Dieselskandal

Parlament nickt Legalisierung des Betrugs ab

Was sind die Lehren aus dem VW-Skandal? Ich hatte gehofft, dass auch in Europa endlich konsequent gegen Betrügereien bei den Abgas- und Verbrauchswerten von Fahrzeugen vorgegangen wird. Und dass wir allen Bürgerinnen und Bürgern saubere Luft garantieren können. Denn es muss Schluss sein mit jährlich 75 000 vorzeitigen Todesfällen in der EU, die allein durch Dieselfahrzeuge verursacht werden.


Michael Cramer
Mitglied des Europäischen Parlaments – Die Grünen/EFA und Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus

2. Mär 2016

Leider passiert bisher jedoch genau das Gegenteil: Obwohl die Kosten der Luftverschmutzung in der EU jährlich mehr als 900 Milliarden Euro betragen, hat das erfolgreiche Lobbying der Autoindustrie bewirkt, dass die Vertreter der Regierungen für ein Aufweichen der Stickoxid-Grenzwerte gestimmt haben. Die so genannten „Konformitätsfaktoren“ sollen ein Überschreiten der heutigen Vorgaben um mehr als das Doppelte erlauben, sobald in Kürze die neuen Testverfahren im Straßenbetrieb („Real Driving Emissions“) eingeführt werden.

Das Europäische Parlament hätte diesen absoluten Irrweg in seiner Sitzung am 3. Februar 2016 stoppen und ein Veto einlegen können. Leider hat sich die Mehrheit der Abgeordneten auf Druck der Autolobby jedoch dagegen

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entschieden. Das Argument: Zu viele Arbeitsplätze seien in Gefahr. Und man wolle lieber laschere Grenzwerte jetzt beschließen, anstatt noch länger zu diskutieren.

Konformitätsfaktor
Die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf einen Konformitätsfaktor von 2,1 für neue Fahrzeugmodelle ab 2017 und für die Zulassung von Neuwagen ab 2019 geeinigt. Ab 2020 bzw. 2021 soll ein Faktor von 1,5 gelten. Damit können die eigentlich in der Gesetzgebung festgelegten Stickoxid-Grenzwerte bis 2020 um mehr als das Doppelte überschritten werden. Danach noch immer um 50 Prozent. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hatte gegen diese Entscheidung im Dezember 2015 Einspruch eingelegt.

Das ist in doppelter Hinsicht Unsinn: Erstens zeigt der VW-Skandal, dass gerade eine kurzsichtige Strategie ohne Rücksicht auf Umwelt und Menschen die Arbeitsplätze und Unternehmen in Gefahr bringt. Zweitens finden die neu zu entscheidenden Grenzwerte ohnehin erst in einigen Jahren Anwendung – Grund genug also, jetzt in aller Ruhe und Ernsthaftigkeit zu entscheiden.

Übrigens: Der Dieseltreibstoff wird in Deutschland um 18 Cent geringer besteuert als Benzin, weil er umweltfreundlicher sein soll. Er emittiert zwar etwas weniger CO2, aber umso mehr Stickoxide und Feinstaubpartikel. Da der Preis von 1,49 Euro im Jahr 2012 auf jetzt unter 0,90 Euro gesunken ist, muss dieses falsche Privileg fallen. Wann, wenn nicht jetzt?

Michael Cramer
Mitglied des Europäischen Parlaments – Die Grünen/EFA und Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus

aus SIGNAL 1/2016 (März 2016), Seite 29