Stadtverkehr

Neue BVG-Doppeldecker im Berliner Alltagsverkehr

Die BVG ist auf der Suche nach einem neuen kostengünstigeren Doppeldecker für den Berliner Nahverkehr und hat drei Typen getestet.


IGEB Stadtverkehr

2. Mär 2016

links: VDL Citea DLF 114, rechts: Alexander Dennis Enviro 500 Fotos: Florian Müller

Die 416 in den Jahren 2005 bis 2010 angeschafften 13,70 Meter langen 3-Achs-Doppeldecker der Firma NEOMAN kommen langsam in die Jahre, und ihre Betriebskosten sind höher als erwartet. Bis zu 60 Liter Diesel auf 100 km schlucken diese Fahrzeuge. Das ist selbst für schwierige Berliner Stadtverkehrsverhältnisse eindeutig zu viel. Eine ursprünglich geplante Option für eine weitere Serie dieser Busse wurde daher nie

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eingelöst. Stattdessen wurden mehr Gelenkbusse gekauft. Da es in Deutschland offensichtlich keinen Hersteller mehr gibt, der ein Alternativangebot machen könnte, hat sich die BVG auf dem internationalen Markt umgesehen.

Citea: Der Mehrzweckbereich und die Mitteltreppe an der Mitteltür. Foto: Marc Heller
Citea: Die Vordertreppe hinter dem Fahrer, mit der Sitzplatzanzeige an der Decke. Foto: Florian Müller
Citea: Der Eingangsbereich wirkt schlauchartig. Der Info-Monitor an der Treppenwand ist gut sichtbar platziert. Foto: Florian Müller
Citea: Hinter der Mitteltreppe entsteht ein wenig einsichtiger Bereich mit „Lounch-Atmosphäre“, der für Vandalismus und Verschmutzung anfällig sein könnte. Foto: Florian Müller
Citea: Der „Lounch-Bereich“ hinter der Mitteltreppe. Der Motor und Technik im Heck-Unterdeck erlauben kein Rückfenster. Foto: Marc Heller
Citea: Auf den Radkästen entsteht eine „Gebirgslandschaft“, die nur über eine Stufe zu erreichen ist. Foto: Florian Müller
gem. Herstellerangaben
Citea: Der Monitor an der Vordertreppe (s. Foto Seite 19 links unten) zeigt eine Skizze des Oberdecks mit den rot markierten besetzten Plätzen. Foto: Florian Müller
Citea: Das Oberdeck mit Vorder- und Mitteltreppe wirkt geräumig und bietet 46 Sitzplätze. Im Heck ist der Blick durchs Fenster möglich. Foto: Florian Müller
Citea: Oberdeck mit Vordertreppe und den beliebten „Aussichts-Sitzen“ in der Front. Über der Frontscheibe der Fahrgast-Info-Monitor. Foto: Florian Müller
Enviro: Mehrzweckbereich, Treppe und Mitteltür im Bus des britischen Herstellers. Der Eingang wirkt angenehm luftig, hat dafür aber in Eingangsnähe sehr wenig Sitzplätze. Foto: Florian Müller
Enviro: Vordertür. Der Wagen wurde stilecht bei strömendem Regen vor der Britischen Botschaft präsentiert. Foto: Florian Müller
Enviro: Auch das Heck-Unterdeck wirkt übersichtlich, hat aber auch kein Heckfenster. Die Sitze auf den Radkästen sind über eine Stufe erreichbar. Foto: Florian Müller
Enviro: In dem präsentierten Modell aus der Serie für den US-Markt befindet sich der Tank im Heck (links), der Sitzplätze „frisst“. Foto: Florian Müller
Enviro: Blick in das „Treppenhaus“ auf die (einzige) Treppe. Foto: Florian Müller
Enviro: Skizze der Sitz-Anordnung im Oberdeck (oben) und Unterdeck (unten) Grafik: Alexander Dennis
Enviro: Der freie Raumeindruck im Oberdeck wird nur von einem Lüftungskanal an der Treppe beeinträchtigt. Foto: Florian Müller
Enviro: Oberdeck, Blick über die Treppe nach vorne. Über der Frontscheibe ist ein Info-Display angebracht. Foto: Florian Müller
Enviro: Oberdeck. Am Heck auch kein Fenster, aber ein Dachfenster. Keines der Seitenfenster ist bei Ausfall der Klimaanlage oder mildem Wetter anzukippen. Foto: Florian Müller

