Stadtverkehr

Schluss mit Kurzzügen!

Verkehrsunternehmen haben bei der Planung der Fahrzeugeinsätze immer das betriebswirtschaftlich begründete Bestreben, möglichst viele Menschen mit möglichst wenigen und möglichst kleinen Fahrzeugeinheiten zu befördern – die dazu möglichst selten verkehren sollen. Während einer Reduzierung der Taktzeiten nach Gusto der Unternehmen die Regelungen der Verkehrsverträge entgegenstehen und der Kreativität somit Grenzen gesetzt sind, lassen sich die Unternehmen beim Fahrzeugeinsatz eine Vielzahl von Tricks einfallen.


IGEB Stadtverkehr

15. Aug 2014

In Berlin ist seit einigen Jahren der Einsatz von Kurzzügen bei U-Bahn und Straßenbahn zum Normalzustand geworden. Die Möglichkeiten, die ein Schienensystem bietet, nämlich Züge zu kuppeln und damit die Kapazitäten einer Fahrt zu verdoppeln oder zu verdreifachen, werden bewusst nicht genutzt. Angesichts der gestiegenen Fahrgastzahlen führt das mittlerweile auf vielen Linien zu Überfüllungen, verlängerten Haltestellenaufenthalten, Verspätungen und zu Ärger bei den Fahrgästen aufgrund proppenvoller Bahnen und Busse. Am Beispiel des größten Nahverkehrsanbieters der Stadt – der BVG – werden aktuelle Defizite aufgezeigt und Handlungsoptionen empfohlen.

U-Bahn

Das Berliner U-Bahn-Netz teilt sich in das Großprofil (2,65 m breite Fahrzeuge) und das Kleinprofil (2,30 m breite Fahrzeuge). Im Großprofil ist flächendeckend der Einsatz von 96 m langen 6-Wagen-Zügen möglich. Im Kleinprofil sind auf den Strecken der Linien U 1 bis U 3 100 m lange 8-Wagen-Züge einsetzbar, eine Ausnahme bildet die – allerdings auch deutlich weniger nachgefragte – Linie U 4, auf der die Zuglänge auf 75 m begrenzt ist. Trotzdem werden die möglichen Zuglängen häufig nicht gefahren, die „Gefäße“ sind also kleiner, als es die technischen Gegebenheiten erlauben würden. So werden

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auf der U 2 gelegentlich, auf den Linien U 1 und U 3 dagegen durchgehend – auch im Berufsverkehr – nur 6-Wagen-Züge eingesetzt. Erst in jüngster Zeit gibt es Bestrebungen, die U 1 wieder mit 8-Wagen-Zügen zu bestücken, wobei allerdings noch offen ist, ab wann und zu welchen Zeiten das geschehen soll.

8-Wagen-Zug von der Warschauer Straße kommend. Im Regelverkehr setzt die BVG auf der U 1 nur 6-Wagen-Züge ein. Foto: Marc Heller

Die Großprofillinien werden tagsüber generell mit 6-Wagen-Zügen bedient, es sei denn, es gibt akuten Wagenmangel und Doppeltriebwagen müssen – etwa weil sie schadhaft sind – aus dem Verkehr genommen werden. Sehr skurril ist allerdings das Vorgehen auf der Linie U 8, wo die tagsüber verkehrenden 6-Wagen-Züge ab ca. 21 Uhr aufwendig getrennt und zu 4-Wagen-Einheiten verkürzt werden. Das hat nichts mit einer sinkenden Fahrgastnachfrage zu tun, denn gerade auf der U 8 beginnt ab 21.30 Uhr bis zum Betriebsschluss gegen 0.30 Uhr eine neue Nachfragespitze, was an den zahllosen gastronomischen und kulturellen Höhepunkten und einem entsprechend amüsierfreudigen Publikum entlang dieser Linie liegt. Eingeführt wurde die Kürzung zu einer Zeit, als die U 8 noch im Dornröschenschlaf zwischen den Stadtteilen Wedding und Neukölln pendelte, um die Laufleistung der eingesetzten Fahrzeuge zu reduzieren und Wartungstermine einzusparen. Mittlerweile hat sich die Nachfrage allerdings deutlich verändert, die Kürzungsvorlieben der BVG dagegen nicht, was sich auch auf der U 6 negativ bemerkbar macht.

Straßenbahn

Leider tendiert die BVG wie bei der U-Bahn auch auf den Straßenbahnstrecken dazu, aus falsch verstandener Sparsamkeit kleinere Züge einzusetzen, als eigentlich für die Beförderung der Fahrgäste notwendig wären. Die Straßenbahn – auch 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung noch immer hauptsächlich auf den Ostteil Berlins begrenzt – verfügt über drei verschiedene Fahrzeugklassen, die von der BVG aus ideologischen Gründen am liebsten als Kurzzüge eingesetzt werden. Der Fahrzeugpark unterscheidet sich in Hochflur- und Niederflurbahnen, letztere gibt es als Einrichtungs- und Zweirichtungszüge, wobei die neuesten Niederflurzüge aufgrund größerer Fahrzeugbreiten nicht im gesamten Netz einsetzbar sind: Die zuletzt beschafften Flexitys haben aufgrund ihrer Breite von 2,40 m im Köpenicker Netz Fahrverbot.

