Planung
Die Zurückstellung der U5-Verlängerung eröffnet Chancen, welche die Große Koalition nicht nutzen will
1. Apr 1996
In der im Januar abgeschlossenen Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD wurde festgelegt: "In dieser Legislaturperiode wird nur der Tunnelstutzen zwischen Lehrter Bahnhof und Reichstag gebaut." Wer diesen Sieg der Vernunft feiern will, sollte den nächsten Satz der Koalitionsvereinbarung besser nicht lesen. Denn dort heißt es: "Die eingesparten Mittel werden u.a. für den Ausbau der Straßenbahn (ca. 150 Mio DM) und zum Teilausgleich des von Berlin zu finanzierenden Defizits der BVG genutzt."
Eigentlich wollten wir die Berliner SPD ja loben. Endlich hatte sie sich einmal in einer für den öffentlichen Nahverkehr wichtigen Frage zu dessen Gunsten durchsetzen können. Schließlich stehen durch den Verzicht auf den U5-Tunnel zwischen Alex und Brandenburger Tor immerhin rund eine Milliarde DM zur Verfügung, mit der z.B. 20-mal mehr Straßenbahn- als U-Bahn-Kilometer gebaut werden können. Auch wirtschaftliche Aspekte konnte die SPD anführen, denn Straßenbahnbau ist arbeitsplatzintensiver und kann von klein- und mittelständischen Firmen ausgeführt werden. Die Betriebskosten der Tram sind hingegen weit geringer als bei der U-Bahn.
Doch das Lob blieb uns im Halse stecken, als wir den oben zitierten zweiten Satz lasen. Um das besser zu verstehen, sei noch einmal daran erinnert, wie sich die vom ehemaligen Verkehrssenator Herwig Haase für die U5-Verlängerung geplante Milliarde zusammensetzte:
Schon die Entscheidung, 800 Mio DM aus den Regionalisierungsmitteln als Verfügungsmasse zu betrachten, wirft Fragen auf. Deshalb hat der Berliner Fahrgastverband mehrfach gefordert, der Senat möge offenlegen, wieviel von den bisher für die U5-Verlängerung vorgesehenen Regionalisierungsgeldern für die Aufrechterhaltung bzw. Einführung eines attraktiven S-Bahn- und Regionalbahnverkehrs benötigt wird. Statt einer Antwort gab es mit der Koalitionsvereinbarung nun eine Umverteilung der Mittel von der geplanten U-Bahn-Investition weg und hin zum Betriebskostenzuschuß der BVG, zu dessen Zahlung sich der Senat für einige Jahre vertraglich verpflichtet hat.
Der Erfolg der SPD besteht also darin, daß durch die Umverteilung von 800 Mio DM aus den Regionalisierungsmitteln nun beim Zuschuß an die BVG 800 Mio DM aus dem Berliner Landeshaushalt eingespart werden können, also nicht mehr für ÖPNV-Investitionen bzw. attraktivere ÖPNV-Angebote zur Verfügung stehen. Damit wird deutlich, daß die Koalitionsvereinbarung nicht das Ergebnis verkehrspolitischer Vernunft, sondern finanzpolitischer Not ist.
Zusätzlich relativiert wird der SPD-Erfolg durch die Vereinbarung, nur ca. 150 Mio DM von den mit der U5-Zurückstellung eingesparten Mitteln für die Straßenbahn auszugeben. Und wo sollen die als GVFG-Landesanteil bereitzustellenden 65 Mio DM ausgegeben werden, die, anders als die Regionalisierungsmittel, keinesfalls für den Zuschußbedarf der BVG, sondern nur für ÖPNV-Investitionen verwendet werden dürfen? Die Koalitionsvereinbarung enthält dazu keine Aussage.
Bei näherer Betrachtung wird deutlich, daß CDU und SPD zur U5-Verlängerung eine aus der Not geborene und mit heißer Nadel gestrickte Vereinbarung trafen, die man nicht als Verhandlungserfolg bezeichnen kann, es sei denn mit "Gänsefüßchen".
