Regionalverkehr
Als im Juni 1993 ein verheerendes Hochwasser auch die Dömnitzbrücke an der Strecke Putlitz - Pritzwalk so stark beschädigte, daß kein Weiterbetrieb mehr möglich und eine Sprengung der alten Brücke durch die Deutsche Reichsbahn unumgänglich war, da dachten wohl viele, das Ende dieser Nebenbahn sei recht nahe!
1. Nov 1998
Die Bahn richtete sogleich einen Schienenersatzverkehr mit Bussen ein, Anwohner, Bahnkunden-Verband und Landkreis Prignitz wollten so einfach jedoch nicht aufgeben. Es wurde der Putlitz-Pritzwalker Eisenbahnförderverein gegründet, ein Kreistagsbeschluß sprach sich für den weiteren Erhalt der Strecke aus. Und so kam es, daß nach knapp einem halben Jahr wieder „Ferkeltaxen" über die Gleise rumpelten.
Regionalisierung: im Verkehrsvertrag zwischen dem Land Brandenburg und der DB AG stand bei dieser Linie wiederum als Option vermerkt, daß eine Schließung bereits zum Jahreswechsel 1996/97 möglich gewesen wäre. Im Sommer 1996 gründeten deshalb drei Privatpersonen das Unternehmen „Prignitzer Eisenbahn GmbH" (PEG) mit dem Ziel, die SPNV-Leistungen auf der KBS 206.70 als Privatbahn zu übernehmen, während die ursprüngliche Idee eines Einstieges in den Güterverkehr, Projekt: Ganzzüge mit Baustoffen ins Gewerbegebiet nach Falkenhagen (Prignitz), vorübergehend „verschoben" werden mußte. Der Regionalverkehr Berlin-Brandenburg unterstützte das Engagement der jungen Privateisenbahner und so wurde im August 1996 der ehemalige DB-"Schienenbus" 798 538 beschafft.
Nach Aufarbeitung, Neuanstrich und Renovierung ging das Fahrzeug am 29. September 1996 als „T 1" in den Regelbetrieb und wurde im Rahmen der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Streckenjubiläum der Bahnstrecke Putlitz - Pritzwalk auf den Namen „Putlitz" getauft. Das Interesse der Medien war groß, wurde hier doch mit vier Beschäftigten und einem Triebwagen Erhebliches geleistet. Flexibilität, Kundennähe und guter Service zeichneten das Angebot der PEG von Anfang an aus. Hoher persönlicher Einsatz und gar manche Nachtschicht waren notwendig, um den schon recht betagten Triebwagen tagtäglich am Laufen zu halten. Wichtig: es hat funktioniert!
Im Frühjahr 1997 erreichte ein weiterer Triebwagen (ex 798 610) per Straße die Stadt Putlitz, nachdem die Bekanntschaft mit dem Ablaufberg in Bebra nicht ganz folgenlos geblieben war. Einige Wochen später kamen per Schiene dann noch die Fahrzeuge 796 680 und 996 770 hinzu, während am künftigen „T 2" schon fleißig gearbeitet wurde. Anerkennung und Begeisterung bei den Reisenden schlugen sich in steigenden Fahrgastzahlen nieder, so daß man bei der DB AG in Berlin das „Subunternehmer"-Modell als durchaus erfolgreich wertete und der PEG die Verkehrsdurchführung auf weiteren Nebenstrecken anbot. Ab Mai 1997 war „T 2" als Reservetriebwagen verfügbar und stand dann schließlich beim Bahnhofsfest zu Pfingsten mit im Mittelpunkt des Geschehens, als die Taufe auf den Namen „Laaske" stattfand. Wegen des schlechten Gesamtzustandes verzögerte sich die Aufarbeitung des 796 680, so daß kurzfristig bei einem Privatmann noch der Triebwagen 798 644 angekauft und nach Instandsetzung als „T 3" in Betrieb genommen wurde. Mit diesen drei Fahrzeugen erfolgte zum 01. Juni 1997 eine Übernahme der Verkehrsleistungen auf den Strecken Neustadt (Dosse) - Kyritz und Neustadt (Dosse) - Rathenow Nord. Seit Mitte Juni stand zusätzlich auch der vierte Triebwagen mit im Einsatz.
