Der Bahnhofsvorsteher informiert
Die Mobilität der Bürger ist einer der Eckpfeiler der Daseinsvorsorge in der Bundesrepublik Deutschland – sowohl den Straßen- als auch den Schienenverkehr betreffend. Mit Anfang der Bahnreform von 1993 und Umsetzung der Regionalisierung 1996 wurde die Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auf die Länder übertragen, die zum Zwecke der Finanzierung seither vom Bund jährlich Gelder in Milliardenhöhe erhalten.
15. Aug 2014
Den Löwenanteil machen dabei die sogenannten Regionalisierungsmittel aus, die basierend auf dem „Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz – RegG)“ von 1993 nach einem festen Schlüssel (Abb. 1) verteilt werden. Die Laufzeit war allerdings beschränkt worden, und so steht jetzt die Überprüfung und Neuverhandlung der Mittelverteilung an. Das große Tauziehen um das Geld hat begonnen.
Diese Erkenntnis gilt überall, auch beim Eisenbahnverkehr. Während der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) seine Kosten fast ausschließlich durch die Fahrgeldeinnahmen von den Kunden decken muss, wird der SPNV vom Bund (letztendlich vom Steuerzahler) aus dem Aufkommen der Mineralölsteuer mitfinanziert. Diese nicht unerhebliche Finanzspritze sollte und soll die Sicherstellung von Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr unterstützen und gemäß § 6 Abs.1 RegG insbesondere der Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs dienen.
Diese Formulierung ist problematisch, denn „insbesondere“ heißt, dass bis dato die Mittel zum überwiegenden Teil, aber nicht ausschließlich für den SPNV genutzt wurden. Bei der Verteilung und Verwendung der Mittel ließ der Bund den Ländern weitestgehend freie Hand. So konnte jedes Bundesland für sich entscheiden, wieviel Geld der Schiene vorenthalten wurde,
um andere Verkehrsausgaben zu decken, die eigentlich aus anderen Mitteln zu bestreiten wären (siehe Tabelle 1). Erst seit der letzten Revision müssen die Länder die Mittelverwendung, wenn auch nicht rechtfertigen, so doch zumindest offenlegen.
Die Unterstützungsleistung war in den Jahren 1994 bis 2007 noch recht großen Schwankungen unterworfen. Eine solide langfristige SPNV-Planung war damit kaum möglich. Besonders kritisch wirkten sich dabei die drastischen Einschnitte durch die Haushaltsbegleitgesetze von 2006/2007 aus (siehe Tabelle 2). So legte man bei der Revision 2007 für das Jahr 2008 einen Betrag in Höhe von 6,675 Mrd. Euro fest, der in den Folgejahren konstant um jeweils 1,5 Prozent angehoben wurde (§ 5 Abs. 1 & 2 RegG).
Aus dem Geldsäckel der Regionalisierungsmittel werden nicht nur Schienenverkehrsleistungen im Nah- und Regionalverkehr bezahlt, sondern auch Schienenverkehr, der gesetzlich zum ÖPNV zählt (U-Bahn, Straßenbahn, Stadtbahn), städtische und regionale Busverkehre, kleine und mittlere Bauprojekte mit und ohne ÖPNV-Bezug und vieles andere mehr. Dabei werden die Regionalisierungsmittel auch zusammen mit Geldern aus anderen Finanzierungsquellen eingesetzt. Hier spielen für den infrastrukturellen Neu-/Ausbau die Bundesmittel aus dem Entflechtungsgesetz, dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz GVFG und der Nahverkehrsanteil von 20 Prozent am Bundesschienenwegeausbaugesetz BSchWAG eine große Rolle.
In die Finanzierung der öffentlichen Verkehre fließen außerdem Gelder z. B. aus Ausgleichszahlungen für Schwerbehinderte (§§ 148 ff. SGB IX) oder Schülerverkehre (§ 45a PBefG). In vielen kleinen und mittleren Städten ist der ÖPNV in den Stadtwerken eingegliedert, was die Quersubventionierung aus der meist gewinnträchtigen Energiesparte (Strom, Gas, Wasser) erleichtert. Dass so etwas auch schief gehen kann, ist aktuell in Gera zu sehen (siehe Seite 29).