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Bereits Ende Januar 2015 wurde das erste Test-Fahrzeug vorgestellt, ein 10,94 Meter langer 2-Achs Doppeldecker der Firma Scania, Typ „Citywide LF“, mit nur einer Treppe. In SIGNAL 2/2015 berichteten wir ausführlich darüber. Im Oktober 2015 stellte die BVG ein weiteres Fahrzeug vor, ein geringfügig längerer 2-Achs Doppeldecker der Firma VDL, Typ Citea DLF 114, mit 2 Treppen. Außerdem folgte noch überraschend ein Modell vom britischen Hersteller Alexander Dennis Ltd. (ADL) vom Typ „Enviro 500 LHD“, ein 12,93-Meter langer 3-Achs Doppeldecker mit nur einer Treppe. Dieses Fahrzeug ist jedoch aus einer Serie, welche für den US-amerikanischen Markt gebaut wurde. Es ist mit einer Gesamthöhe von 4,115 Meter etwas höher als in Deutschland zulässig, so dass es nur mit Sondergenehmigung genutzt werden kann und nicht mit den für Europa angebotenen Bussen direkt vergleichbar ist.

Alle drei Testfahrzeuge befanden sich im Oktober/November 2015 im Spandauer Netz im regulären Fahrgasteinsatz.

Scania Citywide LF

Beim Vordereistieg geht man durch einen schlauchartigen Gang zwischen Achskästen und Treppenaufbauten. Der bei bewegungseingeschränkten Personen beliebte Sitzplatz auf der Vorderachse am Einstieg, mit Panoramablick, ist entfallen. Im vorderen Teil gibt es sehr wenige feste Sitzmöglichkeiten, man sollte dann schon über die Mitteltür hinaus in den hinteren Wagenbereich gehen. Dort gibt es mehr, allerdings durch hohe Achskastenüberbauungen beengt erscheinende Sitzmöglichkeiten.

Der Mitteltürbereich und die Treppe zum Oberdeck wirken großzügig, die Treppe ist angenehm begehbar. Eine Anzeige soll Aufschluss über freie Sitzplatzkapazitäten im Oberdeck geben, angezeigt wird beim getesteten Bus „-16“. Was bedeutet das?

Ein Testag war ein Regentag, und im Oberdeck waren alle Fenster vollständig beschlagen, die Aussicht faktisch Null. Aber auch bei nicht beschlagenen Fensterscheiben hätte es nur eine schlechte Aussicht gegeben, da die recht breiten Klappfensterrahmen bei vielen Sitzen genau in Augenhöhe des sitzenden Fahrgastes liegen. Die optische Temperaturanzeige wies stetig 17 bis 18 Grad Innentemperatur auf, die gefühlte Temperatur lag jedoch darunter, da ständig ein unangenehm kalter Luftstrom direkt auf den Kopf blies.

Der Bus ist deutlich kleiner als die heute verkehrenden NEOMAN-Fahrzeuge. Im Berufsverkehr war das Oberdeck frühzeitig voll. Da auch das Unterdeck voll war, versuchten nach jeder Haltestelle weitere Fahrgäste ihr Glück oben und blieben letztlich auf der breiten Treppe stehen. Deshalb herrschte an einigen Haltestellen Chaos beim Ein- und Ausstieg. Abwärtsgehende Fahrgäste mussten sich an Treppenstehern vorbeidrängen, von denen einige versuchten, frei werdende Plätze auf dem Oberdeck zu ergattern und somit gegenläufig liefen. Durch die fehlende zweite Treppe entsteht kein Fahrgastfluss. Die Folge waren extrem lange Haltestellenaufenthaltszeiten.

Auch an der Endstelle Zoo fiel die lange Räumzeit des Oberdecks durch hier nur aussteigenden Fahrgäste auf.

VDL Citea DLF 114

Im Unterdeck wirkt der Einstieg ähnlich schlauchartig wie im Scania, der beliebte Front-Sitzplatz fehlt ebenfalls. Die Treppe ist ähnlich angeordnet wie im NEOMAN-Fahrzeug, also mit Knick und nicht so großzügig wie im Scania. Nun hat dieser Bus aber eine zweite Treppe im mittleren Wagenteil, auf die Mitteltür zugehend. Diese Treppe ist relativ gerade und angenehm zu gehen. Nachteilig aber ist dadurch die völlig unübersichtliche und eng wirkende Raumaufteilung im Unterdeck dieses Fahrzeuges.

Auch beim VDL gibt es im Vorderteil sehr wenige Sitze. Der Freiraum an der Mitteltür ist recht großzügig, der Heckbereich völlig verbaut mit nicht einsehbaren Ecken und relativ wenigen Sitzen.

Das Oberdeck dagegen wirkt vom Raumerlebnis großzügiger, die geringfügig größere Fahrzeuglänge gegenüber dem Scania wirkt sich hier positiv aus.

