Schienenverkehrswochen 2011
Fahrgastsprechtag U-Bahn 2011
19. Okt 2011
Thema des ersten Berliner Fahrgastsprechtags im Rahmen der 28. Deutschen Schienenverkehrs-Wochen war am 1. September die U-Bahn. Auf Einladung des Berliner Fahrgastverbands IGEB kamen von der BVG Hans-Christian Kaiser, Bereichsleiter U-Bahn, Winfried Otto, Betriebsleiter U-Bahn, Christoph Boisserée, Betriebschef U-Bahn, Uwe Kutscher, Abteilung Infrastruktur, zuständig für die Anlagen der U- und Straßenbahn, sowie Martin Süß, Abteilungsleiter Fahrzeuge und Werkstätten. Wie in den Jahren zuvor fand der Sprechtag im U-Bahn-Museum im U-Bahnhof Olympia-Stadion statt.
Anlässlich der in den letzten Monaten aufgrund einiger schwerer Vorfälle verstärkten Diskussion über Gewalt in der Berliner U-Bahn bzw. auf den U-Bahnhöfen begann der Abend mit einem Vortrag der Berliner Polizei und anschließendem Rollenspiel zum Thema Gewaltprävention.
Aus polizeilicher Sicht gilt die Berliner U-Bahn nachwievor als eines der sichersten Verkehrsmittel, wenngleich Straßenbahn und Bus noch sicherer sind. Lediglich auf zehn U-Bahnhöfen gibt es jährlich mehr als 100 Taten, darunter Alexanderplatz, Zoologischer Garten, Osloer Straße und Hermannplatz. 138 Bahnhöfe (etwa 80 Prozent) weisen dagegen nicht einmal 50 Taten pro Jahr auf. Dazu beigetragen haben unter anderem die verstärkten Streifen der Polizei, teilweise auch in Zivil, deren Aufwand seit 2004 von 50 000 auf 100 000 Mitarbeiterstunden gestiegen ist. Eine weitere Steigerung auf 150 000 Mitarbeiterstunden steht in Kürze an.
In den letzten fünf Jahren ist die Kriminalität bei der Berliner U-Bahn um 20 Prozent gesunken, die der Raubdelikte, einfachen Körperverletzungen und Nötigungen sogar noch deutlicher (jeweils bis zu 46 Prozent). Die größten Probleme stellen Drogenhandel, Diebstähle (aus Taschen, von Fahrrädern) und die Gewalt gegenüber Personal und anderen Fahrgästen dar. Dabei erfolgt die Gewaltausübung sehr oft unter Einfluss von Alkohol. Trotzdem hält die Berliner Polizei ein Alkoholkonsumverbot, wie es seit Anfang September im Hamburger Verkehrsverbund besteht, für wenig hilfreich, da die Täter im Allgemeinen bereits alkoholisiert die U-Bahn bzw. die U-Bahnhöfe betreten.
Um die Kriminalität weiter zu verringern hat die Berliner Polizei in Zusammenarbeit mit der BVG Maßnahmenpakete geschnürt, die unter anderem gemeinsame Streifen und verstärkte und vor allem aktive Videokontrollen vorsehen. Auch gibt es zahlreiche Schwerpunkteinsätze an den Bahnhöfen mit erhöhtem Verkehrsaufkommen.
2010 lag die Pünktlichkeit bei der Berliner U-Bahn bei 98 Prozent (Soll 97 Prozent), die Zuverlässigkeit bei 99,8 Prozent (Soll 99,7 Prozent) und die Anschlusssicherung bei 99,9 Prozent (Soll 99 Prozent). In der Kundenbefragung schnitt die U-Bahn mit einer Durchschnittsnote von 2,52 gut ab, wobei die größte Unzufriedenheit bei der Anschlusssicherung nachts, bei der Sauberkeit und vor allem in der Fahrgastinformation bei Störungen herrscht. Um Letzterem besser entgegenzuwirken, soll unter anderem der Einsatz von Großplakaten zur Fahrgastinformationen ausgeweitet werden, da diese besser als die kleinen Zettel im Info-Aushang wahrgenommen werden.
Auch ist die U-Bahn bemüht, verstärkt für Sauberkeit zu sorgen. So wurden 3,96 Millionen Euro letztes Jahr allein in die Reinigung gesteckt. Weitere 2,6 Millionen Euro kostete die Beseitigung von Sachschäden.
Der seit Mai 2011 vorhandene 5-Minuten-Takt am Sonntag wird gut angenommen und entgegen der ursprünglichen Planung wird dieser im Großprofil sogar mit Sechs-Wagen-Zügen gefahren. Hier könnte es aber zu Anpassungen kommen, sollten die derzeitigen Beobachtungen zeigen, dass dies nicht notwendig ist.
