Stadtverkehr
Bus und Straßenbahn fahren oft vor dem Fahrplan
5. Feb 2015
Oft beklagen Verkehrsunternehmen, dass sie Verspätungen ihrer Busse und Straßenbahnen in der Regel nicht vermeiden könnten, da diese aufgrund des „Mitschwimmens“ im Straßenverkehr zahlreichen äußeren Einflüssen unterliegen. Hierfür lässt sich auch Verständnis aufbringen. Das gilt aber nicht für das zu frühe Abfahren von Bussen und Bahnen. Die Verantwortung hierfür liegt allein beim Verkehrsunternehmen.
Doch ab wann ist eigentlich ein Verkehrsmittel „zu früh“ von der Haltestelle abgefahren? Aus Gesprächen mit Fahrpersonal, Schriftverkehr mit Verkehrsunternehmen sowie Regelungen in Verkehrsverträgen ist erkennbar, dass oft eine allzu fahrgastfeindliche Sicht vertreten wird – zum Beispiel bei der BVG.
Erste Verfrühungen gibt es teilweise schon zum Beginn der Fahrt. So ertönt zum Beispiel in den Straßenbahnen vom Typ Flexity bereits 1 Minute vor der Abfahrtzeit ein stetig stärker nervender Ton, der sich nur durch (zu frühe) Abfahrt abschalten lässt.
Im Fahrtverlauf kann der Fahrer die aktuelle Fahrplanlage von einem Display, auf 30 Sekunden gerundet, ablesen. Die neueren Geräte in den Bussen bilden sogar zusätzlich die Sollabfahrtzeit der nächsten Haltestellen ab. Diese technischen Hilfen bringen natürlich nichts, wenn es Fahrer gibt, die die persönliche Ansicht vertreten, dass bis zu drei Minuten zu früh vertretbar seien. Besonders mit Blick auf Umsteigehaltestellen, doch auch im Allgemeinen, ist das nicht hinnehmbar. Hier sollte die Leitstelle schneller eingreifen und den Fahrer zum „Abstehen“ der Verfrühung auffordern. Eine angepasste Fahrweise kann dafür sorgen, dass erst gar keine Verfrühung entsteht.
Häufig vertreten ist die Meinung, „man müsse ja an einigen Haltestellen zu früh abfahren, da im weiteren Linienverlauf Minuten fehlen“. Doch dieses aktive Nachsteuern eines schlecht geplanten Fahrplans sollten nicht jene Kunden ausbaden, die an den Zwischenstationen die Bahn oder den Bus verpassen. Es verhindert zudem, dass die Fahrplanabteilung Probleme erkennt und nachsteuern kann.
Ein aktuelles Beispiel findet sich an der Kreuzung Prenzlauer Promenade/Am Steinberg. Die Vorrangschaltung ist außer Funktion und die Ampelanlage arbeitet im Festumlauf. Das bedeutet, dass das Ampelprogramm alle Phasen nacheinander abarbeitet, egal ob gerade eine Straßenbahn oder ein Bus kommt. Leidtragend ist hier vor allem der Autoverkehr stadtauswärts, der Grünzeit verliert, weil ständig Phasen für Phantomstraßenbahnen geschaltet werden – insofern ist es verwunderlich, dass die Anlage nicht kurzfristig repariert wurde. Doch ebenso leidet die Straßenbahn, die die Phase nun nicht mehr bedarfsgerecht bei der Annährung – und nur dann (!) – erhält. Die Verstärkerfahrten der M 2 beginnen eine Haltestelle zuvor. In Kenntnis dieser Problematik, fahren nun Am Steinberg noch mehr Fahrer „vor Plan“ ab, um nicht schon nach der zweiten Haltestelle „zu spät“ zu sein. Doch wenn die Phase gerade passt, dann treffen sie plötzlich schon 2 Minuten vor der Abfahrtzeit an der Ostseestraße ein.
