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Bahnhöfe des Jahres 2011: Leipzig Hauptbahnhof und Halberstadt

Mit dem Wettbewerb „Bahnhof des Jahres“ prämiert die Allianz pro Schiene seit 2004 die kundenfreundlichsten Bahnhöfe in Deutschland. In der Kategorie „Großstadtbahnhof“ fiel in diesem Jahr die Wahl auf den Leipziger Hauptbahnhof, dem ersten prämierten Kopfbahnhof in der Wettbewerbsgeschichte. In der Kategorie „Kleinstadtbahnhof“ gewann der Bahnhof in Halberstadt, der seit 2010 nach einem äußerst gelungenen Umbau in neuem Glanz erstrahlt.


Deutscher Bahnkunden-Verband

19. Okt 2011

Umfassend modernisierter Kopfbahnhof und zugleich wichtiger Bahnknoten in Sachsen. Der Leipziger Hauptbahnhof wurde 2011 als „Bahnhof des Jahres“ in der Kategorie „Großstadtbahnhof“ prämiert. Foto: Allianz pro Schiene / Andreas Taubert

Die fünfköpfige Jury, welche die Bahnhöfe prüft und bewertet, besteht aus Vertretern der Allianz pro Schiene, des Deutschen Bahnkunden-Verbands (DBV), des Auto Club Europas (ACE), von Pro Bahn und vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Ausgezeichnet werden dabei grundsätzlich nur Bahnhöfe, die nach einer festen Kriterienliste am besten auf die Bedürfnisse von Bahnkunden eingehen.

Objektive Erfordernisse wie Kundeninformation, Sauberkeit, Integration in die Stadt und die Verknüpfung mit den anderen Verkehrsmitteln sind dabei ebenso entscheidend wie ein eher subjektiver Wohlfühlfaktor. K.O.-Kriterien sind beispielsweise: Kein Personal vor Ort, fehlende Barrierefreiheit, Sicherheitsmängel z. B. an Bahnsteigbelägen oder schmutzige/defekte Toiletten.

Leipzig Hauptbahnhof

Leipzig Hauptbahnhof: Das großzügige, hohe, lichtdurchflutete Emfangsgebäude ermöglicht sowohl Reisenden als auch Besuchern ein angenehmes Verweilen und hilft Wartezeiten auf einen Anschlusszug bequem zu überbrücken. Foto: Allianz pro Schiene / Andreas Taubert

Der Leipziger Hauptbahnhof erstreckt sich über eine Fläche von 83 640 m². Das macht das Bauwerk zum flächenmäßig größten Kopfbahnhof Europas; bezüglich der Anzahl der Gleise wird er jedoch von einigen Bahnhöfen übertroffen (z. B. München Hauptbahnhof).

Im Jahre 1906 riefen die Staatseisenbahnverwaltungen Preußens und Sachsens gemeinsam mit der Stadt Leipzig einen Architekturwettbewerb für den Bau eines Bahnhofsgebäudes aus. Der Entwurf mit dem Thema „Licht und Luft“ der Dresdener Architekten William Lossow und Max Hans Kühne setzte sich hierbei durch. Die Grundsteinlegung in der südwestlichen Ecke des heutigen Empfangsgebäudes erfolgte am 16. November 1909. Am 4. Dezember 1915 erfolgte – wegen eines Streiks der Bauarbeiter ein Jahr später als ursprünglich geplant – die Schlusssteinlegung.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bahnhof im Juli 1944 schwer beschädigt. Der komplette Wiederaufbau konnte erst 1965 – und damit rund 20 Jahre nach der Kriegszerstörung – abgeschlossen werden.

1996 pachtete der Hamburger Projektentwickler ECE das Empfangsgebäude und übernahm die Vermarktung. Unterhalb des Querbahnsteigs wurde ein Einkaufszentrum mit zwei Tiefgeschossen errichtet. In drei Ebenen beherbergt es heute mehr als 140 Geschäfte. Privatinvestoren trugen 80 Prozent der Kosten zum Umbau des Empfangsgebäudes bei. Zwischen 1997 und 1999 erfolgte auch die Modernisierung der Längsbahnsteighallen. Auf der Fläche der ehemaligen Gleise 25 und 26 sowie unterhalb vom Gleis 24 wurde ein Parkhaus mit 600 Stellplätzen errichtet und – zur optischen Trennung – das Gleis 24 als Museumsgleis mit historischen Schienenfahrzeugen hergerichtet. Der modernisierte Bahnhof wurde schließlich am 12. November 1997 eröffnet.

Die im Leipziger Hauptbahnhof ankommenden Fahrgäste werden heute von einer großzügigen, hohen und lichtdurchfluteten Bahnhofshalle empfangen – in der heutigen auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Zeit eine eher ungewohnte Erfahrung. Mit dem in die Querhalle integrierten Einkaufszentrum wurde eine äußerst gelungene Mischung aus renovierter alter Bausubstanz und moderner Infrastruktur bzw. heutigen Kundenbedürfnissen geschaffen.

In Leipzig Hauptbahnhof vorbildlich gelungen: Sanierte historische Bausubstanz, ergänzt mit einem umfangreichen, modernen Service- und Dienstleistungsangebot. Foto: Allianz pro Schiene / Andreas Taubert

Der Gedanke des ursprünglichen Architekturwettbewerbs „Licht und Luft“ lebt erfreulicherweise auch nach der Modernisierung fort: Verglaste, halbrunde Decken, ein freier Blick auf die Ladenzeilen in den beiden Untergeschossen und gläserne Aufzüge sorgen für viel Helligkeit und Transparenz. Die zahlreichen Geschäfte und Lokale sind einladend und lassen praktisch keine Wünsche offen. Der große Vorteil dabei: Shoppende und Bahnreisende kommen sich räumlich durch die klare Trennung von Einkaufen und Reisen nicht in die Quere.

