Schienenverkehrswochen 2011

Licht am Ende des (S-Bahn-)Tunnels

Beim Fahrgastsprechtag S-Bahn 2011 überwog die Zuversicht


Jens Fleischmann

19. Okt 2011

Am 19. September 2011 fand im Rahmen der Schienenverkehrs-Wochen der Fahrgastsprechtag S-Bahn statt, zu dem der Berliner Fahrgastverband IGEB eingeladen hatte. Wie in den beiden Jahren zuvor stellte sich Peter Buchner, Sprecher der Geschäftsführung der S-Bahn Berlin GmbH, den Fragen von über 100 Fahrgästen.

Kommende Fahrplanänderungen und Wiederinbetriebnahme S 45 und S 85

Zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2011 wird die S 3 voraussichtlich bis Ende 2015 zum Ostkreuz zurückgezogen, um 2012 mit dem Umbau der Strecke zwischen Ostbahnhof und Ostkreuz beginnen zu können. Die Stadtbahn ist dann nur noch mit der Strecke nach Lichtenberg verbunden. Die S 75 wird von Spandau nach Westkreuz zurückgezogen, stattdessen wird die verlängerte S 5 im 10-Minuten-Takt nach Spandau verkehren.

Bereits zum 24. Oktober 2011 soll die Linie S 45 wieder in Betrieb gehen und mit der S 9 den 10-Minuten-Takt zum (bisherigen) Flughafen Schönefeld herstellen. Die dann noch fehlende Linie S 85 soll ebenfalls noch 2011 wieder in Betrieb genommen werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings die ständige Verfügbarkeit von 500 Viertelzügen, welche im Dezember erreicht werden soll. Aktuell sind 466 Viertelzüge im Einsatz.

Wintervorsorge

Über 100 Fahrgäste kamen zum Berliner Fahrgastsprechtag S-Bahn mit Geschäftsführer Peter Buchner. Foto: Florian Müller

Der Winter 2010/11 führte zum wiederholten Mal zu einem erheblichen Einbruch in der Fahrzeugverfügbarkeit und schließlich zu einem wochenlang ausgedünnten Fahrplan bei verminderter Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Grund hierfür waren vor allem gestörte Antriebseinheiten und vereiste Besandungsanlagen. Damit dies im kommenden Winter nicht wieder passiert, hat die S-Bahn Berlin umfangreiche Vorsorgemaßnahmen getroffen. So schreitet der Austausch der Fahrmotoren bei den Fahrzeugen der Baureihe 481 weiter voran. Pro Woche werden 46 Fahrmotoren getauscht, so dass Ende November 2011 noch 490 Fahrmotoren zu tauschen sind und schließlich im Februar 2012 die Maßnahme abgeschlossen werden kann. Gleichzeitig werden die Statoren komplett neu gewickelt.

Für die Besandungsanlagen sind inzwischen automatisierte Kontrollen möglich, inklusive Füllstandkontrolle im Führerstand, die derzeit erprobt werden. Bevor der Einbau aber serienmäßig starten kann – geplant sind 120 Viertelzüge pro Monat im Oktober und November –, steht noch die Abnahme aus. Primär sollen die zuerst ausgerüsteten Fahrzeuge auf der S 7 und S 25 zum Einsatz kommen, um auf den eingleisigen Abschnitten nach Potsdam und Hennigsdorf eine Fahrplanausdünnung zu vermeiden.

Um die Fahrzeuge besser vor Flugschnee zu schützen, ist weiterhin der Einsatz von Filtern vorgesehen. Dabei wurden inzwischen mehrere Typen getestet, die allerdings nicht vollständig überzeugen konnten. Ein großes Problem der Filter ist die schnelle Verschmutzung. Eine Alternative zu den Filtern gibt es nicht. Überhaupt wurde in diesem Jahr bei Flugschneemessungen in der Klimakammer in Wien festgestellt, dass es konstruktionsbedingt keinen guten Schutz gegen Flugschnee geben kann, ohne die Elektronik im Sommer zu überhitzen.