Zu guter Letzt macht mit über einem Drittel die Nutzerfinanzierung den Löwenanteil an der Gesamtfinanzierung des ÖPNV aus. In Summe ist die „Schatzkiste SPNV/ÖPNV“ etwa 25 Milliarden Euro schwer, wobei kaum nachzuvollziehen ist, woher jeder Euro im Einzelnen kommt.
Schon seit Beginn der Bahnreform regiert der Rotstift. Offen in Form von Streichungen, aber auch im Verborgenen durch die Etablierung einer Dumpingmentalität. Oft gerieten bei Ausschreibungen qualitative Kriterien ins Hintertreffen, wenn nur der Preis stimmte. Da wurden mal Wartungszyklen ausgedehnt, Service durch Personalabbau abgeschafft und bei den verbliebenen Personalen die Lohnkosten gedrückt. Noch immer gibt es bei einigen Eisenbahnverkehrsunternehmen Vollzeitmitarbeiter, die aufstocken müssen.
Wohin SPNV-Dumping führen kann, zeigte 2003 anschaulich das Insolvenzverfahren der Flex AG. Sie hatte Ende 2002 den Zuschlag für die Strecke Hamburg—Flensburg—Padborg (DK) bekommen, weil bei ihrem Angebot der Anteil der öffentlichen Zuschüsse an der Verkehrsfinanzierung am geringsten ausfiel.
Alles wird teurer, auch auf der Schiene. Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur in Baden-Württemberg hat für sein Bundesland eine Kostensteigerung zwischen 2011 und 2012 um insgesamt 49,79 Mio. Euro errechnet (siehe Tabelle 3). Im selben Zeitraum stiegen die Regionalisierungsmittel lediglich um 10,9 Mio. Euro. Die höchsten Anteile an der Kostensteigerung machen dabei die Trassen- und Stationsentgelte aus. Sie seien von 2009 bis 2013 um etwa 30 Prozent gestiegen, heißt es aus dem Ministerium.
Auch der VBB hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die jährliche Steigerung der Regionalisierungsmittel um 1,5 Prozent nicht ausreicht, um die sehr viel stärker steigenden Trassen- und Stationspreise bezahlen zu können, so dass jedes Jahr weniger Geld für die Bestellung von Verkehrsleistungen in Berlin und Brandenburg zur Verfügung steht.
Diese schleichenden Mittelkürzungen der vergangenen Jahre müssen ausgeglichen werden. Daher fordern die Landesverkehrsminister eine Erhöhung des Gesamtvolumens von 7,30 Mrd. Euro auf 8,50 Mrd. Euro ab 2015, um die bisherigen Mittelverluste zu kompensieren. Damit der Verkehr auch in den Folgejahren zumindest im gleichbleibenden Umfang gewährleistet werden kann, soll nach ihren Vorstellungen die Dynamisierungsrate der Bundesmittel von 1,5 auf künftig 2,8 Prozent erhöht werden.
Die Verteilung zwischen den Bundesländern ist ein weiterer großer Streitpunkt in der Debatte um die Regionalisierungsmittel. So bekommt beispielsweise Nordrhein-Westfalen bisher 15,76 Prozent vom großen Kuchen ab, verweist aber darauf, dass es für 21,80 Prozent der Bundesbürger zu sorgen habe. Auch die Länder Baden-Württemberg und Hamburg sehen sich benachteiligt und stiegen in die Neiddebatte ein.
