Nahverkehr

Wie leise ist die Straßenbahn?

Schienenverkehrsmittel, insbesondere Straßenbahnen, gelten von den technischen Möglichkeiten her als leise. Der Glaube daran wird leider immer wieder erschüttert. So hatte die aufwendige und insgesamt auch anerkennenswerte Modernisierung der Tatras einen unschönen Nebeneffekt: der von diesen Wagen an die Umgebung abgegebene Körperschall hat zugenommen. Warum nur?


IGEB, Abteilung Stadtverkehr

1. Nov 1998

Ein Hauseigentümer in Prenzlauer Berg wundert sich über rieselnden Putz und erhebliche Schlafdefizite. Nach einigen Messungen stellte er fest, daß der vorhandene Eindruck eines gestiegenen Geräuschpegels (auf nicht mehr taufrischen Großverbundplatten) vorbeifahrender Straßenbahnen den Tatsachen entspricht. Zwar hat sich der unmittelbar von Passanten und Fahrgästen wahrnehmbare Luftschall nach der Modernisierung reduziert, die Erschütterungen gegenüber dem Erdreich und damit auf die umliegenden Gebäude sind stärker geworden.

Vermutete Ursache: der Gummiring zwischen innerem Radkörper und außen liegendem Radreifen ist hinsichtlich des Ringspaltes zwischen beiden zu gering dimensioniert. Der Gummi ist damit nicht in der Lage, Walkarbeit zu leisten, die nötig ist, um Schwingungen im Rad abzubauen. Beim alten Tatra-Rad war dieser Spalt ausreichend. Als notwendiges Mindestmaß gelten 3 Millimeter. Mehr wäre besser.

Damit die üblichen "Mißverständnisse" ausbleiben: der Umbau insbesondere der Tatra-Drehgestelle war natürlich notwendig, um die ungefederten Massen im Drehgestell zu minimieren, den Wartungsaufwand zu senken und die Laufgüte des Wagens zu verbessern. Das Ziel der Geräuschminderung allerdings ist leider nur bedingt erreicht worden. Dieses ist aber nicht unmöglich, wenn man sich andere Fahrwerks Varianten ansieht.

Auffallend ist zum Beispiel der positive Eindruck der modernisierten Wagen in Cottbus, die mit der Kombination Megi-Federung und Original-Tatrarad akustisch so gut wie gar nicht wahrzunehmen sind.

In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung mit Meßergebnissen wird eine minimale Verringerung des Schalls konstatiert. Abgesehen davon, daß hier offenkundig nur der Luftschall gemessen wurde, werden auch relativ neuwertige Gleise betrachtet. Beim heutigen Stand der Technik sollte man aber auch in der Lage sein, selbst auf verschlissenem Gleisbau zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen.

Ringspalt zu klein? Bei alten Tatra-Rädern (oben) war er größer als bei den neuen. Foto: IGEB-Archiv

Wenn die Marketingargumente "leise" und "umweltschonend" dem Vergleich mit der Realität standhalten sollen, ist es unumgänglich, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Die BVG hatte eigene Messungen vorgenommen, deren Glaubwürdigkeit von dem erwähnten Hauseigentümer aber angefochten wird. Die angeschriebene Industrie verweist auf die Bestellungen der Verkehrsbetriebe, wo die Parameter der Räder vorgegeben waren. Wie dem auch sei, man sollte nach Lösungen suchen.

Es wäre realitätsfremd, eine sofortige Umrüstung aller Wagen zu verlangen. Wir erwarten aber, daß die BVG genügend Problembewußtsein aufbringt und Neubeschaffungen oder größeren Instandsetzungen andere, geeignetere Räder einsetzt.

Unabhängig von der Räderproblematik fallen bei dieser konkreten Angelegenheit wieder einige Eigenheiten des Niederflurwagens GT6 auf, die nicht gerade zur Geräuschminderung im Alltag beiträgt. Neben kaum zu überhörenden Geräuschen von Getriebe und Stromrichtern sorgt eine weitere Besonderheit dieses "Erfolgstyps" für Verdruß. Er neigt aus naheliegenden Gründen erheblich zur Verriffelung der Radreifen, also der Bildung vieler kleiner Flachstellen. Da nur drei von sechs Radpaaren angetrieben und gebremst werden, ist selbst bei günstigen Schienenverhältnissen und normaler Beschleunigung oder Verzögerung ein gewisser Drang zum Schleudern und Blockieren zu beobachten. Da der Gleitschutz natürlich erst nach Beginn des Blockierens, also mit einer geringen Verzögerung einsetzt, können sich kleinere Abdrücke auf der Oberfläche des Radreifens bilden. Und diese hört man nun einmal - das "bahntypische klack-klack" eben. Und schon ist es zusätzlich zu den erwähnten Rädern, die bei diesem Typ auch verwendet werden, wieder etwas lauter.

Mögliche Zusammenhänge der Anfälligkeit zum Rutschen hinsichtlich dem Auffahrunfall an der Revaler Straße im vergangenen Jahr sollen hier nicht erörtert werden, da sie das Reich der Spekulationen streifen.

Wir sind aber erneut bei der leidigen Frage, ob dieser Typ das Fahrzeug der Zukunft sein kann oder nur ein notwendiger, aber unvollkommener Entwicklungsschritt.

Künftige Fahrzeuge sollten wieder Antrieb und Betriebsbremse an allen Radsätzen aufweisen. Daß auch andere Aspekte, wie Wagenkastenkonfiguration, Hüllkurve und nahverkehrsgerechte Türanordnung Beachtung finden sollten, wurde an dieser Stelle größtenteils schon erörtert. Der bislang in Berlin favorisierte Hersteller hat unabhängig von den jüngsten Schlagzeilen um sein Pankower Werk mit einer "Produktoffensive" gezeigt, daß er seine Straßenbahnproduktion durchaus den genannten Erfordernissen anpassen kann und die bisher mehr als leerer Werbespruch denn als Fakt anzusehende Modularität seiner Produkte tatsächlich in die Realität umsetzt.

Auch diese Bemerkungen zielt nicht auf die sofortige Substitution der Wagen, was wirtschaftlich Unfug wäre. Es ergeht hier aber wiederholt die Aufforderung, Fehler der Vergangenheit als wertvolle Erfahrung zu betrachten und künftige Neubeschaffungen unter den genannten. Aspekten auszuschreiben.

Da sich die Erkenntnisse über physikalische Gesetzmäßigkeiten im mechanischen Bereich erfahrungsgemäß nicht so schnell ändern, sei hier eine durchaus noch zutreffende Feststellung aus der Zeitschrift "Verkehrstechnik" vom August 1934 zitiert: "Um dauernd eine bestimmte Federungsarbeit leisten zu können, ist es nötig, den Gummi einmal wie jeden anderen Federwerkstoff ausreichend zu bemessen und zweitens ihm auch die nötige Formänderungsmöglichkeit zu geben. Gummi, der allseitig fest eingespannt ist, wirkt wie eine eingeschlossene Flüssigkeit, die ungemildert alle Kräfte und Schwingungserscheinungen überträgt. Aus dieser Erkenntnis erwächst dem Konstrukteur die Aufgabe, in jedem Falle im Radkörper ein ausreichendes Gummivolumen unterzubringen und diesem ausreichende Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Die Teile des Querschnitts, die diese nicht haben, scheiden für die Federung aus". Quelle: Dr. Paul Becker, Das gummigefederte Eisenbahnrad, in Verkehrstechnik 15/1934.

IGEB, Abteilung Stadtverkehr

aus SIGNAL 8-09/1998 (November 1998), Seite 8-9