Mecklenburg-Vorpommern

Massiver Widerstand gegen Verkehrspolitik in Mecklenburg-Vorpommern

Wie gewohnt kommen aus Mecklenburg-Vorpommern keine innovativen Signale im Nahverkehr. Die Folgen der Konzeptlosigkeit des Infrastrukturministeriums und der landeseigenen Verkehrsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern (VMV) zeigen sich deutlicher denn je: Tarifverbünde scheitern, zuletzt der WestMecklenburgTarif (WMT), Busse und Bahnen werden nicht aufeinander abgestimmt und serviceorientierte und barrierefreie Bahnunternehmen wie die OLA werden von der VMV rausgeworfen. Nun sollen zum Dezember 2014 der Warnemünde-Express (Berlin—Warnemünde) gestrichen und die Mecklenburgische Südbahn R 3 Hagenow Stadt—Neustrelitz direkt in der Mitte zwischen Parchim und Inselstadt Malchow abbestellt werden. Doch neu ist: Gegen die Pläne regt sich massiver Widerstand.


Tim Zosel, Bürgerinitiative ProSchiene Hagenow—Neustrelitz

13. Okt 2014

Der Terminkalender der Bürgerinitiative Pro-Schiene Hagenow—Neustrelitz (BI) ist seit eineinhalb Jahren gut gefüllt: Jeden letzten Freitag im Monat findet die Rote Laterne statt. Allein beim ersten Aufruf im November 2013 hielten etwa 300 Bürger Mahnwache an den Bahnhöfen der Südbahn und forderten damit die Landesregierung auf, die Abbestellung der Züge zwischen Parchim und Malchow zurückzunehmen.

Bereits viermal wurde vor dem Landtag in Schwerin für den Erhalt der Südbahn demonstriert. Zuletzt gab es gut besuchte Informationsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen zur Zukunft des regionalen Nahverkehrs in Lübz und Plau am See. Bürgermeister demonstrieren und machen deutlich, wie wichtig die SPNV-Anbindung ihrer Kommunen ist.

Zuletzt hat die BI am Bahnhof Lübz ein Protestcamp mit 350 Teilnehmenden veranstaltet (suedbahn-camp.de ) und eine Menschenkette vom Malchower Bahnhof bis zur Drehbrücke organisiert, um damit abermals ihre Forderung nach einer schnellen, vernetzten und barrierefreien Anbindung Südmecklenburgs zu untermauern.

Die Zerschlagung der Südbahn bedeutet nicht nur die Abkoppelung der Tourismusregion Mecklenburgische Seenplatte. Sie widerspricht auch der Daseinsvorsorge und Aufrechterhaltung gleichwertiger Lebensbedingungen sowie dem Regionalen Raumentwicklungsplan Westmecklenburg, in dem sogar eine Sanierung der Strecke vorgesehen ist.

Demonstration in Inselstadt Malchow am 24. August 2014: Mit einer Menschenkette zwischen Bahnhof und Altstadt-Drehbrücke machen etwa 300 Menschen auf die drohende Schließung der Südbahn aufmerksam. Sie fordern den Erhalt der Bahnlinie R 3 als Landbrücke der Kreise Ludwigslust-Parchim und Mecklenburgische Seenplatte mit schnellem Anschluss an die Oberzentren Schwerin und Rostock sowie an die Metropolen Berlin und Hamburg. Gerade in Südmecklenburg brauchen Menschen für die grundgesetzlich verankerten gleichwertigen Lebensverhältnisse verlässliche und nicht „flexible“ Mobilität. Foto: Florian Müller

Den von der BI angemeldeten Zweifeln an den offiziellen Begründungen haben Infrastrukturminister Christian Pegel und sein Abteilungsleiter Rainer Kosmider eine Absage erteilt. Sie weigerten sich sogar, alternative Konzepte ernsthaft zu prüfen, die eine Einbindung von Plau am See vorsahen und die Potenziale der Südbahn berücksichtigten. Doch nicht nur das: Sie haben den Dialog mit den betroffenen Kommunen und den Bürgern einseitig aufgekündigt. Sie sind taub für Kritik an ihren folgenschweren Entscheidungen und lassen nun die Landkreise Ludwigslust-Parchim (LUP) und Mecklenburgische Seenplatte (MSE) das „flexible“ Busersatzkonzept planen. Das sieht so aus: Während die R 3-Züge von Parchim nach Malchow derzeit 55 Minuten benötigen, soll die Busverbindung doppelt so lange benötigen, für Fahrgäste in Plau am See einen Umstieg sowie eine Wartezeit von 20 bis 40 Minuten auf den Anschlussbus (je nach Richtung) bereit halten.