Dass der aktuelle Verteilungsschlüssel, der im Wesentlichen auf den Zugleistungen in den Jahren 1993/94 beruht, nicht mehr zeitgemäß ist, mag unbestritten sein, aber den Bevölkerungsanteil als dominierende Kennziffer zu nehmen, brächte bevölkerungsarme strukturschwache Flächenländer wie beispielsweise Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg in große Bedrängnis. Würde der Anteil an den Mitteln insbesondere der ostdeutschen Flächenländer unterhalb der jetzigen Beträge gekürzt, hätte das fatale Folgen. Weitere Strecken müssten ausgedünnt oder ganz gestrichen werden. Ein Teufelskreis würde entstehen, Regionen mit schwacher Infrastruktur würden aussterben. Hat Oma Erna im Kreis Ostprignitz weniger Anspruch auf gleichmäßigen Taktanschluss als Onkel Heinz in Oberhausen, nur weil NRW eine höhere Bevölkerungsdichte hat!? Der Berliner Fahrgastverband IGEB meint: Nein! Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf Mobilität!
Doch wonach soll sich die künftige Aufteilung richten? Nach dem Bevölkerungsanteil, nach dem Flächenanteil oder nach den tatsächlich nachgewiesenen Verkehrsleistungen im SPNV wie damals anno 1993? Käme die letzte Kennziffer zum Tragen, hätten jene Länder gut Lachen, die dem Sinn des Gesetzes entsprechend die höchste SPNV-Quote bei der Verwendung der Regionalisierungsmittel haben. Beispielsweise betrug sie 2012 in Rheinland-Pfalz 90,55 Prozent. Länder wie Hamburg, Bremen, Berlin, aber auch Niedersachsen und Sachsen, die ein Drittel und mehr für andere Dinge ausgeben, hätten schlechte Karten im Prozentepoker. Da würde auch die späte Einsicht des Niedersächsischen Landtags nicht mehr helfen, der ad hoc viel mehr Verkehr auf die Schiene bringen will, um besser dazustehen (DS 17/1593).
Wie könnte eine gerechte Verteilung aussehen? Sie sollte die Fläche UND die Bevölkerung als feste Faktoren beinhalten sowie die Bevölkerungsdichte als Erschwernis der Stadtstaaten berücksichtigen, aber auch die zweckentsprechende Verwendung belohnen und Angebotsverbesserungen sowie Kundenzufriedenheit nicht außer Acht lassen sondern honorieren. Die Prämienfaktoren sollten im Zweijahresrhythmus überprüft und angepasst werden.
Die Finanzierung des SPNV und ÖPNV ist ein Sammelbecken von Geldflüssen aus verschiedensten Quellen. Wieviel genau woher kommt und wohin weiterfließt, ist mangels transparenter Dokumentation nicht immer eindeutig nachvollziehbar. Das Auslaufen der verschiedenen Infrastrukturförderungen (GVFG, EntflechtG) sollte zum Anlass genommen werden, die gesamte Finanzierung neu zu ordnen. Dabei muss klar getrennt werden zwischen der Finanzierung der Verkehre und der Infrastruktur (Neubau, Ausbau und Instandhaltung).
Die aktuell zur Diskussion stehenden Regionalisierungsmittel müssen ein auskömmliches Volumen aufweisen, um auch künftig einen qualitativen Nahverkehr flächendeckend anbieten zu können, ohne dass Regionen vom Schienennetz abgeklemmt werden und obendrein von Freitagmittag bis Montagmorgen keinen Bus sehen. Ohne die Kürzungen 2006/2007 würden bei realistischer Dynamisierung heute etwa neun Milliarden Euro pro Jahr für den SPNV zur Verfügung stehen. Das muss der Ausgangspunkt für 2015 sein. Hierauf muss eine jährliche Erhöhung angerechnet werden, die einerseits die reale Kostensteigerung abdeckt, aber auch Anreize zur qualitativen und quantitativen Weiterentwicklung von SPNV und ÖPNV bietet. Die Zweckbindung zur Bestellung von Verkehrsleistungen des SPNV/ÖPNV muss dabei detailliert definiert, festgeschrieben und kontrolliert werden. (BfVSt)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 4/2014 (August/September 2014), Seite 22-24