Auch bei diesem Bus waren die Fahrgastwechselzeiten an den Haltestellen recht lang – trotz zweiter Treppe. Aber: Zwei Türen haben nun mal nicht die gleiche Kapazität wie drei Türen (NEOMAN). Gegenläufiges Vorbeidrängen auf den Treppen sowie darauf stehende Fahrgäste gab es hier immerhin nicht.

Der VDL-Doppeldecker, der in Berlin zur Demonstration unterwegs war, hatte inzwischen einen Unfall und ist nicht mehr einsatzfähig.

Alexander Dennis Enviro500

Bei Einstieg in den britischen Test-Bus Enviro gab es wieder den schlauchartigen Gang ohne Front-Sitzplatz. Die Treppe zum Oberdeck ist ähnlich wie im VDL-Bus angewinkelt angeordnet. Dieser Bus hat aber nur diese eine Treppe und ist dabei mit 12,93 Meter Länge deutlich länger als die Mitbewerber.

Sowohl im Unter- als auch im Oberdeck weist dieser Bus viele Sitzplätze auf. Das hat bei nur einer Treppe allerdings Nachteile. Obwohl beim Test die Fahrzeuge nicht ausgelastet waren, kam es bei Ein- und Ausstiegsbewegungen mehrfach zu Fahrgastbegegnungen im engen Treppenbereich. Alles ließ sich irgendwie regeln, schön aber ist es nicht.

Angenehm fielen im Oberdeck die im Dachbereich über den Sitzen angeordneten Einzelsitzbelüftungen sowie Leselampen auf – wie im Reisebus. Vermutlich ist das aber nur bei der amerikanischen Ausstattung so und würde von der BVG nicht bestellt werden. Eigentlich schade, denn der Konflikt der Fahrgäste, denen die Beleuchtung oft zu dunkel zum Lesen ist, und denen, die lieber gedimmtes Licht statt greller Beleuchtung mögen, könnte so gelöst werden. Da der Bus nicht so ausgelastet war wie bei den anderen Probefahrten, gab es keine relevanten Eindrücke über längere Haltestellenaufenthaltszeiten wegen nur zwei Türen und einer Treppe.

Dieser Bus machte aufgrund seiner Fahrzeuggröße den angenehmsten Fahreindruck. Sollte in einer europäischen Version jedoch auch hier bei einer eventuellen Anschaffung an ein kleineres Fahrzeug gedacht werden, wäre dieser Eindruck sicherlich hinfällig.

Der Enviro 500 ist als Variante mit 2 oder 3 Achsen, mit 2 oder 3 Türen, mit 1 oder 2 Treppen im Angebot. Das in Berlin vorgestellte Fahrzeug entstammt einer Serie für den US-Markt. Es gibt auch Varianten für den europäischen Markt, z. B. mit Heckfenstern oder ohne, Tank im Heck oder in der Mitte, Sitze auf Podesten im Oberdeck für mehr Kopffreiheit an den Türen, individuelle Beleuchtung und Lüftung oder mehr Kopffreiheit im Sitzbereich, angepasste Fahrerkabinen.

Fazit

Die Test-Fahrten zeigten, dass die drei Busse zwar nicht schlecht sind, aber keinesfalls ein Ersatz für die bislang fahrenden NEOMAN-Fahrzeuge mit ihrer großen Kapazität an Sitzplätzen sein können. Geeignet sind sie vermutlich für Linien wie z. B. 101, 282 oder solche, die bislang überwiegend mit 15-Meter Eindecker-Fahrzeugen betrieben werden, soweit die Fahrzeughöhe das zulässt. Deshalb ist die geteste Fahrzeugklasse kein geeignetes Nachfolgemodell für den NEOMAN, allenfalls eine Ergänzung.

Generell sollte man bei einer Neuanschaffung bedenken, dass Berlin eine wachsende Stadt ist. Ein kleineres Fahrzeug steht im Widerspruch zu steigenden Fahrgastzahlen. Außerdem sollten kleine Detailverbesserungen, wie sie der NEOMAN gegenüber seinen Vorgängern aufwies, z. B. Scheibenwischer an der Frontscheibe im Oberdeck, nicht aus Sparsamkeitsgründen rückgängig gemacht werden. Auch das Fehlen, des bei bewegungseingeschränkten Personen beliebten Sitzplatzes direkt an der Einstiegstür, ist negativ. Die USB-Stromanschlüsse für Smartphones sind ein hübsches zeitgemäßes Detail, helfen aber nicht über die geringere Beförderungskapazität hinweg. (KJU)

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 1/2016 (März 2016), Seite 19-23