S-Bahn und Regionalverkehr

Anforderungen an ein neues Berliner S-Bahn-Fahrzeug

Für die Berliner S-Bahn muss bekanntlich dringend eine neue Fahrzeugbaureihe als Ersatz für die Baureihen 480 und 485 entwickelt werden. Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hatte die Chance, im Rahmen der Ausschreibung des ersten Teilnetzes auch für die Fahrzeuge wesentliche Standards vorzugeben. Zur Vorbereitung gab es 2012 Gespräche u. a. mit dem Berliner Fahrgastverband IGEB. Welche der Fahrgastwünsche in der Ausschreibung berücksichtigt wurden und wie groß die Entwicklungsspielräume der Wettbewerbsteilnehmer sind, ist nicht bekannt. Aber die nach derzeitigem Stand im Februar 2015 erfolgende Abgabe der Bieter nehmen wir zum Anlass, ausgewählte wichtige Punkte aus der IGEB-Stellungnahme von 2012 zu dokumentieren.


Berliner Fahrgastverband IGEB

13. Okt 2014

Designstudie von Bombardier auf der Innotrans 2012. Bombardier ist bisher der einzige Fahrzeughersteller, der einen Designvorschlag veröffentlicht und die Anforderungen an die neue S-Bahn mit Fahrgästen dikutiert hat. Zeichnung: Bombardier, Foto: Raul Stoll

Der Berliner Fahrgastverband IGEB befürwortet eine möglichst hohe Sitzplatzanzahl in den Fahrzeugen, gerade vor dem Hintergrund, dass die Neubaufahrzeuge schon aufgrund ihrer Konstruktion weniger Sitzplätze als die bisherigen Baureihen aufnehmen können, und vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft. Älteren Menschen ist es in der Regel nicht zuzumuten, längere Zeit im Fahrzeug zu stehen. Deshalb wird die Nachfrage nach Sitzplätzen perspektivisch steigen. Für Mehrzweckabteile bietet sich hier die Ausstattung mit Klappsitzen an.

Die IGEB befürwortet Polstersitze mit Stoff - oder Kunstlederbezug. Die Polsterweichheit sollte sich an den Sitzen in der Baureihe 481 orientieren. Die Innenraumgestaltung (Sitzlandschaft, Art und Maße der Sitze, Sitzabstand, Polsterung) sollte sich ebenfalls am 481er orientieren. Die Einrichtung und Innenraumgestaltung im 481er hält die IGEB diesbezüglich für vorbildlich.

Eine saisonale Veränderung der Mehrzweckbereiche hält die IGEB für verzichtbar. Die Transportbedürfnisse sind über das Jahr betrachtet weitgehend konstant, da zu jeder Jahreszeit Kinderwagen, Fahrräder und

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Rollstühle zu befördern sind. Bei hochgeklappten Klappsitzen können ohne Umbau genügend Fahrräder transportiert werden. Anlegehalter, die Stehplatzfläche für Personen einnehmen, werden abgelehnt.

Sollte ein Wagen nicht mehr für Fahrgäste benutzbar sein (z. B. durch Vandalismus oder technische Defekte), so ist speziell bei durchgehenden Halbzügen ein Konzept zur teilweisen Absperrung des Zuges zu entwickeln. Somit können wenigstens 2 Wagen eines Halbzuges von den Fahrgästen weiterhin genutzt werden.

Die Fahrzeuge müssen auch mit dauerhaft ausgeschalteter Kühlung/Entfeuchtung (z. B. bei Defekt) im Fahrgastbetrieb einsetzbar sein. Für eine ersatzweise Lüftung bei warmem Wetter müssen Klappfenster als zweite reguläre und optimierte Technik zur Verfügung stehen. Jedes zweite Fenster ist als Klappfenster auszuführen, das sorgt für eine Verteilung der Klappfenster über die ganze Wagenlänge. In jedem „Abteil“ (zwischen zwei Türen pro Seite) sollte pro Seite ein Klappfenster sein. Im Funktionsfall der Klimaanlage sind diese Klappfenster verriegelt und können nur durch Bahn-Schlüssel geöffnet werden.

Auch bei Fahrt mit geöffneten Klappfenstern sollen keine starken Zuglufteffekte in Kopfhöhe sitzender Fahrgäste entstehen. Entsprechend sind die Windfangwände zu gestalten, indem ein Luftstrom in Deckenhöhe gewährleistet wird und die Wände nicht bis zur Decke hochgezogen werden wie bei der Baureihe 481.

