erfolgen kann, ist bei den anderen Bustypen in der Frontscheibe ein Zusatzschild mit der Auflistung aller ersetzten Linien zuführen.
Bei der Planung des Schienenersatzverkehrs ist selbstverständlich auf eine genügende Leistungsfähigkeit (auch hinsichtlich des Sitzplatzangebotes), auf optimale Haltestellenlagen sowie möglichst kurze Linienführungen zu achten. Im Vorfeld sind alle sinnvollen Beschleunigungsmaßnahmen wie Abmarkierungen, Sondersignalgeber usw. zu realisieren. Im täglichen Betrieb muß das Gewähren von Umsteigeanschlüssen (im Zuge der betroffenen Linie) Priorität haben, gegebenenfalls auch zu Lasten einer exakten Fahrplaneinhaltung.
Durch geeignete Fahrgastinformationen sind die Fahrgäste rechtzeitig über Linieneinschränkungen, Umleitungen etc. zu informieren. Neben den bereits praktizierten Informationen über die Presse und das BVG-Info-Telefon sollte dies unbedingt auch durch die weit verbreitete Kundenzeitschrift VBB-aktuell erfolgen. In den betroffenen Linien sollten rechtzeitig vor Beginn der Verkehrseinschränkungen spezielle Informationsblätter ausgelegt werden.
Im übrigen ist gründlicher als bisher zu prüfen, ob nicht das Bauen "unter dem rollenden Rad" möglich ist, so daß viele Probleme erst gar nicht entstehen. Betriebseinschränkungen wie z.B. die im letzten Sommer praktizierte unnötige Einstellung der Straßenbahnlinie 6 auf dem Abschnitt zwischen Petersburger und Chausseestraße sind selbst bei optimaler Fahrgastinformation nicht zu rechtfertigen.
IGEB
aus SIGNAL 1/1996 (Februar 1996), Seite 17-19