Der Berliner Fahrgastverband IGEB hält deshalb an der Forderung fest, die mit der U5-Zurückstellung gewonnene Milliarde unbedingt für Zukunftsinvestitionen in den ÖPNV zu nutzen und nicht zur Finanzierung des laufenden Zuschußbedarfs der BVG. Das Schwergewicht sollte dabei auf den Ausbau des Straßenbahnnetzes gelegt werden, weil die BVG dadurch einerseits vorhandene Fahrgäste schneller und kostengünstiger als bisher befördern kann und andererseits neue Fahrgäste gewinnt.
Um das Geld im Straßenbahnbau aber auch ausgeben zu können, besteht dringender Planungsbedarf, selbst dann, wenn nur ein Teil der U5-Milliarde für die Tram zur Verfügung stehen sollte. Denn der Berliner Senat hat seit Jahren Planfeststellungsverfahren für die Straßenbahn verzögert, während man am Planungsrecht für die Verlängerungen der U2-Nord und U5-West stetig gearbeitet hat, um so Sachzwänge für den U-Bahn-Bau zu schaffen. Wie schon in früheren Jahren wird der Senat dann darauf verweisen, daß die jährliche Ausgabe aller Gelder nur durch U-Bahn-Bau zu gewährleisten sei, weil der planerische Vorlauf für die Straßenbahn fehle.
Dieser Sachzwang tritt tatsächlich ein, wenn nicht sofort die Planungen für weitere Straßenbahnverlängerungen begonnen werden. Für die in allernächster Zeit auszugebenden Finanzmittel gibt es dennoch genügend sinnvolle Projekte, für die bereits ausgearbeitete Pläne in den Schubladen der Senatsverwaltungen liegen, so daß der komplette Mittelfluß 1996 auch ohne U-Bahn-Bau gewährleistet werden kann. Bei folgenden Projekten sind die Planungen weit vorangeschritten bzw. abgeschlossen und ein Baubeginn kurzfristig möglich:
Für die 2,7 km lange Verlängerungsstrecke zwischen Louise-Schroeder-Platz und Eckernförder Platz wurde noch bis vor kurzem die Inbetriebnahme für 1996 verkündet. Wegen Mittelknappheit wurde der Baubeginn verzögert, obwohl der Planfeststellungsbeschluß vorliegt. Hier kann also sofort begonnen werden.
Für die Verlängerung der Straßenbahnstrecke von der Weidendammer Brücke bis zur Dorotheenstraße einschließlich der Anbindung der Endstelle Am Kupfergraben lagen die Pläne zum Plan feststellungsverfahren bereits im Frühjahr 1995 öffentlich aus, aber erst Ende Januar 1996 fand die Anhörung zu den Einwendungen statt. Ein sachlicher Grund für dieses überaus langwierige Verfahren für eine äußerst kurze und völlig unproblematische Strecke ist nicht erkennbar.
Für diese besonders dringende Verlängerung konnten im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens bereits im Februar 1995 bei einer von der Senatsbauverwaltung durchgeführten Erörterungsveranstaltung mit allen beteiligten Institutionen die wesentlichen Fragen des Trassenverlaufs einvernehmlich geklärt werden. Die Eröffnung des Planfeststellungsverfahrens wurde seitdem allerdings immer wieder verschleppt und muß nun endlich erfolgen. 1996 kann jedoch in jedem Fall mit bauvorbereitenden Maßnahmen begonnen werden.
Bis zu 50 Mio DM können auch in die Beschleunigung der Straßenbahn, z.B. durch Vorrangschaltungen bei Ampeln, investiert werden. Dadurch könnte der ÖPNV nicht nur wesentlich beschleunigt werden, sondern auch die Kosten für den laufenden Betrieb würden erheblich reduziert werden. Als Faustregel gilt: Je Vorrangschaltung werden bei den Betriebskosten pro Jahr 200.000 DM eingespart.
Für mehrere U-Bahnhöfe liegen fertige Pläne zum Einbau von Aufzügen in den Schubladen oder können innerhalb weniger Monate abgeschlossen werden. Hierfür können Mittelumschichtungen problemlos erfolgen.