Die erst im Nachhinein eingeführte Linie U 12 Ruhleben—Warschauer Straße hat sich ebenfalls bewährt, auf beiden Streckenästen konnte die Pünktlichkeit verbessert werden. Mit dem Beginn der Arbeiten am U 2-Bahnsteig Gleisdreieck wurde die U 2 unterbrochen, und durchfahrende Fahrgäste mussten sowohl am Gleisdreieck als auch am Wittenbergplatz in die U 1 umsteigen. Eine U 12 wurde zunächst nicht eingerichtet, um die U 1 getreu dem Motto „Linien die von Baumaßnahmen nicht betroffen sind, bleiben unangetastet“ fahren lassen zu können. Der anhaltenden Protest von Fahrgästen und des Berliner Fahrgastverbands und Zählungen im Mai 2011 führten aber schließlich doch noch zu einem Umdenken und dem Einführen der U 12, so dass durchfahrende Fahrgäste nur noch einmal am Gleisdreieck umsteigen müssen. Bleibt zu Hoffen, dass die BVG daraus gelernt hat, und beim nächsten Mal gleich die U 12 wieder zum Leben erweckt.
Zum Zeitpunkt des Sprechtages standen die Gleisbaumaßnahmen in Wuhletal unmittelbar bevor, die inzwischen zu einer Unterbrechung der U 5 zwischen Wuhletal und Elsterwerdaer Platz und Pendelverkehr zwischen Elsterwerdaer Platz und Biesdorf-Süd führten. Noch bis November 2011 wird an der Grundsanierung des Gleisdreiecks und des U-Bahnhofs Mehringdamm weiter gearbeitet. Über den Winter werden die Arbeiten ausgesetzt und zumindest am Mehringdamm 2012 fortgesetzt. Ob es auch am Gleisdreieck 2012 weitergeht, ist noch nicht entschieden. Gegebenenfalls werden die weiteren Arbeiten am U 2-Bahnsteig erst 2013 fortgesetzt und dann mit den anstehenden Brückensanierungen zwischen Mendelssohn-Bartholdy-Park und Nollendorfplatz verknüpft. Darüber hinaus werden 2012 in Hönow die Weichen erneuert und das elektronische Stellwerk Pankow in Betrieb genommen, was erneut zu deutlichen Einschränkungen auf der U 2 in Pankow führen wird. Darüber hinaus beginnen die Arbeiten zur Verlängerung der U 5 vom Alexanderplatz zur U 55 Brandenburger Tor—Hauptbahnhof, nachdem nun das Baurecht vorhanden ist.
Im Zusammenhang mit der Verlängerung der U 5 und der Entstehung eines neuen Kreuzungsbahnhofs unter der Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden muss die U 6 von Mai 2012 bis Oktober 2013 zwischen Friedrichstraße und Französische Straße unterbrochen werden. Ein regulärer Schienenersatzverkehr ist nicht vorgesehen, da zum einen dieser über Nebenstraßen verkehren müsste und auch mehr im Stau stehen als fahren würde und zum anderen die Entfernung mit 530 m zwischen den beiden Bahnhöfen so gering ist, dass diese auch gut zu Fuß in sechs bis zehn Minuten bewältigt werden kann.
Durchfahrende Fahrgäste sollten, wenn möglich, in Wedding und Tempelhof auf die Ringbahn ausweichen oder die Kombination S 1/S 2/S 25 und M 29 bzw. M 41 über Anhalter Bahnhof nutzen. Für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste ist ein Shuttleservice zwischen Friedrichstraße und Stadtmitte vorgesehen. Der Bahnhof Französische Straße ist nicht barrierefrei.
Die U 6 wird zweigeteilt verkehren, dabei im Norden zwischen Alt-Tegel und Friedrichstraße mit Vier-Wagen-Zügen alle 4 Minuten und im Süden zwischen Französische Straße und Alt-Mariendorf mit den üblichen Sechs-Wagen-Zügen im 5-Minuten-Takt. Der Einsatz von Sechs-Wagen-Zügen auf dem Nordteilstück wird nicht möglich sein, da der Abstand zwischen dem doppelten Gleiswechsel südlich des Bahnhofs Friedrichstraße, der zum Kehren der Züge benötigt wird, und dem künftigen Baufeld an der Kreuzung zu gering für Sechs-Wagen-Züge ist.