Die BVG hat in den letzten Jahren zudem durch die Errichtung von Stumpfendstellen an vier Punkten im Netz (S+U Alexanderplatz, U Warschauer Brücke, S Nordbahnhof, S Springpfuhl) Zwänge geschaffen, aufgrund derer auf einigen Linien jetzt (ausschließlich niederflurig vorhandene) Zweirichtungszüge eingesetzt werden müssen (M 2, M 10, 18, längerfristig baubedingt M 8). Diese Züge benötigen zwar keine Wendeschleifen, sind aber wesentlich teurer in Anschaffung und Betrieb.

Auf der M 2 verkehren nur 30 m lange Straßenbahnen vom Typ Flexity. Das steigende Fahrgastaufkommen erfordert jedoch den Einsatz von 40 m langen Zügen. Foto: Marc Heller

Kleinste Einheit sind gegenwärtig die 19 m langen Tatra-KT4D-Triebwagen, die zwar hochflurig sind, aufgrund ihrer sehr gelungenen Innenraumgestaltung aber die höchste Beförderungskapazität pro Wagenmeter bieten. Diese werden auf einigen Linien als Solofahrzeuge, meist aber als Doppeltriebwagen eingesetzt. Die Zulassung und der Einsatz als 57 m lange Dreifachtraktion – wofür die Fahrzeuge konzeptionell vom Hersteller ausgelegt sind – wurde von der BVG nie ernsthaft in Erwägung gezogen und bei der Modernisierung nicht berücksichtigt. Ein Fehler, der jetzt gegen Ende der Einsatzzeit wohl nicht mehr gutgemacht werden kann. Andere deutsche Städte waren da klüger. Dabei könnte es ein derartiger Zug, als Verstärker im Berufsverkehr auf M 4, M 5 oder M 13 eingesetzt, mit der Kapazität einer U-Bahn bei einem Zehntel der Kosten aufnehmen.

Es ist klar, dass die Zeit hochfluriger Straßenbahnzüge in Berlin dem Ende entgegen geht, allerdings sollte auch die BVG mittlerweile erkennen, dass eine Ausmusterung der Tatras bei der weiter gestiegenen Nachfrage bis 2017 unrealistisch ist, weil bis dahin nicht große Einheiten in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen werden. Wie in diesem Heft auf Seite 16 berichtet, sollte eine größere Anzahl KT4D auch nach 2017 zum Abfangen von Lastspitzen vorgehalten werden.

Die nächstgrößere Fahrzeugklasse sind die 27 m langen GT6-Triebwagen aus der Mitte der 1990er Jahre, die zwar niederflurig sind, aufgrund der verbauten Innenräume aber nur vergleichsweise wenige Fahrgäste in sehr mäßiger Qualität befördern können. Immerhin können hier zwei Einheiten zu 55 m langen Doppeltraktionen gekuppelt werden, was die BVG aber offensichtlich nur ungern und deshalb nur auf zwei Linien einigermaßen regelmäßig praktiziert: M 4 und M 5, in „Notfällen“ kommen M 6 und sehr selten die M 13 hinzu. Gerne werden Baumaßnahmen genutzt, um auch auf diesen Linien den Fahrzeugeinsatz wieder zu reduzieren und durchgehend Kurzzüge einzusetzen, was dann zu höchst unerfreulichen Zuständen führt – wie bei den gleichzeitigen Baumaßnahmen an den S-Bahnhöfen Greifswalder Straße und Landsberger Allee im Sommer 2014 (siehe Seite 17).

Größte verfügbare Einzelfahrzeuge sind derzeit die 30 m bzw. 40 m langen niederflurigen Flexitys, die – wie die GT6 – als Einrichtungs- und Zweirichtungszüge zur Verfügung stehen. Die Fahrzeuge sind – der Kuppelallergie der BVG entsprechend – aber als Einzeltriebwagen ohne Kupplungen beschafft worden, sodass eine Verlängerung einzelner Züge technisch nicht möglich ist. Aufgrund des anderen Fahrzeugkonzepts (gegenüber den alten Niederflurbahnen) und einer gelungenen Innenraumgestaltung erreichen die 40 m langen Flexitys etwa die Beförderungskapazität von Tatra-Doppeltriebwagen.