Parallel zu diesen Aktivitäten konnten im April 1997 zwei Loks der Baureihe „V 100.4" (DB-Bezeichnung BR 293i) bei der Firma „PCK Schwedt" käuflich erworben werden. Die Überführung Stendell - Putlitz fand am 02.05.1997 statt, nach Umlackierung und Einbau von Zugbahnfunk/Indusi standen beide Maschinen ab Sommer 1997 für gelegentliche Güterzugleistungen und Überführungsfahrten zur Verfügung. Am 25.07.1998 fuhr die PEG mit diesen zwei Loks und Privatgüterwagen der Firma HANIEL ihren ersten „Probezug" von Flechtingen nach Bülstringen (Hafenvorlauf), weitere Leistungen vor Splitt-Ganzzügen nach Falkenhagen (Prignitz) folgten im September bzw. Oktober 1997. Sehr spektakulär gestalteten sich auch die Fahrten zur Abholung diverser „Schienenbusse" aus dem süddeutschen Raum im Herbst, nachdem zuvor Mitte August 1997 die zwei Triebwagen 798 532 und 798 698 Putlitz erreicht hatten.
Kundenservice: nach über einem halben Jahr mit beschränktem Leistungsangebot wandelte die PEG die von ihr angemietete Fahrkartenausgabe im Kyritzer Bahnhof zum 01.02.1998 in eine DB-Vollagentur (DER) um und bietet dort nun sämtliche gängigen Bahnwerte für das In- und Ausland sowie Informationen rund um das Reisen mit der Eisenbahn an. Voll bewährt haben sich auch Angebote wie Kaffee, Erfrischungsgetränke, Süßwaren, Zeitung oder Postkarten, die man -trotz Einmannbetrieb- in allen blau-roten „Schienenbussen" stets in Anspruch nehmen kann. Klar, daß einem die Triebwagenführer auf Wunsch auch mit touristischen Informationen jederzeit gern mit Rat und Tat zu Seite stehen. Kritiken der Fahrgäste zu Fahrplanmängeln und Anschlußdefiziten wurden gemeinsam mit dem DB-Nahverkehr mehrfach zum Anlaß genommen, gezielt Veränderungen herbeizuführen. Manchmal sind es eben die „kleinen" Unterschiede, die das Bahnfahren attraktiver machen!
Am 20. April 1998 entschied das Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr in Potsdam, die Prignitzer Eisenbahn GmbH für zwei Jahre direkt mit der Erstellung von SPNV-Leistungen auf den Nebenstrecken Neustadt (Dosse) - Kyritz - Pritzwalk - Meyenburg und Putlitz - Pritzwalk zu beauftragen. Vorangegangen waren massive Stillegungsbemühungen seitens der DB, die die Formulierung „kritische Linie mit Handlungsbedarf" im SPNV-Plan des Landes Brandenburg ausschließlich negativ meinte interpretieren zu müssen. Ein weiteres Mal war es wiederum nicht zuletzt der Landkreis Prignitz, der sich aktiv für den Erhalt regionaler Eisenbahnstrecken einsetzte. Gemeinsam mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg GmbH wurde inzwischen ein unterschriftsreifer Verkehrsvertrag verhandelt, der sogar perspektivisch die teilweise Übernahme von Schülerverkehren vorsieht. Das Schweriner Wirtschaftministerium schließlich beauftragte die Verkehrsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, durch geeignete Schritte die Nutzung der kostengünstigen PEG-Angebote auch im Abschnitt (Meyenburg -) Landesgrenze - Karow - Güstrow zeitgleich bereits zum 27. September 1998 zu ermöglichen, und bestellte kurzerhand die entsprechenden Leistungen beim Nahverkehr der DB AG ab. Seit dem kleinen Fahrplanwechsel zum 27. September 1998 gibt es damit durchgehende RB-Züge Güstrow - Neustadt (Dosse) und retour, der PEG-Einstieg in die eigene Selbständigkeit gestaltete sich relativ reibungslos und kann damit als durchaus „gelungen" bezeichnet werden.