Fertig ausgearbeitet sind bereits die Pläne für einen direkten Zugang vom Nordausgang des U9-Bahnsteiges am Bf Zoo zu den Fernbahnsteigen. Dadurch würde eine nachhaltige Entlastung der viel zu engen Fußgängerübergänge zwischen U- und S-Bahn erreicht. Im Zuge der für 1996 beabsichtigten Sanierung der U1-Hochbahnstrecke sollten darüber hinaus die zur besseren Flächenerschließung sinnvollen zusätzlichen Zugänge an den U-Bahnhöfen Prinzenstraße und Görlitzer Bahnhof realisiert werden.
Bei der Trassensanierung der U-Bahn-Linie 2 wurde zwischen den Bahnhöfen Potsdamer Platz und Gleisdreieck auf Initiative der Senatsverkehrsverwaltung der Bau eines U-Bahnhofes Hafenplatz berücksichtigt, weil die geplante hohe Baudichte und das Umsteigen zum Bus hier einen zusätzlichen Halt der Züge rechtfertigen (vgl. SIGNAL 3/92 ). Im direkten Umfeld der künftigen Station werden nun die ersten Bauten des neuen Stadtteiles zwischen Schöneberger Ufer und Potsdamer Platz erstellt, so daß mit dem Bahnhof, dessen Pläne bereits in den Schubladen liegen, eine wichtige Erschließungslücke geschlossen werden könnte.
Als dem Berliner Senat 1993 das Geld für die Fertigstellung des Südringes ausging, blieben viele S-Bahnhöfe in halbfertigem Zustand liegen. Insbesondere fehlen an mehreren Bahnhöfen wichtige Zugänge, so daß Fahrgäste unnötig lange Wege gehen müssen. Bekanntestes Beispiel ist der begonnene und nicht vollendete S-Bahn-Zugang am ICC. Investitionen in die Wiederinbetriebnahme stillgelegter S-Bahn-Strecken sollten demgegenüber keinesfalls aus diesen Mitteln bezahlt werden, da die Bundesregierung hier in der Pflicht ist, diese "Altlasten" aus anderen "Töpfen" zu finanzieren.
Neben der Realisierung der vorgenannten Maßnahmen in 1996 muß sofort mit den Planungen für Baumaßnahmen ab 1997 begonnen werden. Hierbei muß die Straßenbahn Vorrang haben, weil mit der Ergänzung ihres Netzes der mit Abstand größte Nutzen im Verhältnis zu den Investitionskosten erzielbar ist.
Genauso wichtig wie die Westverlängerung der vielen Linien, die noch immer dort enden, wo bis 1990 die Berliner Mauer stand, ist die Direkterschließung der Ost-Berliner City (Alex, Friedrichstraße) durch die Straßenbahn. Desweiteren sind die geplanten Neubaugebiete anzuschließen und Netzoptimierungen im Ostteil durchzuführen.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB schlägt daher ein Ausbaukonzept mit ca. 90 km Straßenbahn-Neubaustrecken in zunächst zwei Dringlichkeitsstufen vor, mit dem die Grundlagen für eine erhebliche Attraktivitätssteigerung und Kostenreduzierung des Berliner ÖPNV-Netzes gelegt werden können. Hierfür und für die Sanierung des Netzes stehen neben den bis 2002 für die Tram vorgesehenen 1,3 Mrd DM (einschließlich Streckensanierungen) auch die U5-Gelder zur Verfügung.
So wäre innerhalb eines Jahrzehnts ein vorbildliches Straßenbahnnetz mit großem verkehrlichem, umweit- und arbeitsmarktpolitischem Nutzen bei relativ niedrigen Betriebskosten zu schaffen. Die 89,3 km Netzerweiterung würden bei einem normalen Preisstand von 10 Mio DM je km insgesamt ca. 900 Mio DM kosten. Zur Erinnerung: Für diesen Betrag wären gerade einmal 2,5 km der U5-Verlängerung zu bauen.
IGEB
aus SIGNAL 2/1996 (April 1996), Seite 17-18