Stadtverkehr

Potsdams Straßenbahn-Neubaustrecke zum Campus Jungfernsee

Bei all den Diskussionen um Straßenbahnneubau in Berlin könnte die Nachbarstadt Potsdam glatt in Vergessenheit geraten. Völlig zu unrecht, denn dort wird längst wieder gebaut. Bereits zum Fahrplanwechsel im Dezember 2017 soll die Verlängerung in Potsdams Norden von der Viereckremise zum Campus Jungfernsee nach gut einjähriger Bauzeit in Betrieb genommen werden.


IGEB Stadtverkehr

21. Nov 2017

Neben der B2 ist die neue Strecke auf 300 Meter Länge zwar nur eingleisig, aber stauunabhängig. Links im Bild die „Roten Kasernen“, die seit einigen Jahren Wohnzwecken dienen. Foto: Florian Müller

Die Neubaustrecke ist knapp 1,2 km lang und erhält auf der gesamten Strecke einen besonderen Bahnkörper. Entlang der Bundesstraße B2 werden davon 300 Meter eingleisig ausgeführt.

Die Haltestelle Viereckremise wird in die Georg-Hermann-Allee verlegt und etwa 100 Meter südwärts verschoben. Die Wendeschleife wird aufgegeben und bebaut, während die Strecke hier im Rechtsbogen von der Mittel- in die nördliche Seitenlage umschwenkt. Kurz vor der B2 entsteht die neue Haltestelle „Rote Kaserne“.

Die Wendeschleife Viereckremise (mit Zug) wird aufgegeben und das Grundstück soll bebaut werden. Von links kommend wartet das Gleis der Neubaustrecke auf den Anschluss. Foto: Fotograf

Hinter der Haltestelle wird die Strecke eingleisig und wechselt im Linksbogen in die östliche Seitenlage der B2. Nach 300 Metern, am Ende der Bebauung, kreuzt die Straße Zum Exerzierhaus, und direkt dahinter folgt die Weiche zur Zweigleisigkeit. Letzte Straßenkreuzung ist die Straße Am Jungfernsee.

Etwa 100 Meter nördlich davon liegt die neue Wendeschleife, die mithilfe einer Gleiskreuzung im Uhrzeigersinn befahren wird. Innerhalb der Schleife befinden sich die

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beiden Bahnsteige der Haltestelle „Campus Jungfernsee“, die einen direkten Umstieg zwischen Straßenbahn und Bus ohne lange Umsteigewege ermöglichen.

„Rote Kasernen“ heißt die einzige Zwischenhaltestelle der Neubaustrecke. Sie befindet sich in Seitenlage zwischen der bisherigen Schleife/Endhaltestelle und der Nedlitzer Straße. Foto: Tom Gerlich
Hinter der Haltestelle „Rote Kasernen“ biegt die Strecke links in die Nedlitzer Straße ab und wird für 300 Meter eingleisig. Foto: Tom Gerlich
Nach 300 Metern wird die Strecke hinter der Fritz-von-der-Lancken-Straße wieder zweigleisig. Parallel verläuft ein breiter Geh- und Radweg. Foto: Tom Gerlich

Veränderte Linien und Fahrpläne

Die vorbildliche Umsteigeanlage kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier künftig für den Großteil der Busfahrgäste ein zusätzlicher Umstieg notwendig sein wird, denn mit der Eröffnung der Straßenbahnstrecke werden auch Linienführungen und Fahrpläne angepasst.

Die Linie 96 wird zur Hauptlinie der Straßenbahn und verkehrt dann zwischen Campus Jungfernsee im Norden und Marie-Juchacz-Straße im Südosten von Potsdam. Montag bis Freitag tagsüber fährt sie alle 10 Minuten, abends und am Wochenende alle 20 Minuten.

Dies geht zu Lasten der bisherigen Hauptlinie 92, die erheblich verändert wird. Sie fährt im Südosten nur noch im Berufsverkehr und am Wochenende ins Kirchsteigfeld. Tagsüber endet sie am Bisamkiez und abends bereits am Hauptbahnhof. Der 20-Minuten-Takt wird in der Hauptverkehrszeit zwischen Kirschallee und Bisamkiez auf 10 Minuten verdichtet, so dass sich dann zwischen Campus Fachhochschule und Bisamkiez ein glatter 5-Minuten-Takt ergibt (sonst 5/5/10). Die Angebotsausdünnung ins Kichsteigfeld soll durch den Einsatz der auf 40 Meter verlängerten Combinos ausgeglichen werden. Angesichts der weiter steigenden Fahrgastzahlen dürfte das kaum ausreichen, doch der vorhandene Fahrzeugpark ist zu knapp bemessen, um weitreichende Angebotsausweitungen zu ermöglichen.

Das wirkt sich auch auf die anderen Linien aus. Die Linie 94 verkehrt im Berufsverkehr verlängert bis Pirschheide, die Linie 98 Schloss Charlottenhof—Rehbrücke und die Linie 99 verkürzt auf Platz der Einheit—Babelsberg.

