Service im Test
„Alles neu und besser“ versprach die BVG, als sie den sogenannten „Relaunch“ ihrer seit 2006 in die Jahre gekommenen Website verkündete. Doch seit der runderneuerte Internetauftritt das Licht der Öffentlichkeit erblickte, ist die Enttäuschung groß.
13. Okt 2014
Größer, übersichtlicher und von unnötigem Ballast befreit, so will sich das moderne Unternehmen BVG seit 13. August 2014 im Netz präsentieren. Das gelang auch, zumindest unter Marketinggesichtspunkten. Das moderne hippe Marketingunternehmen hat gewonnen – die Landesanstalt, die Fahrgäste befördert und informiert, hat verloren. Der unnütze Ballast „Fahrgastinformation“ wurde erfolgreich verdrängt, versteckt, verkompliziert.
Die ehemals kleinteilige Seite hat eine klare Struktur erhalten. Sie besteht aus zwei Spalten, links Logo, Menü, Navigation und sonstige Dinge, die man woanders nicht unterbringen konnte – alles grau in grau, damit es nicht ablenkt von der rechten Seite. Die große breite helle rechte Spalte ist jetzt dem „Content“, also dem Inhalt vorbehalten.
Auf der Startseite bedeutet das: oben eine große rotierende Werbetafel, darunter die Meldungen aus der Werbetafel noch einmal etwas genauer beleuchtet. Damit ist der „Inhalt“ zu Ende. Die eigentlich wichtigen Sachen,
die vorher bunt auf der Fläche verteilt wurden, finden sich nun teilweise in der Grau-in-grau-Leiste am linken Rand.
Relativ viel Platz hat man der Verbindungsauskunft gegeben, die hier fälschlicherweise „Fahrplanauskunft“ genannt wird (einen echten Fahrplan gibt es nämlich gar nicht mehr auf der BVG-Seite). Nach über einer Woche der seltsamsten Vorauswahlen für Datum und Uhrzeit hat man zumindest (aber ausschließlich) auf der Startseite eine Kalenderauswahl spendiert. Zuvor blieb nur das Zahlentippen und erraten des gewünschten Datums- und Uhrzeitformats. Ein falsch gesetzter Punkt oder das Weglassen der Jahreszahl wird mit sofortiger Fehlermeldung bestraft. Das Problem besteht weiterhin, nur eben nicht mehr auf der Startseite.
Darunter findet sich ein Ausschnitt des Liniennetzplans, auf den man natürlich NICHT klicken kann, um ihn herunterzuladen oder wenigstens anzeigen zu lassen. Das geht nur über den Grau-in-grau-Text darunter mit der Beschriftung „Liniennetz & Stadtplan“, der einen zur Stadtplanseite führt.
Verkehrsmeldungen werden wohl als Eingeständnis gesehen, dass das tolle Marketingunternehmen doch nicht ganz so toll ist. Jedenfalls sind die Verkehrsmeldungen nicht auf den ersten Blick erkennbar. Wer nicht gerade die Bildschirmgröße einer Häuserwand besitzt, muss immer erst nach unten scrollen, um einen Hinweis auf Bauinformationen, Aufzugsstörungen et cetera in der Grau-in-grau-Leiste zu finden. Hier steht auch häufig, dass aktuell alles gut laufe oder maximal eine kleine Busumleitung in Lankwitz Kirche bestünde. Erst wer auf die mittelgraue Schrift auf nicht ganz so mittelgrauem Grund und der Beschriftung „Alle Verkehrsmeldungen“ klickt, findet dann die Liste mit den hunderten Störungen im BVG-Netz – darunter haufenweise Ersatzverkehre oder Pendelverkehre bei U-Bahn und Straßenbahn. Alles nicht so wichtig?
Das neue Bauinfo-Medium der BVG, das Navi-Heft, ist offensichtlich auch nicht mehr so wichtig. Wurde es zuvor noch auffällig in der Seitenleiste beworben, fehlt es nun komplett – nicht nur auf der Homepage, sondern im gesamten Internetauftritt.
