Ländlicher Busverkehr
Beratung für Akteure vor Ort in Baden-Württemberg
5. Feb 2015
Die schwierige Lage des öffentlichen Verkehrs abseits der Ballungsräume ist hinreichend bekannt: Hohe Motorisierung, ein in absoluten Zahlen geringeres Fahrgastpotenzial sowie dessen Verteilung auf viele kleine Siedlungen und disperse Verkehrsbeziehungen sind – sehr kurz zusammengefasst – die Randbedingungen. Zusätzliche Herausforderungen gibt es durch den viel diskutierten „demografischen Wandel“, die prekäre Haushaltslage vieler Kreise und Kommunen und die anhaltende Unsicherheit über die künftige Finanzierung des ÖPNV in Deutschland.
Die Branche steht also insgesamt vor großen Schwierigkeiten. Während aber der ÖPNV in Ballungsräumen anerkannt ist, vom Wertewandel profitiert und relativ effizient betrieben werden kann, führt er auf dem
Land ein Schattendasein und riskiert weitere Marginalisierung. Stadt und Land brauchen daher unterschiedliche Maßnahmen. Auf dem Land geht es besonders darum, die Wirtschaftlichkeit der Angebote zu verbessern
Diese Aufgaben sind für die etablierten Akteure oft ungewohnt. Dabei ist es sowohl eine Chance wie eine Schwierigkeit, dass viele Sektoren (etwa Gesundheit, Einzelhandel, soziale Dienste) im ländlichen Raum vor demselben Problem (geringe Nachfragedichte) stehen. Bisher versucht oft jeder dieser Sektoren, das Problem für sich und anhand seines altbewährten Instrumentariums zu lösen.
Um hier neue Wege zu gehen und die Zusammenarbeit in neuen Konstellationen zu erleichtern, hat das Verkehrsminsterium Baden-Württemberg 2014 das „Kompetenzzentrum innovative Angebotsformen im ländlichen Raum“ bei der landeseigenen Nahverkehrsgesellschaft eingerichtet. Das Zentrum soll als Ideengeber, Berater und Kontaktstelle dienen. Dieses Angebot richtet sich an Kommunen und Kreise (als Aufgabenträger), Verkehrsunternehmen und Verbünde, aber darüber hinaus auch an andere Akteure in der ländlichen Mobilität – etwa Bürgerbusvereine oder weitere Mobilitätsanbieter. Dabei ist die lokale Arbeit zwar wichtig, aber nicht auf diese Ebene beschränkt. Vielmehr sind zugleich enge Kontakte zu Ministerien und Fachbehörden sowie der Politik erforderlich. Die vier Arbeitsfelder des Zentrums sind daher:
Die Chancen des ÖV werden durch zahlreiche Faktoren beeinflusst, die auch jenseits der Verkehrspolitik liegen (z. B. Regionalentwicklung, Bildungsplanung, Steuerrecht oder Soziales). Das Zentrum sieht daher eine seiner Aufgaben darin, in den geeigneten politischen und fachlichen Gremien über das Themenfeld ländliche Mobilität zu informieren und Bewusstsein für die anstehenden Aufgaben wie auch Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen.
Gemeinsam mit Akteuren der Praxis soll das Zentrum dazu beitragen, neue Konzepte für den ÖPNV zu entwickeln und zu erproben. Im Mittelpunkt stehen dabei Maßnahmen für die Fläche, für Zeiten schwacher Verkehrsnachfrage und die weitere Differenzierung des Angebots. Neben der Innovation soll das Zentrum auch über schon bestehende Ansätze und Randbedingungen informieren und so dazu beitragen, den mit Änderungen verbundenen Planungs- und Arbeitsaufwand vor Ort zu begrenzen. Dabei wird das konkrete Vorgehen jeweils im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten anhand des Themas entwickelt.
Mobilität betrifft viele Aspekte des täglichen Lebens. Für den ländlichen Raum gilt dies in besonderem Maße, da hier wegen der geringeren Dichte an Einrichtungen mehr Mobilität nötig ist, um Aktivitäten durchzuführen. Oftmals kennen sich die im Verkehrswesen vor Ort tätigen Akteure und haben einen Überblick, was in ihrem Gebiet geschieht. Für den Blick über die eigene Region hinaus fehlen dagegen oft Zeit oder Gelegenheit. Dasselbe gilt für den Blick über den „fachlichen Tellerrand“ des eigenen Arbeitsgebiets. Das Zentrum versteht sich daher auch als Einrichtung, die Kontakte vermittelt und Gelegenheit zum Austausch bietet. Dies gilt sowohl für die Kommunikation vor Ort wie für den überörtlichen Austausch. Dazu werden öffentliche wie interne Veranstaltungen durchgeführt und themenspezifische Foren eingerichtet.
Das Zentrum steht für die Begleitung von Forschungsvorhaben in seinem Zuständigkeitsbereich zur Verfügung und führt nach Bedarf eigene Studien durch. Dabei sieht es sich in erster Linie als Partner für Akteure aus Baden- Württemberg; es unterstützt aber auch die überregionale und internationale Zusammenarbeit.
Inhaltlicher Schwerpunkt sind bisher ehrenamtliche Verkehrsdienste (Bürgerbusse und Bürgerrufautos), deren Zahl besonders in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Diese Entwicklung soll durch geeignete Maßnahmen zur Beratung und Förderung systematisch unterstützt werden.
Baden-Württemberg ist nicht das einzige Bundesland, das sich dem Thema Bürgerbus widmet, gehört aber mit der Einrichtung einer auf den ländlichen ÖV insgesamt gerichteten Position sicher zu den Vorreitern. Neben dem direkten Kontakt mit zahlreichen lokalen Initiativen hat sich das Zentrum seit seiner Gründung bereits an mehreren Forschungsprojekten beteiligt und einige landespolitische Initiativen mitgestaltet, über die in den Jahren 2015/2016 etwa 2 Mio. Euro zusätzlich für die Förderung ländlicher Mobilitätskonzepte zur Verfügung stehen werden. Die Landesebene hat sich dabei als sehr sinnvoll erwiesen, um einerseits Einfluss auf die Rahmenbedingungen nehmen zu können und andererseits den Kontakt zur lokalen „Basis“ und den dortigen Bedürfnissen nicht zu verlieren.
Martin Schiefelbusch, Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg
aus SIGNAL 1/2015 (Februar/März 2015), Seite 15