Auch die Probleme mit den Türvereisungen konnten noch nicht endgültig befriedigend gelöst werden. Der Einsatz des wachsähnlichen Mittels liefert zwar halbwegs gute Resultate, benötigt aber den Einbau neuer gelöcherter Trittbleche, damit das Mittel ablaufen kann und nicht die Türen blockiert. Des weiteren müssen die Schutzborde umgebaut werden, damit das durch die Trittbleche eintreten könnende Wasser auch ablaufen kann. Diese Umbauten werden sich bis in das nächste Jahr hineinziehen.

Die meisten Wartungsarbeiten sind nur bei positiven Temperaturen am Fahrzeug möglich. Um dies auch im Winter zu ermöglichen, müssen die Fahrzeuge über mehrere Stunden abgetaut werden. Die Abtaumöglichkeiten waren bisher allerdings sehr begrenzt und führten dadurch zu einer verringerten Anzahl an Wartungen bei eigentlich ausreichenden Werkstattkapazitäten. Um diese Anzahl im kommenden Winter zu erhöhen, erhalten die Werke Schöneweide, Grünau und Wannsee als letzte Standorte ebenfalls Abtaumöglichkeiten sowohl innerals auch außerhalb der Werkshallen. Dazu werden provisorische Wärmezelte aufgestellt.

Fahrzeuge

Die umfangreichen Arbeiten an den Fahrzeugen aller drei Baureihen gehen gut voran. Inzwischen wurden 3192 Bremszylinder getauscht bzw. aufgearbeitet. Bis Ende dieses Jahres wird auch der Radsatztausch bei der Baureihe 481 abgeschlossen sein. Allerdings können aufgrund der Bauart und des Volumens keine konventionellen Radsätze eingebaut werden, so dass die Prüfintervalle nicht vergrößert werden können. Bei der Baureihe 480 werden in einem Sondertauschprogramm bis Ende 2011 alle Radsatzwellen getauscht, da diese Risse aufweisen. Des Weiteren werden bei Notwendigkeit die Frontscheiben neu verklebt, da auch hier Mängel festgestellt wurden. Die äußerliche Lackversiegelung aller Baureihen ist zu 50 Prozent abgeschlossen. Weitere 10 Prozent folgen noch in diesem Jahr. Durch die Versiegelung können Graffitischäden besser beseitigt werden.

Die Reaktivierung der 20 abgestellten Viertelzüge der Baureihe 485 verläuft hingegen sehr schleppend. Erst 11 Viertelzüge sind wieder im Einsatz, obwohl alle Züge aus den Werken Dessau und Wittenberge inzwischen wieder zurückgekehrt sind. Allerdings sind noch langwierige Nacharbeiten in Berlin erforderlich und Startschwierigkeiten wie häufige Türstörungen zu beseitigen. Darüber hinaus waren die Radkappen teilweise gar nicht zugelassen, und auch hier fanden sich an den Radscheiben und -wellen Risse.

Um das Reaktivierungsprogramm zu beschleunigen, griff Peter Buchner auf ein ungewöhnliches Mittel zurück. Er vereinte Mitarbeiter, die früher mit den Zügen zu tun hatten und sich damit auskennen, aus anderen Abteilungen der DB zu einem Team und lässt sie wieder in der Hauptwerkstatt Schöneweide arbeiten. Darunter befindet sich auch der 64-jährige Hans-Günther Dirks, der an der Konstruktion der Baureihe 485 beteiligt war und extra aus dem Ruhestand zurückgeholt wurde. Bis Ende 2011 sollen 50 Viertelzüge der Baureihe 485 im Einsatz sein. Geplant waren eigentlich 80. Der Rest kommt 2012.