Im neuen U-Bahn-Zug für München der Firma Siemens sind Leuchtbänder an den Türkanten angebracht. Diese leuchten grün, wenn die Türen freigegeben sind und rot, sobald die Türfreigabe zurückgezogen wird. Damit soll die Erkennbarkeit des Öffnungs- und Schließvorgangs verbessert werden. Eine beispielhafte Idee. Foto: SWM/MVG

Der Öffnungsvorgang der Türen soll bereits bei geringer Fahrtgeschwindigkeit beginnen, damit zum Zeitpunkt des Anhaltens des Zuges die Türen zum Fahrgastwechsel geöffnet sind. Somit lässt sich der Fahrgastwechsel beschleunigen und die Haltezeit verkürzen (wie bei der BR 481). Dazu sind die Spezifikationen mit dem Eisenbahn-Bundesamt gesondert abzustimmen. Auch eine Spaltüberbrückung, die erst im Stillstand des Zuges aktiv wird, sollte das Türöffnen nicht verzögern. Der Türschließvorgang ist schnell auszuführen. Vom Türschließsignal bis zum Anfahren des Zuges sollten maximal 5 Sekunden vergehen.

Foto: Florian Müller
Ein Stretch-Monitor im Fahrzeuginnenraum unter der Decke zeigt den Linienverlauf an. Danach wechselt die Anzeige zu einer Übersicht des Füllungsgrades der einzelnen Wagen des Zuges. Diese Daten werden aus der automatischen Gewichtsmessung jedes Wagens gewonnen und helfen den Fahrgästen, Wagen mit freien Sitzplätzen in langen Zügen zu finden. Dieses Beispiel wurde in einem neuen Regionalzug für London auf der Innotrans 2014 vorgestellt. Foto: Florian Müller

Türöffnerknöpfe innen sind etwa in der Mitte der Doppeltür anzubringen. Türöffner außen sind seitlich an den Türblättern anzubringen, gegebenenfalls auf jedem Türblatt ein Türöffner. Damit stehen die Fahrgäste auf dem Bahnsteig nicht den aussteigenden Fahrgästen in der Mitte der Tür im Weg (beschleunigt den Fahrgastwechsel). Für Blinde sind, auf deren Wunsch, Tastlippen in Nähe der Türöffner anzubringen. Der konstruktiven Optimierung auf Beschleunigung des Fahrgastwechsels und Verkürzung des Bahnhofsaufenthaltes ist eine hohe Bedeutung beizumessen. Ist eine Tür gesperrt, dann sollte das auch an den Leuchtkränzen der Türöffner sichtbar sein (ist bei der BR 481 heute nicht gegeben). Auch ein eventuelles Tür-Finde-Signal muss dann stumm bleiben.

Ein akustisches Warnsignal soll es nur beim Zwangsschließen geben (Vermeidung akustischer Umweltvermüllung/Belästigung). Das Türschließsignal soll ein melodischer Klang sein, kein Piepsen. Auf ein Türöffnungssignal und ein Tür-Findepiepsen soll verzichtet werden. Falls die Vorschriftenlage dies aber unvermeidlich macht, dann sollen sie mithilfe einer Zeitschaltung erst einige Sekunden nach der Türfreigabe ertönen. Der Vermeidung von belästigenden Signaltönen ist eine hohe Bedeutung beizumessen.

Idee für die Gestaltung der Mehrzweckabteile, um auch ohne viele Klappsitze die Sitzplatzzahl möglichst hoch zu halten. Die Anordnung der Stellfläche zwischen zwei Türräumen verhindert bei einer Türstörung, dass die Fahrgäste mit Rollstuhl, Kinderwagen oder Fahrrad diese Fläche nicht erreichen können oder gar auf ihr „gefangen“ sind. Zeichnung: IGEB

Die neuen Züge sollen für Doppel-TFT-Monitore (o. ä.) konstruiert werden, um moderne Fahrgastinformation in jedem Einstiegsbereich und gute Sichtbarkeit von mindestens 80 Prozent aller Sitzplätze zu ermöglichen. Zusätzlich sind dynamische Fahrt-Linienbänder in jedem Wagen vorzusehen, gegebenenfalls ebenfalls als TFT-(Stretch)-Monitor. Die Fahrgastinfo-Ansteuerung per Computer muss austauschbar gestaltet werden, damit nach angemessener Frist auf eine modernere Computergeneration umgerüstet werden kann.

Der Blick vom Fahrgastraum durch die Fahrerkabine auf die Strecke sollte gewährleistet sein (Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs durch „Fahrterlebnis“ für Fahrgäste). Deshalb sollte es z. B. kein Rollo an der Seite neben dem Fahrer geben.

Zum Antrieb: Alle Achsen sollen angetrieben und bei Defekt drehgestellweise ausschaltbar sein, damit ein Schaden nicht den ganzen Viertelzug außer Betrieb setzt.

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 5/2014 (Oktober/November 2014), Seite 18-19