söp
2. Mär 2016
Der Beschwerdeführer wollte von Frankfurt am Main nach Zagreb fahren. Die Fahrkarte kaufte er in einem Reisezentrum bereits drei Monate vor Fahrtantritt. Für diese Reise wurden dem Beschwerdeführer zwei Tickets verkauft: eine Fahrkarte von Frankfurt am Main nach München (Kosten: 36,75 Euro) sowie eine Fahrkarte nebst Reservierung von München nach Zagreb (Kosten: 118 Euro). Der Kauf einer einzelnen durchgehenden Fahrkarte von Frankfurt nach Zagreb sei nicht möglich gewesen.
Der Beschwerdeführer schildert, dass er in Zagreb aufgrund einer Verspätung des EN 499 nicht wie geplant um 8.37 Uhr angekommen ist, sondern erst um 11.50 Uhr. Nach der Fahrt machte der Beschwerdeführer eine Verspätungsentschädigung beim Servicecenter Fahrgastrechte geltend.
Das Servicecenter prüfte für jede Fahrkarte separat eine Verspätung und stellte für die Fahrt von Frankfurt am Main nach München eine Verspätung von drei Minuten fest. Für die Fahrt von München nach Zagreb kam
es zu einer Verspätung von 193 Minuten, so dass eine Verspätungsentschädigung i.H.v. 59 Euro (50 Prozent des Fahrkartenwertes der Fahrkarte München—Zagreb) gezahlt wurde.
Der Beschwerdeführer legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein, da die Fahrkarte von Frankfurt nach München nicht berücksichtigt worden sei. Er habe einen einheitlichen Beförderungsvertrag abgeschlossen, so dass auch die andere Fahrkarte zu berücksichtigen sei. Das Servicecenter wies den Widerspruch zurück. Jede Fahrkarte stelle einen eigenständigen Beförderungsvertrag dar, so dass die Verspätungsentschädigung auch für jede Fahrkarte separat zu ermitteln sei.
Der Beschwerdeführer war damit nicht zufrieden und wandte sich an die söp. Er wünschte eine Entschädigung unter Berücksichtigung auch der Fahrkarte von Frankfurt nach München.
Die söp prüfte das Anliegen des Beschwerdeführers und kam zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer ein weiterer Anspruch auf Verspätungsentschädigung zustehen dürfte.
Zwar könnten aufgrund des Kaufs von mehreren Fahrkarten nach den Beförderungsbedingungen des Verkehrsunternehmens bezüglich der Fahrt Frankfurt—München und der Anschlussfahrt München—Zagreb zwei rechtlich zu unterscheidende und voneinander unabhängige Beförderungsverträge vorliegen mit der Konsequenz, dass die Verspätungsentschädigung separat für jede Fahrkarte und damit für jeden Beförderungsvertrag einzeln ermittelt werden muss.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass meist aus systemtechnischen Gründen mehrere Tickets verkauft werden, obwohl die Strecken alle unmittelbar hintereinander befahren werden. Die söp hat insbesondere auf folgende Punkte hingewiesen: Gemäß Art. 3 Nr. 8 Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 (VO) wird unter „Beförderungsvertrag“ ein Vertrag über die entgeltliche oder unentgeltliche Beförderung zwischen einem Eisenbahnunternehmen oder einem Fahrkartenverkäufer und dem Fahrgast über die Durchführung einer oder mehrerer Beförderungsleistungen verstanden. Insoweit könnte hier – trotz der Ausstellung mehrerer Fahrkarten – nur ein Beförderungsvertrag vorliegen.
Nach den allgemein geltenden Bestimmungen zum Vertragsschluss kommt es für den Inhalt eines Vertrages grundsätzlich auf den publizierten Empfängerhorizont an. Danach dürfte vorliegend wohl nur ein Beförderungsvertrag für die Gesamtstrecke geschlossen worden sein. Soweit das Verkehrsunternehmen sich hiervon abweichend auf das Vorliegen mehrerer Beförderungsverträge berufen möchte, wäre es hierfür im Streitfall darlegungs- und beweisbelastet. Inwieweit dieser Beweis gelingt, ist zweifelhaft.
Der Beschwerdeführer wurde wohl nicht über die Nachteile aufgeklärt, die die Ausstellung von Einzeltickets mit sich bringt (ggf. Abschluss einzelner Verträge). Nach seinem Empfängerhorizont wollte er ein Angebot auf Abschluss nur eines Beförderungsvertrages für die Strecke Frankfurt am Main—Zagreb annehmen. In welcher Form sich dieser Vertrag verkörperte (in mehreren Einzeltickets oder einem Gesamtticket), war für ihn ohne Bedeutung. Im Übrigen dient der Beförderungsausweis nach Art. 6 Abs. 3 CIV lediglich als Nachweis für den Abschluss und den Inhalt des Beförderungsvertrages, was ebenfalls dafür spricht, dass bei einem Ticketkauf wie hier mehrere Fahrkarten einen einheitlichen Beförderungsvertrag darstellen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht sachgerecht, wenn das Verkehrsunternehmen die in den Fahrgastrechten vorgesehene Regelung zur Entschädigungszahlung „leer laufen“ lassen kann, indem die Gesamtverbindung in verschiedene Tickets aufgeteilt und dann auf Einzelverträge abgestellt wird. Läge ein einheitlicher Beförderungsvertrag für die gesamte Strecke vor, hätte der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Entschädigung i.H.v. 77,40 Euro (50 Prozent von 154,75 Euro).
Deshalb schlug die söp unter Berücksichtigung der bereits erfolgen Zahlung i.H.v. 59 Euro eine Restzahlung i.H.v. 18,40 Euro vor.
Sowohl das Verkehrsunternehmen als auch der Beschwerdeführer zeigten sich mit dem Vorschlag einverstanden, so dass das Schlichtungsverfahren einvernehmlich beendet werden konnte. (Dr. Katja Schmidt)
söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen
Personenverkehr e. V.
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aus SIGNAL 1/2016 (März 2016), Seite 30