Und auch das Brot- und Buttergeschäft ist verschwunden: Zuvor war auf der Startseite groß und zentral der Aboantrag zu finden – das BVG-Produkt schlechthin zur Gewinnung von Stammkunden, die regelmäßig neben den Landeseinnahmen die verlässlichste Einnahmequelle darstellen. Weg. Nicht so wichtig? Ein beispielloses Marketing-Versagen!
Wer auf die BVG-Seite kommt, hat dafür meist einen von zwei Gründen. Entweder, er benötigt schnell eine Verkehrsinformation, oder er will eine Fahrkarte kaufen. Er findet jedoch zuerst Tickets für die Funkaustellung, mehrere Einladungen, sich als Mitarbeiter bei der BVG zu bewerben, einen Aktionstag „Berlin soll schöner werden“ und die Aufforderung, sich festzuhalten, wenn er Bus und Bahn fährt. Kurz: eine Startseite der Nichtsnutzigkeit.
Wer echte Informationen sucht, muss schon tiefer in die Internetseite eintauchen. Die neue Navigation soll dabei helfen. Wer am heimischen PC sitzt, braucht dafür aber eine sehr ruhige Hand. Denn der Inhalt der großen, links in der Navigationsleiste angezeigten Rubriken, wird nur sichtbar, wenn die Maus auch über der Rubrikenschrift steht. Jetzt gilt es, hinter der Schrift mit der Maus einer gedachten Geraden bis zum rechten Bereich zu folgen. Wer um einen Millimeter verrutscht, landet im Untermenü der Rubrik darunter oder darüber. Hier wird dem Kunden Fingerspitzengefühl abverlangt, das besser die Gestalter dieser Navigation gezeigt hätten, als sie das erdachten.
Ein großer Fehler der alten Seite war der Zwang des kleinen Layouts, der alles in seine schmale Form pressen wollte. Besonders machte sich das beim Stadtplan bemerkbar, den man durch seine Briefmarkengröße nur mit Minischritten erforschen konnte. Der Rest des Bildschirms war grau, weiß oder eine sonstige Hintergrundgrafik.
Doch auf der neuen Seite ist es nun ganz anders. Nein halt, ist es nicht! Eine riesige Suchleiste, Himmel-Wolkenkuckucksheim-Hintergrundgrafik, Verbindungssuche-Eingabemaske und die Grauin-Grau-Seitenleiste. Dann noch ganz viele Schaltflächen, um Theater, Hotels, Sehenswürdigkeiten und so weiter einblenden zu können. Ein bisschen Platz hat man tatsächlich für den Stadtplan gelassen. Schade, Chance vertan.
Das Kartenmaterial der BVG hat eine sehr gute Qualität. Ein beispielhafter Stadtplan, der bereits seit Jahrzehnten in gedruckter Form ein echter Verkaufsrenner ist – selbst unter Autofahrern. Bis heute gibt es kein vergleichbares Kartenmaterial, das so gut ÖPNV in einem Stadtplan darstellt. Dieses Kartenmaterial verdient eine Vollbildansicht! Google Maps macht es vor.
Responsive Design ist ein aktueller Gestaltungsansatz für Internetseiten. Hintergedanke ist, dass man nicht mehr verschiedene Webseiten für verschiedene Endgeräte bastelt (Handy, Smartphone, Tablet, Arbeitsplatz-PC), sondern nur noch eine Seite, die sich der Bildschirmgröße, der Orientierung (horizontale oder vertikale Bildschirmausrichtung) und der Leistungsfähigkeit des Gerätes anpasst. Die Elemente auf der Webseite werden dann in Größe und Position umgestaltet, sodass sich immer eine stimmige Internetseite präsentiert.
Das ist beim neuen Internetauftritt der BVG auch gut gelungen. Die Webseite lädt nur die Bildergrößen, die für das Gerät sinnvoll sind. Gerade unterwegs auf dem Handy ist das wichtig, denn das spart Datenvolumen. Eigentlich. Denn die Entscheidung, welche Bildgröße und welche Funktionen geladen werden sollen, müssen zum großen Teil auf dem Gerät getroffen werden. Dafür ist Programmcode nötig. Programmcode, der, Sie ahnen es, aus dem Internet geladen und auf dem Handy ausgeführt werden muss. Im Vergleich zu einer echten mobilen Internetseite ist hier das Datenvolumen naturgemäß also wesentlich höher.