Dennoch führen die Ladenpassagen keinesfalls ein vom übrigen Bahnhof losgelöstes Eigenleben. Die Beschilderung vom Einkaufszentrum zu den weiterführenden Verkehrsmitteln ist klar strukturiert und in sich stimmig. Sitzgelegenheiten, Blumenschmuck und ein schönes, gepflegtes Ambiente sorgen für eine hervorragende Aufenthaltsqualität. Eine Besonderheit ist der ehemalige „Preußische Wartesaal“; nach umfangreichen Umbauarbeiten ist hier seit Mitte 2008 eine Buchhandlung mit angeschlossenem Cafe untergebracht.

Leipzig Hauptbahnhof ist damit mehr als nur ein Ort zum Ein-, Aus- und Umsteigen und setzt besondere Akzente hinsichtlich Kundenfreundlichkeit. Hier kann der Bahnkunde seinen Ärger vergessen, wenn er z. B. wegen einer Verspätung einmal seinen Anschlusszug verpasst hat.

Bahnhof Halberstadt

Bahnhof Halberstadt: Auch der umgebaute Vorplatz bietet Reisenden und Besuchern eine hohe Aufenthaltsqualität. Foto: Christian Schultz

Der Bahnhof Halberstadt wurde am heutigen Standort am 1. August 1868 in Betrieb genommen. Auch hier wurde das Empfangsgebäude gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erheblich beschädigt. Zu DDR-Zeiten machte es nicht zuletzt nach der Verhüllung mit einer Wellblechfassade einen heruntergekommenen und trostlosen Eindruck.

In den Jahren 1996 bis 2000 konnte in einem ersten Bauabschnitt der Bahnhofsvorplatz durch die Stadt mit maßgeblicher Landesunterstützung umgestaltet werden. Dabei erfolgte die Verlegung des Busbahnhofs an den Bahnhof und die Einrichtung der Straßenbahnhaltestelle – Kosten: 3,9 Mio. Euro, davon 3,0 Mio. Landesunterstützung. Die Sanierung der Bahnsteige erfolgte 2006/2007.

Bahnhof Halberstadt 1995 mit Wellblechfassade. Foto: Frank Lammers

Die NOSA GmbH, die Holding der Stadt Halberstadt, kaufte schließlich das Empfangsgebäude im Jahr 2007, um es mit Landesunterstützung in seiner städtebaulichen und verkehrlichen Funktion zu erhalten. Im Rahmen der Umbauarbeiten in den Jahren 2008 bis 2010 wurde das denkmalgeschützte Empfangsgebäude vollständig entkernt und zu einem modernen, multifunktionalen und barrierefreien Dienstleistungszentrum umgestaltet. Die Kosten beliefen sich dafür auf rund 8,2 Mio. Euro.

Entstanden sind ein großzügiger Wartebereich, einladende Geschäfte und die Gaststätte „Gleis 6“. Der Bahnhof bietet dabei weitere Serviceeinrichtungen, die der Bahnkunde benötigt bzw. schätzt, wie z. B. Schließfächer, elektronische Abfahrtspläne für Bahn und Bus im Empfangsgebäude,

Der sanierte Bahnhof Halberstadt ist heute wieder ein attraktives Tor zum Harz und zugleich Vorbild für die gelungene Revitalisierung eines Bahnhofs. Foto: Christian Schultz
einen Übersichtsplan mit Übernachtungsmöglichkeiten, überdachte Fahrradabstellplätze und Pkw-Parkmöglichkeiten. In einem Seitenflügel ist auch die Bahnhofsmission untergebracht. Die historische Fassade, das komplett umgebaute Innenleben des Empfangsgebäudes, die Bahnsteige und der Bahnhofsvorplatz bilden heute eine gefällige, gepflegte und optisch miteinander harmonierende Einheit mit sehr hoher Aufenthaltsqualität für Bahnkunden und Besucher.

Der Bahnhof Halberstadt ist heute wieder ein attraktives Tor zum Harz und ein außergewöhnlich positives Beispiel für die gelungene Revitalisierung eines Bahnhofs und für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Stadt, Land und Deutscher Bahn.

Bahnhöfe des Jahres – eine Bilanz

Als Siegerbahnhöfe wurden bislang gekürt:

Mit Leipzig Hauptbahnhof hat zum ersten Mal seit Beginn dieses Wettbewerbs ein sächsischer Bahnhof den Titel „Bahnhof des Jahres“ gewonnen. Gleiches gilt für das Land Sachsen-Anhalt mit dem Bahnhof Halberstadt. Das Bundesland Baden-Württemberg ist mittlerweile mit drei Siegerbahnhöfen vertreten (Mannheim, Karlsruhe, Baden-Baden) und liegt damit an der Spitze der Bundesländer. Niedersachsen, Thüringen und Bayern haben jeweils zwei Siegerbahnhöfe.

In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland konnten dagegen leider auch in diesem Jahr wieder keine Bahnhöfe prämiert werden. Obwohl auch in den letztgenannten Bundesländern die entsprechenden Qualitätschecks in diversen Bahnhöfen durchgeführt wurden, schieden im Ergebnis selbst Großstadtbahnhöfe auf Grund teilweise erheblicher Mängel aus. Die Bahnhofsfinanzierung ist eine Querschnittsaufgabe zwischen Stadt, Land und Deutscher Bahn. Isolierte Einzelmaßnahmen bleiben letztlich Flickwerk und können die Kunden nicht zufriedenstellen.

Deutscher Bahnkunden-Verband

aus SIGNAL 4/2011 (Oktober 2011), Seite 26-27