Tarife
Fahrpreise bei der Deutschen Bahn sind ein Mysterium. Das ist hinlänglich bekannt. Schon seit Jahren reicht das normale „Fahrgastabitur“ nicht mehr aus, um zu verstehen, warum eine Fahrt von A nach B mal X und ein anderes Mal Y Euro kostet. Warum bei diesem Preissystem selbst Bahnmitarbeiter an den Fahrkartenschaltern in Erklärungsnot geraten, wollen wir an einigen gelegentlich auftretenden Beispielen aufzeigen.
13. Okt 2014
Früher war alles besser! Bei diesem Satz mögen viele die Augen verdrehen, aber einfacher war so Manches allemal. Da hatte ein Kilometer für jede Komfortklasse einen festen Preis. Egal in welche Richtung, egal wie schnell – man wusste, je mehr Kilometer man fuhr, umso mehr vervielfachte sich der Fahrpreis gleichmäßig. War man Rentner oder Kind, gab es einen prozentualen Rabatt, wollte man einen Schnellzug, gab es noch ein en Express-Zuschlag obendrauf. Wer also die vier Grundrechenarten beherrschte, konnte schon zu Hause den Preis ausrechnen und das Geld abgezählt zum Schalter mitbringen.
Dann kamen die Sonderangebote, und das Unheil nahm seinen Lauf. Rabatte für
Rückfahrten am heiligen Sonntag, dann Rabatte für das Nichtreisen freitags und sonntags, Abendreisefestpreise für Langschläfer, Aktionsangebote für „rosarote Elefanten“ – fehlte nur noch ein Rabatt für das „La-Paloma-pfeifen“ im Handstand.
Im Rahmen mehrerer rosaroter Wochen, Monate und Jahre Anfang der 1980er wurde 1987 auch das Angebot „Rosarote Städteverbindung“ eingeführt. Das war der erste Versuch, mit gezielten Billigfahrkarten 100 konkret ausgewählte Züge, die eine geringe Auslastung hatten, mit mehr Fahrgästen zu füllen. Die Angebote galten dann ausschließlich für diesen speziellen Zug, statt bis dato nur auf bestimmte Geltungstage beschränkt zu sein. Damit war der Grundstein für das heute hauptsächlich auf Zugbindungen basierende Sparpreissystem gelegt. Primär dominierten jedoch weiterhin noch pauschale Familien-, Spar- und Supersparpreise ohne Zugbindung, aber mit abenteuerlichen Reisetag-Regelungen.
Dann kam, was kommen musste: 2002, Anna Brunotte und das Preis- und Erlösmanagement Personenverkehr (kurz PEP genannt). Kern dieses neuen Tarifierungssystems war – und ist bis heute – die Kontingentierung und frühzeitige Festlegung auf eine bestimmte, schwach ausgelastete Reiseverbindung, um „preisbewusste Reisende“ aus stark überfüllten Zügen zu locken. Die Idee an sich war ja nicht verkehrt, aber es hapert an der Umsetzung. Insbesondere nachdem die prozentualen Rabatte durch immer mehr Festpreise ersetzt wurden, ist die Preisbildung und Verteilung günstiger Angebote nicht mehr nachvollziehbar. Nachfolgend ein paar Fälle aus dem Fahrgastalltag.
Ein Fahrgast wunderte sich, warum seine Reise zum Normalpreis plötzlich binnen zwei Tagen 24 Euro teurer werden sollte. Ursprünglich wollte er am 22. August von Dresden mit ICE 1542 bis Leipzig und anschließend mit IC 2032 weiter nach Oldenburg (Oldb). Die Reisepläne änderten sich, und die gleiche Fahrt sollte nun am 24. August stattfinden. Da die Fahrkarte nur an zwei Kalendertagen gilt (statt früher mal vier), musste er diese umtauschen. Am Fahrkartenschalter teilte man ihm dann mit, dass exakt die gleiche Verbindung mit exakt denselben Zügen statt ursprünglich 98 Euro nun 122 Euro kosten sollte.
Ganz so exakt gleich waren die Verbindungen dann doch nicht. Der Unterschied lag im Detail. Während die übliche Verbindung mit dem IC 2032 zwischen Leipzig und Magdeburg mit Halten in Halle (Saale) und Köthen erfolgt, wurden am Sonntag die Halte links liegengelassen und umfahren. Damit änderte sich der Wegetext (siehe Abb rechts) auf der Fahrkarte, der den Raum begrenzt, in dem ein Fahrgast von A nach B fahren darf. Und jeder Raum hat seinen Preis. In diesem Fall 24 Euro mehr. Ist der Reisende dadurch schneller am Ziel? Nein. Genießt er einen höheren Komfort? Nein. Rechtfertigt eine andere Aussicht zwischen Leipzig und Magdeburg die Differenz? Nein! Aber erst nach langem Diskutieren und einem Telefonat des Verkäufers bekam der Fahrgast einen Fahrschein mit dem ursprünglichen Preis ausgehändigt.
Es kann immer mal vorkommen, dass z. B. durch Bauarbeiten Züge umgeleitet werden müssen. Mitunter kosten dann die anderen Strecken mehr Geld. Wenn ein Reisender nicht zufällig den alten Preis kennt, bemerkt er nicht einmal, dass er mehr bezahlt. Hier muss jeweils eine Preisanpassung vorgenommen werden. Es darf nicht sein, dass die Fahrgäste für unfreiwillige Umwegfahrten auch noch zusätzlich zur Kasse gebeten werden!