Trotzdem sieht es natürlich besser und einheitlicher aus. Es wirkt moderner und ist nicht auf eine Bildschirmgröße festgelegt. Die Seite sieht immer stimmig aus, egal ob Handy, Tablet oder PC. Und sie hat auch immer den gleichen Informationsgehalt. Das ist positiv zu bewerten. Genauso wie die technische Umsetzung. Alles schaltet so um, wie es soll.
Doch auch hier gilt: Content first. Zuerst an den Inhalt denken. Welche Elemente bei welcher Größe wie ausgeblendet oder vereinfacht werden, sollte gut durchdacht sein. Und da besteht durchaus noch Verbesserungspotenzial.
Die Verbindungsauskunft, das aktuelle Herzstück der Internet-Fahrgastauskunft (weil anscheinend niemand mehr ohne Routen-Navigationsvorschriften mit Bahn und Bus fahren kann), ist prominentestes Element der Fahrgastinformation. Doch das Ergebnis der Verbindungsanfrage wirkt wie ein Fremdkörper in der Website. Hingeklatscht, die Elemente springen wild durcheinander – das alles macht den Eindruck, als hätte man in letzter Minute versucht, noch irgendwie Fahrgastinformation unterzubringen. Mal stehen die Uhrzeiten in der Mitte, klappt man die Verbindung auf, stehen sie plötzlich vorn. Damit alles noch irgendwie passt, wurde die Schrift ins Miniaturistische verkleinert.
Schade, denn hier besteht Potenzial. Eine möglichst übersichtliche Darstellung der Verbindungsauskunft ist das allerwichtigste der Website eines Verkehrsunternehmens. Doch hier ist nur eine misslungene Kopie der VBB-Version entstanden. Dabei war die eigene Vorlage aus der BVG-App so vielversprechend. Auch bei anderen Apps oder gar bei Google Maps ist das sehr viel besser gelöst.
Richtig enttäuschend ist die Möglichkeit des Ticketerwerbs aus der Verbindungsauskunft. Versteckt im vierten Reiter, unterteilt nach „Bartarif“ und „Zeittarif“, was online so wenig aussagekräftig wie falsch ist, finden sich zwei unerklärte Endlostabellen mit Ticketnamen und Tarifstufen. Um sich hier zurechtzufinden, muss man schon die 147-seitige VBB-Tarifbroschüre auswendig gelernt haben. Doch auch das bringt einen nicht weiter. Denn bei unserem Test führte der Klick, der eigentlich direkter Weg in den Online-Ticketshop sein soll, nur auf eine Fehler-404-Seite.
Gut, dann ruft der angehende BVG-Fahrgast halt den Ticketshop über das Menü auf – wenn er ihn denn findet. Auch hier gibt es erst einmal nur Tabellen. Kein Tarifberater, man muss erst jedes Ticket einzeln aus dem Sortiment anklicken, um Details dazu zu erfahren. Umständlicher geht es nicht. Hat man sich beim Einkaufen verklickt, so kann man den Warenkorb auch nur komplett löschen. Einzelpositionen loszuwerden geht nicht. Wer einen Fehler macht, muss eben wieder von vorn anfangen – wie bei einem Konsolenspiel aus den frühen 1990er Jahren. Ist aber eigentlich auch egal. Denn welcher Kunde bezahlt auch noch 6 Euro Versandkosten? Und zwar unabhängig vom Ticketwert! So wird aus einem Kurzstreckenticket halt ein Betrag von 7,50 Euro statt 1,50 Euro. Ein klarer Schuss ins Knie.
Für Stammfahrgäste, die wissen wo sie hinwollen und ihr Ticket bereits besitzen, sind die Echtzeit-Abfahrzeiten der wohl wichtigste Dienst. Ausgerechnet diesen Service hat man mit der Neugestaltung fast völlig entwertet.