1125 Meter Neubaustrecke im Potsdamer Norden. Die Haltestelle „Viereckremise“ wird vor die ehemalige Schleife verschoben. Zwischen Rote Kasernen und Fritz-von-der-Lancken-Straße ist die Strecke eingleisig. Die neue zweigleisige Schleife Campus Jungfernsee wird im Uhrzeigersinn befahren. Die meisten Busfahrten enden künftig in der neuen Straßenbahnschleife. Hier muss in die Tram umgestiegen werden. Bisher fahren die meisten Busse weiter bis in die Potsdamer Innenstadt. Grafik: Holger Mertens

Umsteigen und Fahrzeitverlängerung

Scharfe Kritik wurde von vielen Seiten bereits vorab an der Einkürzung der Buslinien geäußert. Die Linien 609 und 638 enden künftig am Campus Jungfernsee und erhalten dort Anschluss an die Straßenbahnlinie 96. Nur im Schülerverkehr werden weiterhin einzelne Fahrten morgens stadteinwärts und nachmittags stadtauswärts zum Platz der Einheit und Hauptbahnhof angeboten. Die Direktverbindung zwischen Potsdam Hauptbahnhof und dem Fernbahnhof Spandau geht damit verloren.

Während der Umstieg von Bus auf Straßenbahn stadteinwärts annehmbar funktioniert, da selbst bei verpasstem Anschluss die nächste Bahn nach spätestens 10 Minuten fährt, muss die Fahrt stadtauswärts genau geplant werden. Wer auf „Nummer sicher“ gehen will, sollte eine Bahn früher einplanen, um ausreichend Puffer für den Umstieg zu haben und nicht bis zu 40 Minuten in der Hauptverkehrszeit und tagsüber bis zu 60 Minuten warten zu müssen.

Fahrplanmäßig braucht die Straßenbahn durch die Linienführung mit Umwegen von Campus Jungfernsee zum Potsdamer Hbf rund zwei Minuten länger als bisher der Bus 638. Hinzu kommt die Zeit zum Umsteigen an der Haltestelle Campus Jungfernsee. Die zwei bzw drei durchgehenden Fahrten des 638ers gegen 7.30 Uhr sind mit künftig 53 Minuten vom Bahnhof Spandau bis Potsdam Hbf geplant. Mit dem Umsteigen in Campus Jungfernsee benötigen die Fahrgäste gegen 9 Uhr gemäß Fahrplanentwurf des ViP aber 63 Minuten.

Statt einer hässlichen Lärmschutzwand grenzt ein Erdwall die Wohnbebauung von der Straßenbahn und Bundesstraße ab. Die Einfriedung dient nicht nur als optisches Element, sondern sichert die Gleise auch gegen Betreten. Zum Geh- und Radweg hin muss dagegen ein Standardgeländer diesem Zweck dienen. Foto: Tom Gerlich
Ein- und Ausfahrt der neuen Wendeschleife Campus Jungfernsee mit einer Gleiskreuzung. Rechts die B2, auf der der Busverkehr dann ausgedünnt wird. Foto: Tom Gerlich
Baustelle der künftigen Wendeschleife (mit Bauschild). Auf der rechten Seite können die Busfahrgäste künftig direkt aus dem Bus in die abfahrbereite Straßenbahn umsteigen. Links entsteht umgekehrt die Ankunfthaltestelle der Straßenbahn mit direktem Übergang zum Bus. Links im Hintergrund auf freiem Feld das Software-Büro von SAP. Foto: Tom Gerlich
Die Schleife Campus Jungfernsee erhält zwei Gleise. Im Hintergrund ist die wachsende Wohnbebauung zu sehen, rechts endet der Erdwall. Foto: Florian Müller

Ob die Fahrgäste den Umsteigezwang bei obendrein zehn Minuten längerer Reisezeit akzeptieren werden, bleibt abzuwarten.

Der Ziel- und Quellverkehr im Bereich der Haltestelle Campus Jungfernsee ist bisher noch recht gering. Ein größeres Wohngebiet und Bildungseinrichtungen sind in dessen Umfeld im Bau bzw. geplant.

Zukunftspläne

In einem weiteren Schritt ist geplant, die Straßenbahn rund drei Kilometer über Neu Fahrland bis nach Krampnitz zu verlängern. Das dortige große, seit Jahrzehnten leerstehende Kasernengelände soll zum Wohngebiet umgebaut und mit der Straßenbahn an die Potsdamer Innenstadt angebunden werden. Diese langfristige Planung ist natürlich sehr zu begrüßen.

Mit der Verlängerung von acht Combinos auf 40 Meter und dem weiteren Einsatz von hochflurigen Tatra-Fahrzeugen hat sich die Stadt Potsdam etwas Zeit erkauft, doch um die Anschaffung neuer Straßenbahnen wird sie bei der anhaltend positiven Entwicklung der Fahrgastzahlen nicht herum kommen.

Das Land Brandenburg muss hier endlich über seinen Schatten springen und analog zu (allen) anderen Bundesländern die Anschaffung neuer Straßenbahnfahrzeuge ohne Wenn und Aber fördern. Davon würde nicht nur Potsdam, sondern auch die anderen Betriebe im Land Brandenburg profitieren, die derzeit nicht wissen, wie sie die im Personenbeförderungsgesetz verankerte Verpflichtung zur Barrierefreiheit ab 2022 umsetzen sollen. Straßenbahnen bieten immerhin seit über 100 Jahren zuverlässig die derzeit überall geforderte Elektromobilität. (ge)

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aus SIGNAL 5/2017 (November / Dezember 2017), Seite 26-28