Berlin

Zeitreise durch Berlin

Manche Berliner Touristenführer führen einen in altehrwürdige Gebäude oder zu historischen Orten, und man gewinnt den Eindruck, man habe eine Zeitreise gemacht. Es geht jedoch auch einfacher und billiger: mit Bus und Bahn zum Normaltarif. Begleiten wir also Max auf seiner abenteuerlichen Zeitreise durch Berlin.


Michael Uhlemann

5. Feb 2015

Max beginnt seine Reise am Friedrich-Wilhelm-Platz. Die Uhr im Bahnhof zeigt 17.26 Uhr, als die U 9 Richtung Osloer Straße abfährt. Zum Zoo braucht die Bahn acht Minuten, der Regionalexpress Richtung Alexanderplatz um 17.41 Uhr sollte also gut zu erreichen sein. Die Bahn fährt zügig, es gibt keinerlei Verzögerung. Ankunft am Zoo, Max steigt aus, geht direkt zur Treppe nach oben. Doch was ist das? Es ist bereits 17.40 Uhr! Hätte es nicht erst 17.34 Uhr sein dürfen? Egal, weniger als eine Minute zum Umsteigen ist nicht zu schaffen.

Da es bei der S-Bahn gerade eine Störung gibt, macht Max gleich kehrt zur U 2 Richtung Pankow. Nach einigen Minuten braust ein HK-Zug in den Bahnhof. Max steigt ein,

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setzt sich, die Bahn fährt los. Langsam schweift sein Blick umher und bleibt an der Zugzielanzeige hängen, die zwischendurch immer wieder die Uhrzeit anzeigt: 17.30 Uhr. Moment! Vier Minuten vom Friedrich-Wilhelm-Platz in die U 2? Das ist sportlich! Demnach hätte Max den Regionalexpress am Zoo ja doch noch gut bekommen. Hier stimmt was nicht. Am Wittenbergplatz ist auch eine Uhr, sie zeigt – 17.40 Uhr.

Die Fahrt geht weiter. Draußen ist es schon dunkel, man sieht eh nichts mehr, also macht sich Max so seine Gedanken. Bis zum 19. Jahrhundert wurden die Uhren nach dem Sonnenstand gestellt. Erreichte die Sonne im Tagesverlauf ihren höchsten Stand, war es 12 Uhr. Da die Erde eine Kugelgestalt hat und sich um ihre Achse dreht, erreicht die Sonne im Osten Deutschlands früher ihren Höchststand als im Westen, wo es also abends auch später dunkel wird. Der Zeitunterschied kann über eine halbe Stunde betragen. Das heißt, die Uhren in Aachen gingen über eine halbe Stunde den Uhren in Görlitz nach.

S-Bahnhof Pankow. Der spezielle DB-Service für zeitlos glückliche Menschen. Foto: Florian Müller

Der Zeitunterschied zwischen dem östlichsten und dem westlichsten Punkt Berlins beträgt immerhin 2 Minuten und 45 Sekunden. Sollte etwa die Uhr dieser Bahn deswegen nachgehen, weil sie im westlich vom Zoo gelegenen Ruhleben gestellt worden ist? Unwahrscheinlich, denn seit dem 1. April 1893 gilt in ganz Deutschland die Mitteleuropäische Zeit. Sie wurde eingeführt, weil die Eisenbahn das Problem hatte, dass sich Fahrpläne mit örtlich unterschiedlichen Uhrzeiten nicht gestalten ließen. Zunächst wurde daher eine „Eisenbahnzeit“ eingeführt, die die Fahrplangestaltung erleichterte, aber das Problem nicht behob, dass die Reisenden nach jeder Reise die Uhren verstellen mussten. Um auch diesem Problem Herr zu werden, wurde die Erde in Zeitzonen eingeteilt und in Deutschland die Mitteleuropäische Zeit eingeführt. Es war also gerade die Eisenbahn, die eine exakte und einheitliche Uhrzeit notwendig machte.

Mittlerweile ist Max am Spittelmarkt angekommen und hat eigentlich keine Lust mehr, sich darüber zu ärgern, dass ausgerechnet ein Bahnbetrieb mit der Zeitrechnung nicht klarkommt. Es bietet sich an, zur Abwechslung mit dem Bus 248 zum Südkreuz zu fahren. Dieser soll um 18.00 Uhr fahren. Noch sechs Minuten bis zur Abfahrt. Kein Problem. Der Fußweg dauert drei Minuten. Doch an der Ampel rauscht ein gelber Bus vorbei, auf dem Linienschild steht 248! Aha, gibt es neben der Eisenbahnzeit also auch eine Buszeit, die gegenüber der gesetzlichen Zeit fünf Minuten vorgeht? Verfrühte Busse gehören in Berlin zum ärgerlichen Alltag, doch vielleicht geht ja auch nur die Uhr von Max falsch. Also gut. 25 Minuten Warten ist angesagt, vielleicht hat der Busfahrer des nächsten Busses auch die Buszeit eingestellt, dann sind es nur 20 Minuten. Am Ende sind es 27 Minuten, weil der Bus zwei Minuten gegenüber der gesetzlichen Zeit verspätet ist.

Die Busfahrt verläuft ohne weitere Vorkommnisse. Am Südkreuz möchte Max zur Ringbahn, um zum Bundesplatz zu kommen. In der Bahnhofhalle zeigt die Uhr 18.50 Uhr. Auf dem Ringbahnsteig angekommen fällt ihm die „Mobilitätsdrehscheibe“ auf und darunter der Spruch: „Sehen Sie mit uns bald in die Zukunft“. Die riesige Uhr aber zeigt 18.44 Uhr! Uhrenvergleich mit der am S-Bahnsteig: Sie ist kleiner und zeigt 18.52 Uhr!

Aha! Bei der Bahn ist der Blick in die Zukunft also die Vergangenheit. Das ist eigentlich keine Neuigkeit. Hoffentlich nur vertraut kein Bahnreisender dieser Uhr. Ob er bei Verpassen des Zuges durch eine um acht Minuten nachgehende Bahnhofsuhr wohl von seinen Fahrgastrechten Gebrauch machen kann? Wäre ja schließlich Bahnverschulden.

Vielleicht sind ja deshalb in den Zwischenebenen am Hauptbahnhof keine Uhren aufgehängt worden … Grübelnd begibt sich Max zur S 41, die ihn zum Bundesplatz bringt. Dort scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Zeiger der Bahnhofsuhr bewegen sich nicht. Dennoch macht sich bei Max eine wohltuende Erleichterung breit. Endlich, endlich zeigt mal eine Uhr die korrekte Zeit: Es ist fünf vor zwölf!

Michael Uhlemann

aus SIGNAL 1/2015 (Februar/März 2015), Seite 12