Seit November 2013 findet jeden letzten Freitag im Monat die Aktion „Rote Laterne“ an allen Bahnhöfen der Südbahnlinie R 3 zwischen Hagenow Stadt und Neustrelitz statt. Auch hier am Malchower Bahnsteig sagen Bürger „NEIN“ zur Politik des Infrastrukturministeriums und zum Ende der Bahn nach Parchim. Foto: Tim Zosel

Dabei ist diese Lösung vor allem für zwei Busgesellschaften „flexibel“, die sich ein Stückchen vom Kuchen sichern: Die vom MSE-Kreis beauftragte Personenverkehr GmbH Müritz soll die Linie 22 von Malchow nach Plau am See betreiben und die LUP-kreiseigene Verkehrsgesellschaft Ludwigslust-Parchim mbH die Linie 77 von Plau am See nach Parchim. Anschlüsse zum bestehenden Busersatzverkehr 735 Krakow—Meyenburg werden in Plau ganz „flexibel“ um wenige Minuten verpasst. Trotz dieser enormen Verschlechterung und der massiven Proteste für die Südbahn halten die Herren Pegel und Kosmider unbeirrt an ihren Plänen fest.

Vermutlich zum ersten Mal in Deutschland hat nun am 22. August 2014 ein betroffener Landkreis gegen den SPNV-Aufgabenträger, also die Landesregierung, Klage eingereicht. Durch den Beschluss seines Kreistages versucht der Landkreis MSE beim Schweriner Verwaltungsgericht zu erzwingen, dass die bisherigen Zugleistungen der Südbahn weiterbestellt werden. Der Landkreis LUP hat sich am 2. September 2014 mit einer eigenen Klage angeschlossen. Auch die beiden regionalen Planungsverbände haben die Absicht, Klage einzureichen. Ferner werden ProBahn Mecklenburg-Vorpommern und die BI Individualklagen gegen die Landesregierung unterstützen.

Die Südbahn ist aber nicht der einzige Patzer. Die wiederholten Kürzungen zeigen, wie das Ministerium und die VMV überall im Land den Nahverkehr grundlegend untergraben. Ende 2012 wurden die Bahnlinien S 3 Rostock Hbf—Seehafen Nord und RB 11 Schwerin—Hagenow Stadt eingestellt, auf den Bahnstrecken Rehna—Parchim und R 3 Hagenow Stadt—Neustrelitz wurden Fahrten gestrichen. Ende 2013 wurde das serviceorientierte Bahnunternehmen OLA vom Land daran gehindert, die Linie Bützow—Ueckermünde Stadthafen mit barrierefreien Talent-Zügen weiter zu betreiben. Das Ergebnis: massive Behinderungen beim Ein- und Ausstieg vor allem für Rollstuhl- und Radfahrer.

Hier drückt der Schuh (!): Warnemünde-Express und Südbahn (R 3) zwischen Parchim und Malchow sowie Waren und Neustrelitz sollen eingestellt werden, in Langhagen fehlt jegliche Verknüpfung zwischen Bahn und Bus und in Neubrandenburg drohen die Bahnsteige eingekürzt zu werden. Hintergrundbild: RE 5 und R 3 im Bahnhof Waren (Müritz) Zeichnung und Foto: Tim Zosel