Bis Ende 2011 sind voraussichtlich 99 U-Bahnhöfe barrierefrei ausgebaut, bei 125 Aufzügen. Bis 2020 soll das gesamte Netz barrierefrei sein. Um dies zu schaffen, werden statt bisher vier bis fünf künftig acht bis neun Bahnhöfe im Jahr mit Aufzügen versehen. Für 2012 ist die Inbetriebnahme von Aufzügen für folgende Bahnhöfe vorgesehen: Magdalenenstraße, Samariterstraße, Afrikanische Straße, Boddinstraße, Hallesches Tor (U 1, der erste Aufzug), Hohenzollernplatz, Jannowitzbrücke, Kurfürstendamm (der dritte Aufzug), Leinestraße und Wutzkyallee. Ebenfalls vorgesehen ist Schillingstraße, wo es allerdings noch Probleme mit dem Standort gibt. Bei der derzeitigen Planung würde der Aufzug um einen halben Meter in die geplante neue Parkspur reinragen, was der Senatsverwaltung nicht zusagt. Die Karl-Marx-Allee wird an dieser Stelle verschmälert und soll schnurgerade vom Strausberger Platz zum Alexanderplatz ohne Sichteinschränkungen verlaufen.
Im Kleinprofil sind die Ertüchtigungen der Baureihen A3 und GI/1 ebenso wie das Refit der A3L71 abgeschlossen. Noch bis Oktober läuft die Ausschreibung für die HK-Nachfolgebaureihe. Nach Sichtung der Angebote soll der Zuschlag Mitte 2012 erteilt werden und die Lieferung des Prototyps 2014 erfolgen. Die Serie soll dann zwischen 2017 und 2019 ausgeliefert werden. Bestellt werden sollen 104 Wagen, was 26 Halbzügen entspricht.
Derzeit liegt das durchschnittliche Alter der Kleinprofilfahrzeuge bei 24,5 Jahren. Mit der Anlieferung der neuen Fahrzeuge und Abstellung einiger alter wird das Durchschnittsalter deutlich sinken.
Im Großprofil startet noch 2011 die Ertüchtigung der Baureihen F74 bis F79, bei der insgesamt 182 Wagen analog den F79-Prototypen, die auf der U 55 verkehren, umgebaut werden. Damit sind die Fahrzeuge fit für zahlreiche weitere Jahre. Spätestens ab 2026 sind jedoch neue Fahrzeuge im Großprofil notwendig. Das durchschnittliche Alter der Großprofilfahrzeuge liegt momentan bei 21,5 Jahren.
Die Probleme mit den Drehmomentstützen am Antrieb, den Radsatzlagern und der erhöhten Brandgefahr der Zwischenkreisdrosseln an den beiden neuesten Baureihen H und HK werden bis 2013 durch konstruktive Änderungen behoben. Derzeit sind schon 54 Prozent der Fahrzeuge umgebaut.
Die Einführung der Videoüberwachung in den Fahrzeugen schreitet weiter voran. Bereits 98 Prozent der Kleinprofil- und 56 Prozent der Großprofilfahrzeuge sind umgerüstet. Bis 2012 folgen die restlichen.
Das Bike & Ride-Programm wird ausgeweitet. Neue, zum Teil auch überdachte Fahrradständer entstehen vor allem im Mittelteil der U 5, an der U 7 in Spandau und in Kreuzberg.
Die U-Bahnhöfe sollen neue Fahrscheinautomaten erhalten. Das Lastenheft ist fertig, und bis Ende September 2011 können Angebote abgegeben werden. Bis Mitte Dezember 2011 sollen die angebotenen Geräte ausgiebig getestet werden. Im Anschluss daran erfolgt die Auftragserteilung. Mit der Aufstellung der neuen Automaten soll im ersten Quartal 2013 begonnen werden. Wie viele Automaten bestellt werden und welche bisherigen Standorte auf den Bahnsteigen erhalten bleiben, ist noch nicht beschlossen.
Ebenfalls neu beschafft werden automatische Zähleinrichtungen für 190 U-Bahn-Wagen. Die Vergabe des Auftrags soll noch im September 2011 erfolgen.
Es sind zusätzliche Spiegel in Höhe der Kurzzughaltetafeln im Gespräch, um das aus Fahrgastsicht ärgerliche Problem zu beseitigen, wenn Fahrer aus Sicherheitsgründen oder schlicht Faulheit bis an den Spiegel heranfahren, obwohl der Kurzzughalt mittig oder gar hinten vorgesehen ist und dies Daisy auch so anzeigt.
Ein weiteres Ärgernis für U-Bahn-Fahrgäste sind die Brandenburger-Tor-Scheibenfolien, die die Sicht nach außen und innen erheblich einschränken. Hier wird es aber keine Änderungen geben, da sich die Folien aus Sicht der BVG bewährt haben und zu Einsparungen führten, allein 800 000 Euro im Jahr 2010.
Immer mehr findet auch auf Betriebsgebäuden auf den Bahnsteigen der Einsatz von Folien statt, um die Bauwerke besser vor Graffiti zu schützen. Dabei finden teilweise auch Fotofolien Anwendung.
Tom Gerlich
aus SIGNAL 4/2011 (Oktober 2011), Seite 13-14