„Teile und herrsche“ lautet eine alte Weisheit, die manchmal auch bei der Bahn funktioniert – was Sparpreise anbelangt. So kann man mit etwas Zeit und Glück zwei Sparpreis-Fahrkarten (Teilstrecke 1 + Teilstrecke 2) miteinander kombinieren und fährt günstiger als mit einem Sparpreis für die Gesamtstrecke derselben Zugverbindung. Wir haben das mal am 28. August 2014 auf bahn.de anhand der Strecke Hamburg—Dresden probiert, und siehe da: Für einen Sparpreis am 3. September von Hamburg nach Berlin im EC 173 zahlte man 29 Euro und das Gleiche für die Strecke von Berlin nach Dresden im selben Zug – zusammen also 58 Euro. Hätte man die Gesamtstrecke gebucht, wäre man mit 69 Euro dabei gewesen. Bei einem Storno wären für zwei Fahrkarten allerdings auch zwei mal 15 Euro Gebühr fällig.
Ein Fahrgast suchte vergeblich von Berlin nach München einen Sparpreis zum günstigsten Tarif für 29 Euro. Gibt es den überhaupt? Ja, haben wir herausgefunden, als wir am 3. September für den 3. Dezember (erster möglicher Buchungstag) für die gewünschte Strecke alle Verbindungen durchsucht haben. Zunächst die direkten ICE-Verbindungen, die der Reisende ja nutzen wollte. Hier war das Günstigste ein Sparpreis für 55 Euro früh um 4.37 Uhr. Die meisten Verbindungen waren für 59 Euro zu haben und einzelne für 69 und 89 und 115 Euro. Nähme man ein oder zwei Umstiege in Kauf, dann stünden an dem Tag sogar zwei Sparpreise für 45 Euro und um 9.34 Uhr sogar ein Sparpreis für 29 Euro zur Verfügung.
Lässt man den ICE mal weg, so gibt es zwei direkte Verbindungen. Tagsüber einen InterCity für 49 Euro und nachts den CityNightLine für 39 Euro mit inkludierter Platzreservierung. Bei bisweilen abenteuerlichen Umsteigeverbindungen (2 bis 4 Mal Umsteigen bei Fahrzeiten zwischen 7,5 und 10,5 Stunden) fanden sich auch drei Verbindungen mit 29 Euro günstigen Sparpreisen.
Betrachtet man die gesamte Palette von insgesamt 55 Preisstufen beim Sparpreis, kann man schon ins Grübeln kommen. Ein normaler Fahrgast weiß nicht, dass er auf langen Strecken bei direkten ICE-Verbindungen fast aussichtslos nach einem 29 Euro-Ticket sucht.
Ein Fahrgast will nach Hamburg, um etwas zu erledigen, und freut sich, noch einen Sparpreis 1. Klasse für nur 39 Euro bekommen zu können. Der elfjährige Sohnemann bekommt Wind davon und will mitfahren. Na gut, denkt sich der liebevolle Familienvater, denn es kostet ja nichts, weil Familienkinder bis 14 Jahre bei den Eltern bzw. Großeltern kostenlos mitfahren, wenn sie auch auf der Fahrkarte stehen. Doch zu seinem Erstaunen kostet die Fahrt nun 49 Euro. Das muss ein Fehler sein, meint der Mann, und ruft bei der DB an. Dort bekommt er zu hören, dass so etwas passieren kann, weil die Sparpreise kontingentiert sind. Obwohl ein Familienkind nichts kostet, muss für alle Personen, die auf ein Sparpreisticket fahren, ein Kontingent vorhanden sein. Bei Vater und Sohn also zwei. Ist von der günstigen Preisstufe aber nur noch eines da, fällt man automatisch in die nächst höhere, wo noch zwei vorhanden sind. (Mehr zum Thema Sparpreis & Kontingentsteuerung siehe SIGNAL 4/2010, auch unter signalarchiv.de)
Ein findiger Fahrkartenverkäufer einer privaten Bahn-Agentur machte auf das Problem aufmerksam, dass für die Verbindung mit dem ICE 693 von Berlin Ostbahnhof nach Frankfurt am Main z. B. für den 16. September inklusive der Schaltergebühr ein Sparpreis für 70 Euro erhältlich war. Eine zeitgleiche Buchung ab Rzepin in Polen mit dem EC 44 und Umstieg in besagten ICE am Ostbahnhof hätte jedoch nur 49 Euro gekostet. Soll das eine versteckte Quersubventionierung internationaler Bahntouristen sein? Denn auch aus anderen Ländern ist eine Fahrkarte teilweise günstiger als bei einer innerdeutschen Fahrt im selben Zug.
Das System hat seine Vorzüge – ohne Frage. Mit Sonderangeboten flexible Reisende in schwach ausgelastete Züge zu locken, ist legitim und ist sinnvoll für die „entlasteten“ Fahrgäste, die auf die Reise zu „vollen Zeiten“ angewiesen sind. Aber die Beispiele zeigen, auch wenn die hier dargestellten Fälle nicht häufig auftreten werden, dass an der Preis- und Steuerungslogik noch gefeilt werden muss. Dass beispielsweise vergleichbare Strecken unterschiedliche Normalpreise haben und internationale Reisen günstiger sind, als eine innerdeutsche Fahrt im selben Zug, darf nicht sein! Eine Reform ist dringend erforderlich. Ein transparentes und leicht verständliches Preissystem ohne viel Schnickschnack muss her. Ein günstiger Basispreis mit Raumbegrenzungen, die alle üblichen Wege zwischen Start und Ziel beinhalten, sollte dabei die Grundlage sein. Darauf kann in zwei, maximal drei Stufen ein Rabatt für schwach ausgelastete Züge gewährt werden. (BfVst)
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 5/2014 (Oktober/November 2014), Seite 22-23