Seit Januar 1998 fahren regelmäßig Ganzzüge mit den beiden PEG-Loks von Flechtingen nach Falkenhagen (Prignitz). Diese Verkehre werden in Kooperation mit DB Cargo abgewickelt, eventuelle Leistungen auf anderen Relationen hingegen auf eigene Rechnung. Hierzu gehören zum Beispiel Fahrten nach Schwerin oder Neubrandenburg, ferner gab es im Juli bzw. August 1998 Schotterlieferungen und Arbeitszugdienste für die Lübecker Hafenbahn. Außerdem soll nicht unerwähnt bleiben, daß zusätzlich Fahrzeugüberführungen (Dampf-, Diesel- und Elektroloks, ferner Bauzüge und historische Waggons) unter PEG-Regie stattfanden. Im regionalen Schienengüterverkehr gab es Gespräche mit DB Cargo zwecks Prüfung gemeinsamer Aktivitäten im Verteilverkehr in der Fläche. Davon unabhängig unterstützt die PEG auch die Bestrebungen entstehender NE-Bahnen in der Nachbarschaft zur Erschließung bisher verschenkter Potentiale im regionalen Schienen-Güterverkehr (RSGV) zum Beispiel entlang der Strecke Ganzlin - Röbel (Meckl.). Zum Einsatz kamen hier neben den planmäßigen Bespannungen von DB Cargo unter anderem auch PEG-Lok 4 (V 60) und ein UNIMOG-Zweiwegefahrzeug zum Rangieren sowie die Dampflokomotive 52 8029-2 des Eisenbahnvereins „Hei Na Ganzlin". Der Lokomotivpark der PEG erweiterte sich inzwischen um 201 001 und 228 203 aus dem Eisenbahn- und Technikmuseum Prora (Rügen) sowie außerdem 201 026 und 201 126. Während die „V 60" kürzlich Fristablauf hatte und für eine Hauptuntersuchung vorgesehen ist, fährt die ehemalige 201 001 als PEG-Lok 3 schon seit einigen Wochen wieder über norddeutsche Gleise. Infolge Vermietung der V 100 steht aktuell die ersatzweise angemietete „Taigatrommel" 220 295 im Güterzugeinsatz und fährt vorrangig nach wie vor Splitt-Ganzzüge nach Falkenhagen (Prignitz), von wo aus man das Material an diverse Autobahnbaustellen verteilt und Betonmischwerke beliefert.
Die PEG nahm unlängst mit guten Aussichten an einer Ausschreibung zum „Bahnbetrieb im Großraum Ludwigsfelde/Großbeeren/Teltow" teil, deren Bestandteil Rangierleistungen und ausgewählte Bedienfahrten unter anderem im Zusammenhang mit dem - im Bau befindlichen - Güterverkehrszentrum Großbeeren (GVZ) sind. Erste Sondierungsgespräche mit DB Cargo haben schon stattgefunden, weitere werden - trotz momentanem Stillstand - sicherlich folgen.
Kleine Bahn vor großen Aufgaben: die Prignitzer Eisenbahn GmbH hat die „Chance" bekommen, mit frischem Schwung und neuen Ideen aktiv am Erhalt der Flächenbahn mitwirken zu können. Als Partner oder Wettbewerber der DB-Verkehrsbereiche, immer aber vor allem im Dienste des Kunden. Derzeit beschäftigt die PEG rund 30 Mitarbeiter, Tendenz steigend. Um die neuen Aufgabenfelder im SPNV abdecken zu können, macht sich die Aufarbeitung weiterer „Schienenbusse" erforderlich. Viele Arbeiten werden dabei in eigener Werkstatt erstellt, einige Leistungen jedoch auch hinzugekauft. Als erster Triebwagen verließ „T 5" mit frischer Hauptuntersuchung und modernisiertem Fahrgastraum in den Hausfarben blau-rot den Putlitzer Schuppen, weitere Fahrzeuge kamen hinzu. Die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Nahverkehr Berlin-Brandenburg der DB AG wird zumindest auf der Linie Neustadt-(Dosse) - Rathenow fortgeführt - ... und auch in Zukunft kann man wohl davon ausgehen, desöfteren positive Neuigkeiten von der PEG zu hören.
Zum Abschluß sei noch angemerkt, daß vsl. Mitte Dezember die Verkehrsübernahme für die Strecke Neustadt (Dosse) - Neuruppin ansteht, während im Abschnitt Neuruppin - Herzberg die DB AG perspektivisch mit einer Flügelung von Prignitz-Expreß"-Zügen und der Durchbindung nach Rheinsberg als bedarfsorientierteste Lösung zum Zuge kommen soll. Die Verhandlungen sind angelaufen.
Prignitzer Eisenbahn GmbH
aus SIGNAL 8-09/1998 (November 1998), Seite 24-26