Nach Abschluss aller Maßnahmen sind die drei Baureihen bis 2017 einsetzbar, die Baureihe 481 auch darüber hinaus. Ein dann durchaus sinnvolles größeres Redesign dieser Baureihe ist laut Peter Buchner allerdings nicht möglich, da dies eine neue Zulassung notwendig machen würde, die die Fahrzeuge wahrscheinlich nicht bekommen würden.

Auch die Baureihen 480 und 485 könnten über 2017 noch in Betrieb bleiben, allerdings wäre dies wirtschaftlich nicht zu vertreten, weshalb im Mai 2011 sich die S-Bahn Berlin verpflichtet hat, neue Fahrzeuge auszuschreiben. Ursprünglich wollte sie dies zusammen mit den Ländern Berlin und Brandenburg tun, hat es aber wegen des zu hohen Klagerisikos aufgrund der juristischen Lage unterlassen.

Das betrieblich kommerzielle Lastenheft für die Neufahrzeuge ist fertig. Es folgt die Abstimmungen mit Politik, Fahrgast- und Behindertenverbänden. Spätestens Ende 2012 muss eine verbindliche Bestellung erfolgt sein, damit zur Ausschreibung des S-Bahn-Netzes ab Dezember 2017 die Fahrzeuge ausgeliefert worden sind. Die S-Bahn Berlin hat sich auch verpflichtet, die Neufahrzeuge an Dritte zu angemessenen Konditionen unter Beachtung rechtlicher Erfordernisse zu überlassen, falls sie bei der Netzausschreibung ganz oder teilweise unterliegt.

Arbeitskreise Fahrzeuge und Infrastrukturverfügbarkeit

Vor dem Hintergrund des erneuten Leistungseinbruchs der Berliner S-Bahn im vergangenen Winter haben die Länder Berlin und Brandenburg als Besteller des S-Bahn-Verkehrs und die DB AG im Februar 2011 die Einrichtung von zwei Experten-Arbeitskreisen beschlossen. Von März bis Juli 2011 haben die Arbeitskreise in umfassender Weise alle fahrzeug- und infrastrukturseitigen technischen Problemfelder sowie ihre Auswirkungen auf die Verfügbarkeit der Fahrzeugflotte sowie das vertragliche Leistungsangebot untersucht. Dabei wurde der S-Bahn Berlin bestätigt, dass die eingeführten und geplanten Maßnahmen für einen stabilen Weiterbetrieb der Fahrzeuge richtig sind. So sei auch „nicht zu erwarten, dass sich bei der Baureihe 481 vergleichbare Beeinträchtigungen der Verfügbarkeit wieder einstellen werden“. Darüber hinaus wurden Vorschläge zur Verbesserung von besonders winteranfälligen Teilen der Netzinfrastruktur sowie zur weiteren Verbesserung der Organisation des Winterdienstes erarbeitet, deren zeitgerechte Umsetzung von DB Netz zugesichert wurde.

Die Kurzfassungen der jeweiligen Abschlussberichte können auf der Website der Berliner S-Bahn heruntergeladen werden. Wer einen detaillierteren Blick in die Abschlussberichte werfen möchte, kann diesbezüglich Kontakt mit der S-Bahn Berlin aufnehmen, so Peter Buchner.

Weiteres

Die S-Bahn Berlin GmbH ist derzeit mit 300 Millionen Euro verschuldet. 2003 betrug die Verschuldung noch 500 Millionen Euro. Im Jahr 2010 machte sie einen Verlust von 222 Millionen Euro, nach 100 Millionen Euro Verlust in 2009. Davor schrieb sie Gewinn. Ohne die finanzielle Unterstützung des Bahnkonzerns hätte die S-Bahn Berlin bereits Konkurs anmelden müssen, betonte der Geschäftsführer.

Die aktuelle Betriebserlaubnis der Berliner S-Bahn gilt bis 2013. Im Anschluss daran hofft die S-Bahn wieder eine Genehmigung von üblicher Dauer zu erhalten.