In der zuletzt veröffentlichten Fassung des BVG-Verkehrsvertrages gilt eine Abfahrt von einer Haltestelle als unpünktlich, wenn sie „über 1,5 [Minuten] vor veröffentlichter fahrplanmäßiger Zeit“ stattfand.
Ein ebenfalls sehr interessanter Aspekt ist, dass die BVG einen Anreiz hat, an einigen Linienenden unnötig Fahrzeit einzuplanen (solange hierdurch kein zusätzlicher Umlauf nötig wird), da die BVG aus einer Mischung aus Kilometern und Fahrplanstunden ihre Ausgleichsleistung vom Senat erhält. Und ist eine Fahrzeitdehnung im Linienverlauf (mit zusätzlichem Umlauf) erst einmal langwierig genehmigt, dann wird sie beibehalten, denn Vorrangschaltungen, die nach langjährigem Betteln bei der Verkehrslenkung endlich aktiviert werden, sind oft nach wenigen Tagen oder Wochen ohne Gründe wieder abgeschaltet. Insofern behält die BVG das „Polster“ lieber, als es sich erneut genehmigen zu lassen.
Gar merkwürdige Stilblüten treibt der Schriftverkehr zwischen Fahrgästen und dem sogenannten BVG-Kundenservice. Aus mehrfachen Beschwerden von verschiedenen IGEB-Mitgliedern geht hervor, dass für die BVG eine Verfrühung von bis zu 2 Minuten nicht nur tolerabel, sondern auch völlig in Ordnung ist. Insbesondere in den Abendstunden sind Verfrühungen von 1 bis 2 Minuten mancherorts eher die Regel als die Ausnahme. Und auf der letzten Linienfahrt – mit anschließendem Einrücken zum Betriebshof –werden gar wundersame Dinge möglich. Da taucht ein pünktlich prognostizierter Bus in Ausnahmefällen auch schon mal 5 Minuten vor der planmäßigen Abfahrtzeit auf und ein Ausstieg an der Endstation geht plötzlich auch ohne Haltestelle, wenn für die Anfahrt der korrekten Halteposition ein Umweg nötig wäre.
Aus IGEB-Sicht ist die Auffassung von „Verfrühung“ im Verkehrsvertrag sowie bei der BVG und einigen Mitarbeitern zu fahrgastfeindlich. Wenn an der Haltestelle beispielsweise die Abfahrtzeit 05 angeschrieben ist, ist eine Abfahrt zur Minute 03, egal mit welcher Sekunde, nicht akzeptabel. Zur Minute 04 wäre eine Abfahrt bei besonderer Umsicht des Fahrpersonals tolerabel, wenn beispielsweise durchgefahren wird, weil kein Fahrgastwechsel erfolgt oder eine betriebliche Notwendigkeit, etwa durch eine Behinderung des nachfolgenden Verkehrs, besteht. Eine Lösung wäre, die Fahrzeit zwischen großen Umsteigepunkten möglichst kurz zu halten und an den Umsteigepunkten, zumindest dort, wo das betrieblich möglich ist, Fahrzeitreserven einzuplanen.
An Umsteigepunkten, auch an kleineren, darf jedoch keinesfalls vor der veröffentlichten Zeit abgefahren werden – insbesondere dann nicht, wenn noch knappe Anschlüsse möglich sind. Das Rechnergestützte Betriebsleitssystem (RBL) könnte so programmiert werden, dass die Abfahrtzeit an bestimmten Haltestellen quittiert werden muss. Mit technischen Mitteln muss dem Fahrer jede Verfrühung ab 30 Sekunden deutlich angezeigt werden. Die Fahrplanabteilung sollte alle Verfrühungen systematisch auswerten und den Fahrplan, wenn nötig, anpassen.
Doch technische Mittel allein reichen nicht aus. Eine Sensibilisierung der Fahrer muss kontinuierlich durchgeführt werden, denn durch eine angepasste Fahrweise können nicht nur die für die Fahrgäste so ärgerlichen Verfrühungen vermieden werden, sondern Energie – und damit Geld – gespart werden. (ge)
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 1/2015 (Februar/März 2015), Seite 10-11