Schnelle Abhilfe in Gestalt längerer Züge ist vordringlich auf folgenden Linien nötig:

ER = Einrichtungswagen
ZR = Zweirichtungswagen
30 m/40 m = 30 bzw. 40 m lange Flexitys
27 m/55 m = GT6-Kurzzug bzw. GT6-Doppeltraktion

Um genügend (kuppelfähige) GT6 zur Bildung von 55-m-Zügen freizubekommen, sind weitere Flexitys in der 40 m-Variante zu beschaffen – die in den Verträgen mit dem Hersteller vereinbarte Option muss die BVG nur abrufen.

Im Köpenicker Netz (Liniennummern 60-68) außer der Linie 62 und der Linie 67 stellen 27 m kurze Fahrzeuge im Augenblick eine gute Größe dar, auch die Linien 21 und 27 des Ergänzungsnetzes sind mit 27 m/30 m kurzen Zügen auf absehbare Zeit gut bedient. Eine Ausnahme ist die 62, die angesichts mehrerer Schulen im Linienverlauf (in Wendenschloss, Köpenick und Mahlsdorf) regelmäßig aus allen Nähten platzt. Der gegenwärtige intermittierende Einsatz von 27-m-Niederflurzügen und 38-m-Hochflurzügen sollte hier beibehalten, aber durch einen zügigen Ausbau der Begegnungsabschnitte für einen 10-Minuten-Takt im Abschnitt Mahlsdorf-Süd—S Mahlsdorf auf die ganze Linie ausgedehnt werden.

Auf allen anderen Linien und insbesondere im Metronetz haben Kurzzüge mit weniger als 38/40 m nutzbarer Länge angesichts der Fahrgastzuwächse schon jetzt nichts mehr verloren.

Bus

Der Busverkehr wird bei der BVG gegenwärtig durch vier Fahrzeugklassen bedient, die allerdings häufig entgegen des Bedarfes eingesetzt werden.

Die kleinste Einheit stellen die 12 m langen Standardbusse dar, die auf nachfrageschwachen Linien im Ergänzungsnetz gute Dienste leisten können.

Es folgen 18 m lange Gelenkfahrzeuge für wichtige und nachfragestarke Verbindungen mit starkem Fahrgastwechsel im Linienverlauf und die noch größeren 13,5 m langen Doppeldeckfahrzeuge, die die Fahrgäste allerdings zum Treppensteigen während der Fahrt auf belebten Straßen zwingen und deren Oberdecks demzufolge gerne leer bleiben. Eine Ausnahme davon bilden touristisch genutzte Sightseeing-Linien wie der Bus 100 und gegebenenfalls einige wenige Expressbuslinien mit viel Punkt-zu-Punkt-Verkehr und sehr langen Haltestellenabständen.

Doppeldeckbusse können aufgrund von Höhenbeschränkungen auch nicht überall eingesetzt werden, während 18-m-Gelenkbusse keinen Totalumbau des Stadtraumes erfordern: Hilfen wie Haltestellenkaps (=Vorstreckungen) zum bequemen und behindertengerechten Ein- und Aussteigen (ab 2022 Pflicht laut EU-Gesetzgebung) lassen sich problemlos realisieren und tragen nebenbei zur Verkehrsberuhigung bei.

Die ebenfalls noch vorhandenen 15 m-Busse als vierte Fahrzeugklasse haben sich im Betrieb aufgrund der deutlich größeren Wenderadien nicht bewährt und werden in Berlin keine Zukunft haben.

Wie sich am Beispiel der Sperrung der Frey-Brücke in Spandau und den vergeblichen Versuchen, einen halbwegs vernünftigen Ersatzverkehr zu organisieren, zeigte, sind auch Busse Einschränkungen – hier durch ihr Fahrzeuggewicht – unterworfen. So sind auf der Linie M 49 derzeit statt der üblichen Doppeldecker oder Gelenkbusse 12 m-Wagen im Einsatz, weil die gefährdete Brücke maximal 18 t Fahrzeuggewicht verkraftet. Die Folge sind völlig überlastete Busse, Stress für die Fahrer und unzufriedene Fahrgäste. An diesem Beispiel zeigt sich eindrucksvoll, dass die Behauptung der notorischen Straßenbahngegner, Busse seien doch – im Gegensatz zu Bahnen – einzigartig flexibel, die Luft nicht wert ist, mit der sie transportiert wird.

Leider setzt die BVG die unterschiedlichen Größen bei Bussen nicht nach Notwendigkeit, sondern nach undurchschaubaren betrieblichen Zwängen ein. Auf Linien, die mit 12-m-Bussen gut bedient wären, verkehren Gelenkbusse, die auf den M-Linien dann schmerzlich vermisst werden. Zu Ersatzverkehren bei Bauarbeiten werden dagegen auch gerne 12-m-Busse herangezogen, wobei die BVG die Frage beantworten muss, wie ein solcher Bus die Fahrgäste einer 27 m langen Straßenbahn aufnehmen soll. (mg)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 4/2014 (August/September 2014), Seite 18-19