Konnte man auf der alten Seite noch übersichtlich nach Haltestellenmast geordnet die nächsten Abfahrten je Richtung ablesen, so gibt es jetzt nur noch eine Tabelle für alles – falls man sie denn findet. Versteckt ist diese Funktion nämlich unter „Fahrinfo > Haltestelleninfo“. Welche Haltestelle man eingibt, ist fast schon egal. Denn die Seite ist bei der Interpretation sehr großzügig. Wer sich beispielsweise die Abfahrten der Straßenbahnhaltestelle „Memhardstraße“ für die Linie M 2 ansehen möchte, wird mit einer Endlosliste aller Abfahrten des gesamten Alexanderplatzes beglückt. Hier seine gesuchte Abfahrt herauszufinden, gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Zudem sind die Echtzeitdaten auch noch häufiger offline als verfügbar, sodass man meist eh mit den Plandaten vorlieb nehmen muss. Auch fehlen neuerdings die ein- und ausrückenden Fahrten der Straßenbahn. Mit den DAISY-Anzeigern an der Haltestelle hat das gebotene Machwerk im Internet nun kaum noch etwas zu tun. So kann es sein, dass der Anzeiger an der Haltestelle vor Ort einen dichten Takt anzeigt, während die Website längst den Betriebsschluss verkündet hat. Fehlinformationen allererster Güte und ein peinliches Armutszeugnis.
Bei so vielen verpfuschen Funktionen bleibt einem der Blick ins Impressum nicht erspart. Gleich fünf externe Firmen sind demnach verantwortlich. Die Firma „unitb Consultig“ zeichnet sich mit der „Realisierung Portallösung“ aus. Sie hat am Ende also die Teillösungen zusammengeschustert. Die „Comvation AG“ hat das monatlich kostenpflichtige Content-Management-System beigesteuert, also das Redaktionssystem. Für Fahrinfo zeichnet beim Hintergrundsystem HaCon, die eigentlich hinter fast jeder Fahrplandatenbank Europas stecken, verantwortlich. Die verkorkste Oberfläche dazu kommt von IVU, deren Personal- und Einsatzplanmanagementsystem „IVU Suite“ bei Einführung vor ein paar Jahren monatelang so viel bei der BVG durcheinandergebracht hatte, dass es seitdem von Mitarbeitern nur noch „IVU Suizid“ genannt wird. Und zum Schluss kommt der Onlineshop von EOS Uptrade, die inzwischen vom Fahrplanriesen HaCon aufgekauft wurden.
Zu viele Köche verderben dann wohl doch den Website-Brei. Und die Frage steht im Raum: Was hat das wohl alles wieder gekostet? Diese Frage darf auch gern mal ein Abgeordneter stellen, ergänzt um die Frage, wer denn jetzt für die Beseitigung der Mängel und Defizite aufkommt? Ein Fall für den Rechnungshof, der bei der Landesanstalt BVG gern mal wieder etwas genauer hingucken darf. Wahrscheinlich wurde der neue Internetauftritt auch noch als Investition in die Fahrgastinformation deklariert. Tatsächlich wurde diese aber verschlechtert.
Von wegen! Es gab zuvor sogar eine gespannte Vorfreude auf die zeitgemäße Neugestaltung der BVG-Website. Grafisch und technisch kann man durchaus zufrieden sein. Wenn da nicht die Sache mit den Inhalten wäre. Bei der Fahrgastinformation hat man hier auf ganzer Linie versagt. Grundfunktionalitäten sind versteckt, verkorkst oder funktionieren schlichtweg nicht mehr. Da bringt auch die tolle Aufbereitung der Marketingmeldungen nichts. Das größte Verkehrsunternehmen der Region hat hier seine Pflichtaufgaben verfehlt. Liebe BVG, für euch gilt mehr noch als für andere: Erst Hausaufgaben, dann Selbstdarstellung!
Hier muss dringend und schnellstmöglich nachgebessert werden! (hm)
Dieser Beitrag beschreibt die Website bvg.de mit Stand von Anfang September 2014, etwa zwei Wochen nach Freischaltung der neuen Website. Inzwischen gab es kleine Veränderungen, einzelne Mängel wurden behoben. Wir werden zu gegebener Zeit darüber berichten, aber das Gesamtergebnis ist noch immer enttäuschend.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 5/2014 (Oktober/November 2014), Seite 8-10