Fernverkehr
19. Okt 2011
Der Entwurf für ein novelliertes Personenbeförderungsgesetz (PBefG) wurde am 3. August 2011 vom Bundeskabinett beschlossen (vgl. SIGNAL 03/2011 ). Nunmehr müssen sich Bundestag und Bundesrat mit dem Entwurf befassen; die Novellierung soll im 1. Quartal 2012 abgeschlossen werden.
Die geplante Zulassung von Fernbusverkehren in direkter Konkurrenz zum Schienenpersonen- Fernverkehr dürfte in Zukunft die wirtschaftliche Betriebsführung etlicher Fernverbindungen auf der Schiene gefährden, vorrangig dabei die zur Erschließung der Regionen wichtigen Durchbindungen von Fernzügen, zum Beispiel in Urlaubsgebiete. Stattdessen werden mit der geplanten Liberalisierung weitere Verkehre auf ein vielfach ohnehin bereits überlastetes Straßennetz verlagert.
Die negativen Folgen der Fernbus-Liberalisierung für den Schienenverkehr wurden bereits im Herbst 2010 aufgezeigt. Intraplan Consult GmbH und die Beratergruppe Verkehr+Umwelt GmbH (BVU) sind im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Rahmen der Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei den Nutzern zukünftiger Fernbusangebote zu 60 Prozent (!) um verlagerte Nachfrage vom Schienenpersonenverkehr handeln wird, zu 20 Prozent um induzierten Verkehr und lediglich zu 20 Prozent um Umsteiger vom motorisierten Individualverkehr (einschließlich Fahrgemeinschaften/Mitfahrzentralen).
Die folgenden fünf Kernforderungen zur Fernbus-Liberalisierung wurden seitens des Deutschen Bahnkunden-Verbands erarbeitet, beschlossen und in die politische Diskussion eingebracht:
Um Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten des Schienenverkehrs zu vermeiden, müssen auch Fernbusse in die Mautpflicht – analog zum Lkw-Verkehr – einbezogen werden. Für Reisezugleistungen müssen schließlich ebenfalls Trassenpreise gezahlt werden.
Die begrenzten Fahrgastrechte versprechen – aus Unternehmenssicht – deutliche Vorteile zugunsten des Fernbusses. Bei einer eingetretenen Verspätung ab 1 Stunde am Zielort hat derzeit ein Bahnkunde z. B. Anspruch auf 25 Prozent Fahrpreiserstattung, bei 2 Stunden sind es sogar 50 Prozent. Von derart weitgehenden Rechten ist beim Fernbus überhaupt nicht die Rede. Erstattungsregelungen sollen hier ab 2013 beispielsweise erst bei einer planmäßigen Wegstrecke von mehr als 250 km gelten. Für eine verspätete Ankunft, etwa durch Stau, trifft die entsprechende EU-Verordnung gar keine Regelungen. Das ist eine nicht hinnehmbare Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Schienenverkehrs!
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens muss daher eine Angleichung der Fahrgastrechte für Busfahrgäste an die bestehenden Regelungen für Bahnkunden realisiert werden.
Im Bus ist das individuelle Risiko, während der Fahrt tödlich zu verunglücken, pro zurückgelegtem Kilometer rund viermal größer als im Zug und das Verletzungsrisiko sogar rund 27 Mal höher als bei der Bahn. Diese Werte haben entsprechende Untersuchungen der Allianz pro Schiene ergeben. Grundsätzlich darf eine Reise mit dem Fernbus aber zu keinem höheren Unfallrisiko der Fahrgäste führen als im Schienenverkehr. Dies muss durch entsprechende Sicherheitsstandards gewährleistet werden. Eine Angleichung muss daher erfolgen, soweit dies systembedingt überhaupt möglich ist.
Fahrzeiten der InterCity- bzw. EuroCity-Züge beispielsweise zwischen Berlin Hbf und Dresden Hbf von 2 Stunden 4 Minuten erreichen nicht einmal das Vorkriegsniveau. Sie sind leider Ergebnis einer bereits seit vielen Jahren vernachlässigten Infrastruktur, deren Zustand angesichts verschleppter Sanierungsmaßnahmen zurzeit lediglich in Teilabschnitten die von der Trassierung her mögliche Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h (bzw. auch darüber hinaus) zulässt.
Es ist nicht hinnehmbar, dass sich der Bund als Eigentümer der Schieneninfrastruktur mit dem Instrument der Fernbus-Liberalisierung aus seiner im Grundgesetz festgelegten Pflicht zum Ausbau der Schieneninfrastruktur herausstiehlt. Bereits heute liegt laut Allianz pro Schiene Deutschland im europäischen Vergleich mit Investitionen der öffentlichen Hand in die Schieneninfrastruktur von lediglich 53 Euro pro Kopf deutlich abgeschlagen hinter Frankreich (90), Großbritannien (125), Österreich (230) und der Schweiz (308) – siehe Seite 29. Die vergleichsweise „stiefmütterliche“ Finanzausstattung in Deutschland ist ein nicht akzeptabler Zustand und führt zu extrem langen Realisierungszeiten von Bahnprojekten.
Ähnlich wie bei der Schiene muss auch für Fernbusse eine Informationspflicht der Fahrgäste zur Abfahrts- bzw. Verspätungszeit sowohl an den Abfahrts- und Zielhaltestellen als auch an allen Unterwegshalten von Fernbussen realisiert werden.
Deutscher Bahnkunden-Verband
aus SIGNAL 4/2011 (Oktober 2011), Seite 20