Ende 2013 kollabierten darüber hinaus die Tarifverbünde Westmecklenburg (WMT) und Müritz-Oderhaff (VMO), in denen sich Bus- und Bahnunternehmen zusammengeschlossen hatten, um gemeinsame Tickets anzubieten. Das Ministerium unternimmt keinen Versuch der Rettung oder des Ausgleichs. Auf einen Schlag verliert der ÖPNV in den Kreisen Ludwigslust-Parchim, Nordwestmecklenburg, Schwerin sowie Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald (und damit fast im gesamten Land) an Attraktivität. Für viele Menschen wird ÖPNV umständlicher und teurer. Beim Umstieg von der Bahn auf den Bus muss stets ein neues Ticket gekauft werden. Urlauber, Tagestouristen und Tagungsgesellschaften suchen sich andere Regionen aus, die Nahverkehr als Standortfaktor begreifen, während in Mecklenburg-Vorpommern die Fahrgastzahlen weiter sinken.

Selbst auf Hauptstrecken wie Berlin—Rostock wird gekürzt: Der Warnemünde-Express soll ab Dezember 2014 eingestellt werden. Dabei haben sich Berliner, Brandenburger und Mecklenburger nach Abschluss des 850 Millionen Euro teuren Ausbaus auf Fahrzeitverkürzungen an die Ostsee und in die Hauptstadt gefreut. Jahrelang hatte das mecklenburgische Ministerium sich für diesen Ausbau eingesetzt. Jetzt maßt sich die VMV an, auf dem RE 5 Lutherstadt Wittenberg—Rostock gar keine Fahrtzeitverkürzungen vorzunehmen. Dabei könnten Verbindungen von Berlin und Waren (Müritz) nach Bad Doberan oder Ribnitz-Damgarten bis zu einer Stunde schneller sein.

Doch Ministerium und VMV wollen nur langsamen Nahverkehr bestellen. Sie argumentieren, dass schneller Nahverkehr als Fernverkehr zu verstehen sei und damit nicht in ihre, sondern in die Zuständigkeit des Bundes falle.

Anders hingegen die Verkehrsminister Winfried Hermann in Baden-Württemberg und Olaf Lies in Niedersachsen: Sie haben erkannt, dass die Mobilitätsbedürfnisse durch ein mangelhaftes Fernverkehrsangebot nicht hinreichend gestillt werden und finanzieren durch ein sogenanntes Kooperationsmodell den Fernverkehr mit. Die inzwischen bekannt gewordene bedrohliche Lage des privaten Fernzuges InterConnex Rostock—Leipzig (siehe Seite 30) zeigt, wie wichtig die Unterstützung des Landes in solchen Kooperationsmodellen wäre.

Neben der Begleitung des Klageverfahrens hat die BI zusammen mit ihren Partnern eine Petition auf change.org gestartet, in der sie das Infrastrukturministerium und die VMV auffordert, die Arbeit endlich gewissenhaft wahrzunehmen und die desaströse und ideenlose Politik des Infrastrukturabbaus zu beenden. Konkret wird darin u. a. gefordert:

Weit mehr als 1000 Unterzeichner sprechen sich bereits für einen besseren Nahverkehr aus, indem sie die Petition unterstützen. Es dürften noch viel mehr werden. Die BI und ihre Partner laden darüber hinaus Ende Oktober/Anfang November zum Bahnhofsfest nach Lübz ein und empfehlen ausdrücklich die Anreise mit der Südbahn R 3.

Unterstützen Sie die BI im Ringen um einen besseren Nahverkehr in Mecklenburg-Vorpommern. Gerade für Berlin/Brandenburg und den Hamburger Raum ist die Erreichbarkeit von Ostsee und Seenplatte akut gefährdet. Zeichnen Sie deshalb bei der Petition mit: change.org/p/minister-pegel-verbessern-sie-den-nahverkehr-in-mecklenburg-vorpommern
Die Bürgerinitiative ProSchiene Hagenow—Neustrelitz ist erreichbar über proschiene-hagenow-neustrelitz.de und zusätzlich auf Facebook vertreten. Sprecher sind Monika Göpper und Clemens Russell.

Tim Zosel, Bürgerinitiative ProSchiene Hagenow—Neustrelitz

aus SIGNAL 5/2014 (Oktober/November 2014), Seite 26-27