Die Zahl der Abonnenten von VBB-Zeitkarten stieg bei der S-Bahn GmbH trotz der Krise innerhalb von zwei Jahren um 20 Prozent auf derzeit 178 000. Ebenso sind die Fahrgeldeinnahmen gestiegen. Beides ging nicht zu Lasten der BVG, die ebenfalls zulegte. Ein Grund hierfür sind die mehrfachen Entschuldigungsleistungen der Berliner S-Bahn, die sich bis Ende 2011 auf 146 Millionen Euro summieren werden.

Für November 2011 ist seitens der DB Netz die Ausschreibung für die Zugbildungsanlage Papestraße (zwischen Südkreuz und Tempelhof gelegen) angekündigt.

Die DB-Fahrgastzeitschrift Punkt 3 wird seit längerem nur noch auf besetzen Bahnhöfen sowie an Fahrkastenschaltern und Kundenzentren verteilt. Grund hierfür ist das Vandalismusproblem auf unbesetzten Bahnhöfen, bei dem die Zeitungshalter mehrfach zerstört oder auf Gleisanlagen geworfen wurden.

Zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2011 sollen für alle 166 S-Bahnhöfe Echtzeitinformationen im Internet abrufbar sein, mit denen Verspätungen, Verspätungsbegründungen, Zugausfälle und Gleiswechsel angezeigt werden können. Dabei wird allerdings nur die VBB-Auskunft minutengenau die Verspätungen anzeigen können. Die DB-Auskunft rundet stets in 5-Minuten-Schritten, was im Fernverkehr noch vertretbar scheint, im S-Bahn-Verkehr bei den zum Teil dichten Taktabständen aber unsinnig ist.

S-Bahnhof Borgsdorf: Ein dynamisches Fahrgastinformationssystem auf dem Bahnsteig, das Angaben über Zugverspätungen zeigen kann. Bei planmäßigem Betrieb wird die Uhrzeit angezeigt. Andere dynamische Fahrgastinfos wie Zugzielanzeiger sind hier leider nicht vorhenden, sollten aber auf allen S-Bahnhöfen Standard sein. Foto: Florian Müller

Die nächsten blauen dynamischen Fahrzielanzeiger werden entlang der S 7 nach Potsdam, der S 75 nach Wartenberg, an den Strecken zum Flughafen Schönefeld und nach Südkreuz in Betrieb genommen. Der Rest soll 2012 folgen. Dabei erhalten Bahnhöfe, die ursprünglich keine Anzeiger erhalten sollten, nur einen pro Richtung.

Inzwischen wurden die Schaukästen für die Aushänge vereinheitlicht, womit nun auf jedem Bahnhof ausreichend Platz für Fahrpläne, Bauinfos und sonstige wichtige Informationen vorhanden ist.

Momentan ist der Personalstand bei den Berliner S-Bahn-Lokführern sehr knapp. Es wird verstärkt ausgebildet und nach neuem Personal gesucht. Ein Grund hierfür liegt auch im neuen Tarifvertrag, der weniger Arbeitszeit für die Lokführer mit sich brachte. Peter Buchner widersprach nicht der IGEB-Einschätzung, dass bei deutlich schnellerer Fahrzeugreaktivierung gar nicht genug Personal vorhanden wäre, um alle Züge planmäßig zu fahren.

Noch immer fehlen ein zweites Gleis nach Potsdam und die für einen 20-Minuten-Takt nach Strausberg Nord notwendige Kreuzungsmöglichkeit zwischen Strausberg und Hegermühle. Die Berliner S-Bahn sieht hier das Land Brandenburg in der Pflicht, die Finanzierung zu übernehmen, welches sich diesbezüglich aber eher zurückhält. Gleiches gilt für Berlin bezüglich des dritten Gleises in Westend oder des zweiten Gleises zwischen Schönholz und Tegel.

Jens Fleischmann

aus SIGNAL 4/2011 (Oktober 2011), Seite 9-10