Stadtverkehr
Die „Elektrische“ erreicht den Berliner Hauptbahnhof
5. Feb 2015
Endlich! Seit dem 14. Dezember 2014 fährt die Berliner Straßenbahn zum Hauptbahnhof. Übrigens war hier die Geburtsstätte aller elektrischen Bahnen, denn Werner von Siemens präsentierte 1879 auf der Gewerbeausstellung am damaligen Lehrter Bahnhof (auf dem Gelände des heutigen Hauptbahnhofes) eine Zugmaschine, deren Stromversorgung über die Schienen erfolgte. Die anschließende Erfindung des Dach-Stromabnehmers sorgte schließlich für den Durchbruch und ermöglichte den Ersatz der Pferdebahn durch die „Elektrische“. Auf über 600 km erstreckte sich einst das Berliner Straßenbahnnetz, welches heute auch 25 Jahre nach dem Mauerfall trotz zahlreicher Versprechen und Ankündigungen aus der Politik noch immer weniger als 200 km misst.
Ein erster Schritt zur besseren Erschließung des Hauptbahnhofs – geplant einst für 2006 zu dessen Fertigstellung – ist nun aber getan. Die Straßenbahnlinie M 5 wurde vom Hackeschen Markt über die Oranienburger Straße, Chausseestraße und Invalidenstraßen über den Hauptbahnhof bis Alt-Moabit/Lüneburger Straße verlängert und verkehrt tagsüber vorerst alle 10 Minuten. Trotz der parallelen schnelleren S-Bahn wird die Strecke bereits nach wenigen Wochen von etwa 8000 Fahrgästen täglich genutzt, denn sie erschließt nicht nur die gastronomisch und touristisch bedeutsame Oranienburger Straße, sondern
Zur rechtzeitigen Fertigstellung der neuen Haltestelle am Hauptbahnhof hat es allerdings nicht gereicht. Das extravagente Haltestellendach wurde teilweise auf dem Tunnel der künftigen S 21 errichtet, so dass der Bau auch vom Eisenbahn-Bundesamt genehmigt werden musste. Die schwere Betonkonstruktion war dabei nicht nur in der Berechnung, sondern auch im Bau äußerst aufwendig. Eine spezielle Betonmischung soll dafür sorgen, dass alle Anforderungen erfüllt werden.
Die Verzögerung sorgte dafür, dass für die Eröffnung am 14. Dezember ein Provisorium geschaffen werden musste. Die Züge halten nun westlich der eigentlichen Haltestelle und durchfahren die Baustelle der künftigen Haltestelle eingleisig.
Der zweite Eröffnungsschritt soll voraussichtlich im August 2015 erfolgen, wenn der noch fehlende Teil der Strecke in der Invalidenstraße zwischen Nordbahnhof und Naturkundemuseum sowie die Haltestelle Hauptbahnhof fertiggestellt sind und die Linien M 8 (alle 10 Minuten) und M 10 (alle 5, nachts alle 15 Minuten) ebenfalls zum Hauptbahnhof verlängert werden. Doch zuvor muss die bereits eröffnete Strecke für Restarbeiten noch einmal 4 bis 6 Wochen gesperrt werden. Außerdem wurde ab 19 Januar für zwei Wochen abends ein Bus-Ersatzverkehr zum Abbau der Verschalung des neuen Haltestellendaches am Hauptbahnhof gefahren.
Anders als zur Eröffnung im Dezember 2014 soll nach der Fertigstellung des Abschnitts Nordbahnhof—Naturkundemuseum im August 2015 auch groß gefeiert werden. Kein Anlass zum Feiern ist allerdings die dann auf dem Abschnitt zum Hauptbahnhof geplante Ausdünnung der M 5 vom jetzigen 10- auf einen 20-Minuten-Takt – wie früher auf der M 6 zur Schwartzkopffstraße. Diese Entscheidung sollte der Senat angesichts steigender Fahrgastzahlen unbedingt revidieren. Außerdem sollte die Einführung eines Straßenbahn-Nachtverkehrs auf diesem Abschnitt geprüft werden.
Mit der Durchbindung von M 8 und M 10 zum Hauptbahnhof plant die BVG, die Buslinie 245 vom Nordbahnhof zum Robert-Koch-Platz zurückzuziehen. Dabei sind die Betriebsprobleme rund um den Hauptbahnhof bisher ungelöst. Die BVG sucht eine neue Endhaltestelle für ihre Busse der Linien 123 und 245, die aus westlicher Richtung kommend künftig am Hauptbahnhof enden sollen. Auch die provisorische Haltestelle der Linie M 41 (und künftig M 85) auf dem Busparkplatz ist keine zukunftsfähige Lösung für einen attraktiven ÖPNV. Zudem müssen die Fahrten der umgeleiteten Linie 12 zwischen Zionskirchplatz und Oranienburger Tor ersetzt werden, die hier derzeit die Linie M 1 verstärkt und künftig wieder ihre eigentliche Linienführung über den Nordbahnhof erhelten soll.
„Vergessen“ wurden bisher auch mögliche Umsteiger Richtung Flughafen Tegel zum Bus TXL. Denn wegen der S 21-Baustelle am Hauptbahnhof (Sperrung Friedrich-List-Ufer) wird die Linie auf unbestimmte Zeit vom Washingtonplatz direkt zur Straße Alt-Moabit umgeleitet und erreicht so nicht die eigentliche Umsteigehaltestelle auf der Nordseite des Hauptbahnhofs. Wer von der Straßenbahn zum TXL will, muss zunächst eine Fahrbahn der Invalidenstraße überwinden, dann den gesamten Bahnhof durchqueren und schließlich noch die südliche Platzfläche durchschreiten, um die TXL-Haltestelle zu erreichen – das sind etwa 400 Meter durchs Menschengewühl. Dabei wären an der Straßenbahnendhaltestelle Lüneburger Straße, in Mittellage der Straße Alt-Moabit, kurze Umsteigewege möglich, wenn es dort eine entsprechende Bushaltestelle gäbe.
Angesichts schon heute hoher Fahrgastzahlen zwischen Berlin Mitte und Moabit und der absehbaren erheblichen baulichen Verdichtung im Umfeld des Hauptbahnhofs muss dringend mit dem Planfeststellungsverfahren für die Straßenbahn-Verlängerung nach Westen angefangen werden, anstatt die ohnehin unzureichenden Planungskapazitäten für zweifelhafte Phantasien einer U1-Verlängerung zum Ostkreuz zu binden.
Schon der Erfolg der Teileröffnung zeigt, wie viel Potenzial in der Straßenbahn steckt, das durch den zögerlichen Ausbau bisher ungenutzt verloren geht. Die weitere Verlängerung vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße, besser gleich bis zur Beusselstraße, kann daher auch nur eine weitere Zwischenetappe im überfälligen Netzausbau sein. Denn eine gut angenommene Straßenbahnstrecke bietet das beste Nutzen-Kosten-Verhältnis und leistet damit eine effektiven Beitrag zur Wirtschaftlichkeit der BVG. (ge, af)
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 1/2015 (Februar/März 2015), Seite 4-6